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Bleiberecht am Hindukusch

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Nach monatelangem Ringen hat sich Afghanistans Präsident Hamid Karsai mit den USA auf einen Vertragstext geeinigt, der die Präsenz amerikanischer Truppen und später auch von Nato-Soldaten nach dem Jahr 2014 in Afghanistan regelt. Am Donnerstag begann in Kabul eine große Ratsversammlung von Ältesten, Mullahs und Würdenträgern mit der Diskussion über den Vertrag, über den innerhalb von drei Tagen abgestimmt werden soll. Wird der Text von der Versammlung und später auch vom afghanischen und amerikanischen Parlament angenommen, werden internationale Truppen mit vermutlich bis zu 12 000 Mann an acht afghanischen Standorten stationiert bleiben.



Hamid Karsal einigt sich mit den USA auf die Präsenz amerikanischer Truppen nach dem Jahr 2014.

Der Stationierungsvertrag ist das juristische Kernstück für die weitere politische und militärische Zusammenarbeit Afghanistans mit den ausländischen Einheiten. Ohne die rechtliche Sicherheit eines Vertrags würden die USA und auch alle anderen Nato-Nationen ihre Soldaten bis Ende 2014 abziehen. Im Irak beorderten die USA ihre Soldaten sofort zurück, als Stationierungsverhandlungen gescheitert waren. Um den Abzug nun nicht in Afghanistan einleiten zu müssen, sind Unterzeichnung und die parlamentarische Zustimmung möglichst bald notwendig. Karsai kündigte allerdings an, das der Text erst nach den Präsidentschaftswahlen im April unterzeichnet werden könne.

Das Abkommen zwischen Afghanistan und den USA wird als Vorbild für ein ähnliches Dokument dienen, das die Nato für die übrigen Nationen, darunter auch Deutschland, abschließen wird. Von den vermutlich 12 000 verbleibenden Soldaten werden die USA zwei Drittel stellen. Verteidigungsminister Thomas de Maizière hatte bereits angekündigt, 600 bis 800 Soldaten im Land belassen zu wollen.

Ziel einer längeren Stationierung ist laut Truppenvertrag vor allem die weitere Ausbildung und Unterstützung afghanischer Sicherheitskräfte. Die afghanische Regierung ist aber vor allem an der Finanzierung und Ausrüstung ihrer Sicherheitskräfte interessiert. Die westliche Hilfe addiert sich auf vier Milliarden Dollar monatlich und gilt damit als wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ohne das Geld würde Kabul die eigenen Soldaten nicht bezahlen können und damit den Zerfall der staatlichen Strukturen beschleunigen. Die USA sind darüber hinaus daran interessiert, weiterhin mutmaßliche Terroristen in der afghanisch-pakistanischen Region von ihren Militärbasen aus angreifen zu können.

Der Stationierungsvertrag, von dem ein Entwurf veröffentlicht wurde, lässt für die Terrorbekämpfung allerdings nur wenig Raum. So sollten amerikanische Einheiten nur gemeinsam mit afghanischen Soldaten und unter deren Führung aktiv werden. Der afghanischen Seite ging es in den Verhandlungen vor allem um die Unverletzlichkeit von Wohnungen. In der Vergangenheit waren US-Einheiten immer wieder in Kommandoaktionen in afghanische Häuser eingedrungen. Nun heißt es, dass die amerikanischen Antiterror-Einsätze nur unter Respektierung der afghanischen Souveränität und in voller Achtung der Sicherheit der Afghanen und ihrer Häuser stattfinden dürften.

Die USA waren hingegen nicht bereit, die Forderung Karsais nach einer schriftlichen Entschuldigung von US-Präsident Barack Obama für militärische Fehler und zivile Tote während der letzten zwölf Jahre zu erfüllen. Möglich wäre aber eine andere Form der Kommunikation zwischen Obama und Karsai. Denkbar wäre, dass der US-Präsident sein Bedauern mündlich ausdrückt. Obama wird eine schriftliche Festlegung scheuen, weil sich daraus größere Haftungsansprüche ableiten ließen. Außerdem geriete er innenpolitisch unter Druck, wenn er Fehler einräumte.

Das Abkommen nennt kein Enddatum für die Stationierung ausländischer Truppen, sondern läuft bis zum Jahr 2014 'und darüber hinaus'. Allerdings ist es binnen zwei Jahren von beiden Seiten aufkündbar. Klar war bereits vor der Vereinbarung, dass weder die USA noch die übrigen Nato-Staaten Kampfeinheiten in Afghanistan belassen wollen. Die ausländischen Soldaten sind auch gezwungen, sich vor allem in ihren Stützpunkten aufzuhalten, wo sie sich auf Ausbildung und Training konzentrieren. Einsätze im Land sind demnach nicht erlaubt.

Unerlässlicher Vertragsbestandteil aller ausländischen Truppensteller ist die Klausel, die sicherstellt, dass die Soldaten nicht einer afghanischen Gerichtsbarkeit unterstellt sind. Eine anderslautende Forderung der afghanischen Regierung war das größte Hindernis auf dem Weg zu einem Vertragsabschluss. Allerdings scheinen zivile Vertragsunternehmer, etwa so genannte 'contractors' der US-Streitkräfte, keine Immunität zu genießen.

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