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"Wir können nicht bloß spielen"

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Im Focus brodelt es in gleich mehrfacher Hinsicht. Vor drei Wochen hat das Blatt den Schwabinger Kunstfund um den Sammler Cornelius Gurlitt enthüllt, und plötzlich interessiert sich auch die US-Regierung für das Münchner Magazin. Parallel dazu müssen sich gerade Redakteure Gedanken darüber machen, ob sie im nächsten Frühjahr nach Berlin umziehen - oder womöglich das Blatt verlassen. Die Mitarbeiter aus den Ressorts Politik, Ausland und Kultur sollen von Mai 2014 an in der Hauptstadt arbeiten, nicht alle finden das gut. In Berlin lebt, derzeit meist nur am Wochenende, Chefredakteur Jörg Quoos mit seiner Frau und seinen drei Kindern. 20 Jahre hat der gebürtige Heidelberger bei Springer gearbeitet, zuletzt war er Stellvertreter von Bild-Chef Kai Diekmann. Seine ganze Familie ist journalistisch geprägt: Der Vater war Lokalchef bei der Rhein-Neckar-Zeitung, bei der auch Quoos volontiert hat. Der Bruder ist Moderator bei WDR 2, seine Frau Redakteurin bei Bild. Quoos sagt, er habe die Schlagzahl bei Focus erhöht. Das Blatt hat es bitter nötig, die Zahl der Abonnenten ist im dritten Quartal 2013 auf 190000 gesunken, am Kiosk verkaufte sich das Heft nur 82000 Mal.

Gerade kommt Quoos, der seit Januar bei Focus ist, von einem Ressortleitertreffen am Tegernsee. Die Stimmung, sagt er, sei vorher angespannt gewesen, nun sei sie gut. An der Wand hängen rechts die zwei Titelbilder des Focus zum so genannten "Nazi-Schatz", links selbstgemalte Bilder seiner Kinder. Auf dem Tisch dampft Kaffee, im Hintergrund surrt ein Drucker.



Bilder aus der "Gurlitt-Sammlung", die vom"Focus" entdeckt wurde.

SZ: Ist Ihnen nicht zum Heulen, dass Sie mit dem Schwabinger Kunstfund den größten Scoop in der Geschichte des Focus haben, und dann meldet sich Cornelius Gurlitt beim Spiegel, weil er glaubt, die Konkurrenz habe den Fall enthüllt?
Jörg Quoos: Wieso zum Heulen? Ich habe darüber gelacht und mich gefreut, dass die Spiegel-Kollegen die Größe hatten, zu schreiben, dass der alte Herr sich geirrt hat und Spiegel und Focus verwechselt hat. Frustration ist nach dem internationalen Erfolg dieses Scoops der entfernteste Gemütszustand, den ich mir vorstellen kann.

Am Kiosk ist der Focus immer dann erfolgreich, wenn auf dem Titel ein Servicethema steht: Rücken, Anlagetipps, Allergien. Geht das in den Köpfen vieler nicht zusammen: Focus und Enthüllungen?
Wir haben nicht jede Woche einen Nazi-Schatz oder einen Hoeneß, dessen Steuerhinterziehung wir auch enthüllt haben. Oder einen Jan Ullrich, der bei uns sein Blutdoping gestanden hat. Ich versuche, Qualität und Relevanz zu erhöhen. Der Focus wird wieder häufiger zitiert. Das gelingt mir, weil es hier gute Journalisten gibt und ich weitere gute Journalisten mitgebracht habe, darunter zwei Henri-Nannen-Preisträger. Natürlich muss man dafür die Exklusivnachrichten auch haben, wir können nicht bloß spielen, ein Nachrichtenmagazin zu sein. Auch wenn es eine höhere Auflage garantiert: Ich werde nicht jede Woche Gesundheit machen. Focus steht traditionell für eine hohe Kompetenz im Nutzwertjournalismus, etwa in den Bereichen Medizin oder Geldanlage. Die Themen sollen bleiben - aber ich will die Dosis verändern und mittelfristig verringern. Es wird wohl noch dauern, bis der Markt wahrnimmt: Da ändert sich etwas beim Focus.

Die Abonnentenzahl wie auch der Kioskverkäufe hat sich in den vergangenen fünf Jahren fast halbiert. Ist es der richtige Kurs, mit dem Spiegel konkurrieren zu wollen? Auch die Neuordnung im Blatt und der rote Rahmen auf den Titel sieht nach Hamburger Schule aus.
Natürlich will ich keinen Spiegel machen! Was sollte das bringen? Der funktioniert in seinem Segment, aber wir wollen in unserem Segment funktionieren - als Stimme der Vernunft aus dem bürgerlichen Lager. Diese Stimme werden wir eher stärker profilieren. Zu sagen, der Focus macht auf Spiegel, nur weil wir eine rote Linie aufs Cover heben, ist totaler Quatsch. Unser neues Heftdesign ist frischer und moderner geworden. Wenn man schon einen Vergleich ziehen möchte, dann erinnert unser Titelrahmen schon eher ans Time Magazine.

Passt es, das barocke Magazin, das sich unter Helmut Markwort erfolgreich nach Art der Münchner Opulenz definiert hat, nach Berlin zu verfrachten?
Es wird allerhöchste Zeit, dass wir in der Hauptstadt präsenter sind, daher hole ich die Politik und Kultur dahin. Und ich achte genau darauf, dass unser Profil nicht verändert wird. Nur weil der Focus den Standort Berlin aufbaut, wird er keine Kreuzberger Gesinnungsverwirrung erleiden.

Das nimmt wohl keiner an. Als die ersten Gerüchte aufkamen, dass es nach Berlin geht, haben 70 Mitarbeiter eine Protestnote an Hubert Burda unterzeichnet. Auch jetzt rumort es in der Redaktion.
Ich habe sehr positive Rückmeldungen von Kollegen, die sagen: Ja, ich komme mit. Aber ich habe auch Verständnis dafür, dass ein Umzug mit persönlichen Härten verbunden ist, dass da nicht jeder Betroffene sofort "Hurra!" schreit. Da gilt es, die Kollegen davon zu überzeugen, dass dieser Schritt für Focus wichtig ist. Wir sollten die Kirche im Dorf lassen - wir reden über etwa 25 Kollegen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass am Ende fast alle mitgehen werden.

Am vergangenen Freitag ist die Frist ausgelaufen, bis zu der sich die Kollegen entscheiden sollten, ob sie nach Berlin mitgehen oder nicht. Wie viele gehen mit?
Hier handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen der Mitarbeiter an mich. Es gibt keinen Grund, diese zu veröffentlichen.

Es gibt Menschen, die halten den Umzug für eine versteckte Sparmaßnahme.
Die kennen sich nun wirklich nicht aus. Sicher ist Unruhe in der Redaktion: Neuer Chefredakteur, neue Kollegen, neues Layout, neue Rubriken, der Teilumzug nach Berlin. Im Sommer gab es zudem noch einen Personalabbau. Ich verlange der Redaktion einiges ab. Aber der Umzug ist nun alles andere als eine Sparmaßnahme, er kostet Geld. Der Focus geht aus strategischen Erwägungen nach Berlin, nicht, um Leute loszuwerden. Ich erhoffe mir, dass es bald noch mehr relevante Geschichten, mehr Nachrichten aus der Hauptstadt gibt, wenn wir dort mit etwa 50 Leuten vertreten sind und die Wege zu Hintergrundgesprächen, Ministerien und zu den internationalen Vertretungen viel kürzer sind.

Der Verleger und der Herausgeber waren offenbar nicht davon zu überzeugen, dass der Focus ganz nach Berlin geht. Diese Pläne gab es. Der Teilumzug ist nichts anderes als ein Kompromiss.
Ich kann es nicht als Kompromiss empfinden. Die Standorte bilden die jeweiligen Stärken von Berlin und München ab. Sorry, Berlin: Für den Sport ist der FC Bayern wichtiger als die Hertha. Im Ernst: Auch die Wirtschaftsredaktion ergibt in München viel Sinn; hier sitzen die meisten Dax-Konzerne. Darum werden wir das Ressort auch ausbauen. Die große Aufgabe wird nun sein, beide Standorte gleich stark ins Spiel zu bringen. Daher werde ich in Berlin und München vertreten sein.

Sind Sie nicht in der Hoffnung gekommen, dass Focus ganz nach Berlin geht?
Die Lösung, die wir gefunden haben, die ist gut. Alles andere ist rückwärtsgewandtes Philosophieren. Mir war klar, als ich hier anfing, dass der Berliner Standort gestärkt wird, ja. Ansonsten gilt das Wort des Verlegers. Der hat gesagt, es gibt zwei starke Standorte - und das gilt. Darüber hinaus gibt es für mich nichts zu interpretieren.

Die bildstarken Häppchen, die Focus vor 20 Jahren als neue Form des Nachrichtenjournalismus etabliert hat, sind heute die Domäne des Internets. Hat sich das alte Prinzip Focus nicht überholt?
Der Anspruch des Focus aus seiner Anfangszeit, sehr viel Information mit kurzen Texten und Schaubildern zu transportieren, findet inzwischen im Netz statt, das stimmt. Darum ist das auch nicht unsere Strategie. Natürlich pflegen wir weiter einen kurzen prägnanten Erzählstil. Bei Titelthemen legen wir aber vier, fünf Seiten zu. Diese Tiefe ist lange eher untypisch für den Focus gewesen. Wer bei mir einen Titel kauft, der ist nachher richtig satt. Ich glaube, das ist der einzige Weg für Magazine.

Sie haben 20 Jahre lang bei Springer Tageszeitungen gemachte. Kommen Sie mit dem Wochenrhythmus klar?
Man muss sich völlig umstellen. Ich mache seit 1985 Tageszeitung, und manchmal lachen die Kollegen, wenn ich mittwochs bei einer Großlage herumwirbele - und tags drauf alles in den Zeitungen steht. Eine Magazingeschichte muss eine Woche halten, trotzdem habe ich bei der Aktualität die Schlagzahl beim Focus erhöht. Unser Bundestagswahl-Special war ein Tag vor dem Spiegel am Kiosk. Wenn es sein muss, schmeißen wir noch am Freitagabend das Titelthema um. Print bläst der Wind gehörig ins Gesicht, und da kann man nur bestehen, wenn man härter rudert. Eine alte Tageszeitungsmacke pflege ich noch beim Focus: Ich habe mir einen Agenturdrucker hinter meinem Schreibtisch aufstellen lassen, der die wichtigsten Eilmeldungen ausstößt. Die trage ich dann persönlich ins Ressort und frage: Was machen wir damit?

Womöglich hat die Redaktion die Eilmeldungen schon am Computer gesehen.
Vielleicht ja. Aber ich mache ein Printprodukt und der Drucker passt zu mir. Außerdem finde ich, dass Gespräche effektiver sind als nur Mails weiterzuleiten. Wenn Sie aber glauben, ich lebe unter einem Stein und nicht in der digitalen Welt, irren Sie gewaltig. Ich bin kontinuierlich im Netz.

In allen Verlagen wachsen die Redaktionen von Print und Online zusammen. Ist es nicht Irrsinn, dass Heft und Portal zu verschiedenen Konzernen gehören?
Auch wenn wir nicht räumlich und personell verschmolzen sind, pflegen wir einen engen Austausch. Viele unserer Autoren sind auch online zu lesen. Und wir weisen im Heft darauf hin, was Focus.de macht. Im Alltag blendet man die unterschiedlichen Konzernstrukturen völlig aus.

Wenn Sie versuchen, bei Focus die Qualität zu erhöhen, ist bei Focus.de noch Luft nach oben. Ein börsennotiertes Unternehmen macht Rummel, um die Reichweite zu erhöhen. Netmoms präsentiert Sextipps, die Huffington Post lockt mit Krawalljournalismus und Gratisschreibern. Passt das zur Marke Focus?
Es gibt keinen Grund, schlecht über Focus.de zu sprechen. Ich gehe mit den Gegebenheiten um und habe meine eigenen Hausaufgaben zu machen. Klar ist: Das Magazin und die Website arbeiten für unterschiedliche Zielgruppen, die sich zu weniger als zehn Prozent überschneiden. Die User sind jünger und aus dem Netz einen anderen Ton gewöhnt. Das ist bei Spiegel online oder bild.de kein bisschen anders.

Die Lesergruppen werden sich in der Zukunft immer weiter überschneiden.
Ich lebe und arbeite in der Jetztzeit. Ich habe genug damit zu tun, das Heft erfolgreich in den Markt zu bringen. Natürlich wäre es nützlich, wenn man das E-Paper über Focus Online einfacher kaufen könnte. Aber es ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn ich meine besten Geschichten vorab bei Focus Online abspiele. Warum sollte ich lange recherchierte Exklusivgeschichten kostenlos verballern, wenn wir das Magazin für 3,70 Euro verkaufen können?

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