Mascha kommt aus Aserbaidschan, sie ist Jüdin und Mitte der Neunzigerjahre als Jugendliche mit ihrer Familie vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen. Ihr Liebhaber ist Deutscher, ihr bester Freund ein schwuler Türke, ihr früherer Liebhaber ein palästinensischer Macho, der jetzt in New York an seiner Doktorarbeit schreibt. Ethnische Identitätszuschreibungen sind für sie eine provinzielle Zumutung oder ein schlechter Witz. Kein Wunder, dass ihr die bemühte Mehrheitsgesellschaft-Floskel vom "Migrationshintergrund" auf die Nerven fällt: "Immer wenn ich dieses Wort las oder hörte, spürte ich, wie mir die Gallenflüssigkeit hochkam. Schlimmer wurde es lediglich beim Adjektiv ,postmigrantisch'".
Die Hauptdarstellerin der Theateradaption des Romans "Der Russe ist einer, der Birken liebt" kann das Wort "Migrationshintergrund" und alles was damit in Verbindung steht nicht mehr hören. Dieses Statement war längst überfällig und sorgt nebenbei für Aufmerksamkeit für das Stück.
Mascha ist die Hauptfigur in Olga Grjasnowas hinreißendem Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt", dessen Theateradaption die israelische Regisseurin Yael Ronen jetzt zum Spielzeitauftakt am Berliner Maxim Gorki Theater inszeniert hat.
Mit ihrer allergischen Reaktion auf die Rede vom "Migrationshintergrund" ist Mascha hier genau richtig: Das kleinste Berliner Staatstheater versteht sich unter der neuen Intendanz von Shermin Langhoff und Jens Hillje, sozusagen den Integrationsbeauftragten des deutschen Stadttheaters, als dezidiert postmigrantische Bühne. Das hat am winzigen Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße, das Shermin Langhoff erfunden und bis vor kurzem geleitet hat, schon hervorragend als Aufmerksamkeitsgenerator und Karrierebeschleuniger funktioniert. Jetzt sorgt es auch beim Gorki-Neustart für rege mediale Anteilnahme. Wobei die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit nicht zwingend in direktem Verhältnis zur künstlerischen Qualität steht, und nicht zuletzt auf das starke, politisch überfällige Statement der Öffnung des Theaters für migrantische Akteure reagiert.
Die spannenden Fragen lauten also: Reicht die künstlerische Potenz aus der Kreuzberger Hinterhofbühne für das ungleich größere Maxim Gorki Theater, lassen sich all die Postmigranten-Parolen auf der Bühne mit gelungenen Inszenierungen einlösen? Oder erschöpft sich das Gorki-Angebot in Statements und der von sich selbst begeisterten Geste, endlich die letzte Bastion des deutschen oder, im entsprechenden, nicht ganz ressentimentfreien Vokabular, des "biodeutschen" Kulturbetriebs zu stürmen?
Unter den drei Eröffnungspremieren gibt Yael Ronens Roman-Adaption darauf die überzeugendste Antwort, auch wenn die Inszenierung in der Figurenzeichnung wie im Ausleuchten der Konflikte und komplizierten Identitätskonstruktionen der postmigrantischen Charaktere wesentlich undifferenzierter ist als Olga Grjasnowas Romanvorlage. Ronen erzählt schnörkellos, komisch, am Anfang mit Freude an kabarettistisch zugespitzten Stereotypen, lässt sich dann aber auch ohne Ironiefilter und Grobzeichner auf ihre Figuren ein. Lustig wird das, wenn Maschas deutscher Freund Elias (Knut Berger) die anderen als "perfekt integrierte Vorbildausländer" beschimpft, wenn der schwule Türke Cem (ein Talent, von dem man mehr sehen will: Dimitrij Schaad) so spöttisch wie warmherzig seine Freundin Mascha tröstet oder wenn ein etwas klebriger, verkniffen deutscher Akademiker Mascha Avancen macht (sehr komisch: Tim Porath). Dass der Abend bei aller Ironie und dem Spiel mit milieukulturellen Klischees emotionale Kraft entwickelt, liegt vor allem an Anastasia Gubareva, der großartigen Darstellerin der bürgerkriegstraumatisierten Mascha. Sie spielt die herben Ausbrüche, die großen, aber unsortierten Gefühle ihrer Figur, Maschas anstrengende Kombination aus Kompromisslosigkeit und Empfindlichkeit mit Wucht, Feinheit und Intelligenz.
Anastasia Gubareva und ihre ebenfalls ausstrahlungsstarke Kollegin Marina Frenk sind auch in einer kleinen, überzeugenden Studioproduktion, Hakan Savas Micans Inszenierung von Marianna Salzmanns "Schwimmen Lernen", eine Freude, der Skizze einer lesbischen Amour fou. Sie liefern den Beweis, dass das deutsche Theater so tolle Schauspieler wie Marina Frenk, geboren in Moldawien, Anastasia Gubareva, geboren in Moskau und Dimitrij Schaad, geboren in Kasachstan, dringend braucht. Unnötig zu sagen, dass sie natürlich keinen Exoten-Bonus nötig haben und jederzeit Kleist-Verse sprechen könnten, ohne dass einer auf die Idee käme, ihre erste Sprache wäre nicht Deutsch gewesen.
Wie es auch anders geht, nämlich selbstverliebt dröhnend, reichlich konfus und nicht weiter an Figuren, Stückvorlage oder Inhalten interessiert, führt der Hausregisseur Nurkan Erpulat mit einer eitlen, folkloristisch bunt aufgedonnerten "Kirschgarten"-Variation vor, halb schwerfällige Revue, halb Typenkabarett. Seine Inszenierung beweist vor allem, dass es keine gute Idee ist, jedes Stück zur Postmigrantenparabel verbiegen zu wollen und dass Posen kein guter Ersatz für Kunst sind.
Man darf gespannt sein auf die weiteren Gorki-Wanderungsbewegungen.
Die Hauptdarstellerin der Theateradaption des Romans "Der Russe ist einer, der Birken liebt" kann das Wort "Migrationshintergrund" und alles was damit in Verbindung steht nicht mehr hören. Dieses Statement war längst überfällig und sorgt nebenbei für Aufmerksamkeit für das Stück.
Mascha ist die Hauptfigur in Olga Grjasnowas hinreißendem Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt", dessen Theateradaption die israelische Regisseurin Yael Ronen jetzt zum Spielzeitauftakt am Berliner Maxim Gorki Theater inszeniert hat.
Mit ihrer allergischen Reaktion auf die Rede vom "Migrationshintergrund" ist Mascha hier genau richtig: Das kleinste Berliner Staatstheater versteht sich unter der neuen Intendanz von Shermin Langhoff und Jens Hillje, sozusagen den Integrationsbeauftragten des deutschen Stadttheaters, als dezidiert postmigrantische Bühne. Das hat am winzigen Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße, das Shermin Langhoff erfunden und bis vor kurzem geleitet hat, schon hervorragend als Aufmerksamkeitsgenerator und Karrierebeschleuniger funktioniert. Jetzt sorgt es auch beim Gorki-Neustart für rege mediale Anteilnahme. Wobei die erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit nicht zwingend in direktem Verhältnis zur künstlerischen Qualität steht, und nicht zuletzt auf das starke, politisch überfällige Statement der Öffnung des Theaters für migrantische Akteure reagiert.
Die spannenden Fragen lauten also: Reicht die künstlerische Potenz aus der Kreuzberger Hinterhofbühne für das ungleich größere Maxim Gorki Theater, lassen sich all die Postmigranten-Parolen auf der Bühne mit gelungenen Inszenierungen einlösen? Oder erschöpft sich das Gorki-Angebot in Statements und der von sich selbst begeisterten Geste, endlich die letzte Bastion des deutschen oder, im entsprechenden, nicht ganz ressentimentfreien Vokabular, des "biodeutschen" Kulturbetriebs zu stürmen?
Unter den drei Eröffnungspremieren gibt Yael Ronens Roman-Adaption darauf die überzeugendste Antwort, auch wenn die Inszenierung in der Figurenzeichnung wie im Ausleuchten der Konflikte und komplizierten Identitätskonstruktionen der postmigrantischen Charaktere wesentlich undifferenzierter ist als Olga Grjasnowas Romanvorlage. Ronen erzählt schnörkellos, komisch, am Anfang mit Freude an kabarettistisch zugespitzten Stereotypen, lässt sich dann aber auch ohne Ironiefilter und Grobzeichner auf ihre Figuren ein. Lustig wird das, wenn Maschas deutscher Freund Elias (Knut Berger) die anderen als "perfekt integrierte Vorbildausländer" beschimpft, wenn der schwule Türke Cem (ein Talent, von dem man mehr sehen will: Dimitrij Schaad) so spöttisch wie warmherzig seine Freundin Mascha tröstet oder wenn ein etwas klebriger, verkniffen deutscher Akademiker Mascha Avancen macht (sehr komisch: Tim Porath). Dass der Abend bei aller Ironie und dem Spiel mit milieukulturellen Klischees emotionale Kraft entwickelt, liegt vor allem an Anastasia Gubareva, der großartigen Darstellerin der bürgerkriegstraumatisierten Mascha. Sie spielt die herben Ausbrüche, die großen, aber unsortierten Gefühle ihrer Figur, Maschas anstrengende Kombination aus Kompromisslosigkeit und Empfindlichkeit mit Wucht, Feinheit und Intelligenz.
Anastasia Gubareva und ihre ebenfalls ausstrahlungsstarke Kollegin Marina Frenk sind auch in einer kleinen, überzeugenden Studioproduktion, Hakan Savas Micans Inszenierung von Marianna Salzmanns "Schwimmen Lernen", eine Freude, der Skizze einer lesbischen Amour fou. Sie liefern den Beweis, dass das deutsche Theater so tolle Schauspieler wie Marina Frenk, geboren in Moldawien, Anastasia Gubareva, geboren in Moskau und Dimitrij Schaad, geboren in Kasachstan, dringend braucht. Unnötig zu sagen, dass sie natürlich keinen Exoten-Bonus nötig haben und jederzeit Kleist-Verse sprechen könnten, ohne dass einer auf die Idee käme, ihre erste Sprache wäre nicht Deutsch gewesen.
Wie es auch anders geht, nämlich selbstverliebt dröhnend, reichlich konfus und nicht weiter an Figuren, Stückvorlage oder Inhalten interessiert, führt der Hausregisseur Nurkan Erpulat mit einer eitlen, folkloristisch bunt aufgedonnerten "Kirschgarten"-Variation vor, halb schwerfällige Revue, halb Typenkabarett. Seine Inszenierung beweist vor allem, dass es keine gute Idee ist, jedes Stück zur Postmigrantenparabel verbiegen zu wollen und dass Posen kein guter Ersatz für Kunst sind.
Man darf gespannt sein auf die weiteren Gorki-Wanderungsbewegungen.