Es ist kurz vor zwölf Uhr, als Christian Krähling, 36, auf das Podium steigt und in die Halle ruft, wer für einen einwöchigen Streik bei Amazon stimme. Die Mehrheit der Leute hebt die Hand, es brandet Applaus auf. Damit wird die nächste Etappe im Arbeitskampf bei Amazon eingeleitet. Es ist der 15. Aktionstag, zu dem die Gewerkschaft Verdi die Beschäftigten in Bad Hersfeld aufgerufen hat. Auch in Leipzig wurde gestreikt.
Keine Spur von Kräftegleichgewicht. Die Mitarbeiter im Logistik-Center in Bad Hersfeld kämpfen gegen einen Giganten.
Der Ausstand sollte zunächst 24 Stunden dauern. Er könnte noch weiter gehen - und das im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft. Ob es zu weiteren Streiks kommt, liege "ganz in der Hand von Amazon", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Mechthild Middecke. "In der Sekunde, in der Amazon in Verhandlungen einwilligt, sitzen wir am Tisch und stehen nicht mehr vor der Tür", erklärt sie.
Ob es diese Sekunde aber jemals geben wird, ist fraglich. Denn Amazon lehnt die Tarifbindung nach wie vor ab. In diesem Jahr kam es an vielen Amazon-Standorten zu Streiks. Die Gewerkschaft will das Unternehmen dazu bringen, die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag für den Handel zu bezahlen. Amazon könne sich auf Dauer einer branchenüblichen Bezahlung nicht entziehen. Doch der Konzern bleibt hart und lehnt Tarifverhandlungen entschieden ab. Man orientiere sich bei der Bezahlung am Tarifvertrag für die Logistikbranche. Amazon sei überdies ein Logistikunternehmen und kein Händler. Bei den Aufgaben der Mitarbeiter handele es sich um typische Aufgaben aus dem Logistikbereich, wie Lagerung, Verpackung und Versand von Artikeln. "Mitarbeiter der neun deutschen Amazon-Logistikzentren liegen mit ihrem Einkommen am oberen Ende dessen, was in der Logistikindustrie üblich ist: Mindestens 10,47 Euro pro Stunde im zweiten Jahr (mindestens 9,55 Euro im ersten Jahr) plus Boni", teilt das Unternehmen auch diesmal wieder mit.
Amazon ist der weltweit größte Online-Versandhändler. Der US-Konzern hat etwa 70000 Mitarbeiter, davon sind in den deutschen Logistikzentren 9000 Menschen fest angestellt.
Dass Amazon seinen Beschäftigten nun erstmals ein Weihnachtsgeld zahlen will, hält die Gewerkschaft für eine Farce. Denn es entspreche weder der Höhe nach dem tariflichen Weihnachtsgeld, noch begründe sich daraus ein Rechtsanspruch. Konkret wolle Amazon den Kommissionierern ein Weihnachtsgeld von 400 Euro bezahlen, nach dem Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel Hessen wären dies 1240 Euro. Die Vorarbeiter sollen 600 Euro Weihnachtsgeld bekommen, anstatt der tariflichen 1427 Euro, rechnet Verdi vor.
Um fünf Uhr morgens hatten die Streikposten in Bad Hersfeld ihren Posten bezogen. Viele Streikende sind jedoch gleich in die Schilde-Halle gegangen. Sie tragen gelbe Streikwesten und sitzen an Biertischen, im hinteren Teil der Halle hängt ein schwarzer Vorhang. Davor tragen sich die Beschäftigten in die Streiklisten ein. Über ihnen schwebt der alte Lastenkran in der ehemaligen Fabrikhalle. Das Ambiente aus Ziegelstein und Eisenträgern erinnert an alte glorreiche Arbeiterzeiten. Doch der Familienbetrieb hat längst seine Pforten geschlossen. Produziert wird in dieser hessischen Gegend nur noch wenig. Jetzt haben hier einige Logistikfirmen ihren Sitz.
Es ist schwierig für Leute in der Region, einen Job zu finden, gerade für geringer Qualifizierte. Deswegen waren sie sehr dankbar, als Amazon das erste Lager 1999 eröffnete. Zu denjenigen, die einen Job bekamen, zählt auch Günter Wydra. Die Stimmung sei lange Zeit gut gewesen, erzählt der gelernte Dachdecker und spricht rückblickend von einer "großen Familie". Dabei malochten die Leute hart in den Hallen. "In der Weihnachtszeit habe ich jeden Sonntag gearbeitet", sagt der 54-Jährige. Doch dann veränderte sich die Stimmung. Das erzählen viele Beschäftigte hier, von denen die meisten lieber anonym bleiben wollen, weil sie Repressalien fürchten.
Wydra und Krähling gehören als Sprecher der Vertrauensleute in den beiden Hersfelder Werken zu den Wortführern. Die beiden Arbeiter berichten, dass es bei Amazon mehrere Jahre lang keine Lohnerhöhungen gegeben habe. Dies habe zu Unmut geführt. Irgendwann wollten einige Beschäftigte nicht mehr alleine auf die freiwilligen Leistungen des amerikanischen Arbeitgebers vertrauen. "Vielen war aber gar nicht klar, dass wir als Betriebsrat keine Tarifverhandlungen führen können", sagt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Lothar Bruns. So kam Verdi ins Spiel.
Seit den gewerkschaftlichen Aktionen habe sich einiges getan, es habe zwei Mal eine Gehaltserhöhung gegeben und für viele Beschäftigte in diesem Jahr eine Zusatzprämie, selbst Kaffee an den Automaten gebe es umsonst. Und dennoch: Die Betriebsleute, Gewerkschafter und Wortführer machen den Anwesenden klar, dass sie einen langen Atem brauchen, wenn sie einen Tarifvertrag haben wollen.
Äußerlich dürfte Amazon gelassen auf den Streik reagieren, da sind sich viele der Streikenden einig. Und tatsächlich teilt Amazon offiziell mit: "Wir arbeiten auch in den nächsten Wochen darauf hin, dass unsere Kunden in der Weihnachtszeit den gewohnten Service und die beste Zuverlässigkeit ihrer Lieferungen bekommen, die sie auch unterjährig gewohnt sind. Dafür nutzen wir unser gesamtes deutsches und europäisches Logistiknetzwerk." Bei den bisherigen Streiks habe die Mehrheit der Mitarbeiter gearbeitet - von den Arbeitskämpfen hätten die Kunden nichts gespürt.
Für die Streikenden in Bad Hersfeld ist das Schönfärberei. In den Werken sei die Stimmung angeheizt. Und dennoch: "Durch die Belegschaft geht ein Graben", sagt eine 50-jährige Arbeiterin. In der Runde stimmen ihr mehrere Kolleginnen zu. Wenige Tage vor dem Streiktag fand beispielsweise eine Versammlung statt, bei der alle sogenannten "All Hands" anwesend waren - so nennt das Unternehmen die Leute, die hier tagaus tagein Waren lagern, sortieren, verpacken und verschicken. "Da wurde wieder einmal gegen Verdi gewettert", sagt eine 31-Jährige. Die behaupteten, die Gewerkschaft wolle das Weihnachtsgeschäft lahmlegen.
Angefeindet wurde vor allem der Verdi-Gewerkschaftsmann Heiner Reimann. Der hat in den vergangenen Jahren die Gewerkschaftsarbeit bei Amazon aufgebaut und eine Internet-Plattform gegründet, auf der sich die Mitarbeiter austauschen und informieren können. Und dann fragen die Aktiven in die Runde, wer als Streikposten bei der Spätschicht mitmachen wolle. Einige Finger gehen hoch. Zwei Gruppen machen sich auf den Weg, um ihre Kollegen von dem Streik zu überzeugen. "Wir werden weiter streiken. Aber wann, das werden wir spontan entscheiden", teilte Verdi am Nachmittag mit - knapp vier Wochen vor dem Weihnachtsfest.
Keine Spur von Kräftegleichgewicht. Die Mitarbeiter im Logistik-Center in Bad Hersfeld kämpfen gegen einen Giganten.
Der Ausstand sollte zunächst 24 Stunden dauern. Er könnte noch weiter gehen - und das im umsatzstarken Weihnachtsgeschäft. Ob es zu weiteren Streiks kommt, liege "ganz in der Hand von Amazon", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Mechthild Middecke. "In der Sekunde, in der Amazon in Verhandlungen einwilligt, sitzen wir am Tisch und stehen nicht mehr vor der Tür", erklärt sie.
Ob es diese Sekunde aber jemals geben wird, ist fraglich. Denn Amazon lehnt die Tarifbindung nach wie vor ab. In diesem Jahr kam es an vielen Amazon-Standorten zu Streiks. Die Gewerkschaft will das Unternehmen dazu bringen, die Mitarbeiter nach dem Tarifvertrag für den Handel zu bezahlen. Amazon könne sich auf Dauer einer branchenüblichen Bezahlung nicht entziehen. Doch der Konzern bleibt hart und lehnt Tarifverhandlungen entschieden ab. Man orientiere sich bei der Bezahlung am Tarifvertrag für die Logistikbranche. Amazon sei überdies ein Logistikunternehmen und kein Händler. Bei den Aufgaben der Mitarbeiter handele es sich um typische Aufgaben aus dem Logistikbereich, wie Lagerung, Verpackung und Versand von Artikeln. "Mitarbeiter der neun deutschen Amazon-Logistikzentren liegen mit ihrem Einkommen am oberen Ende dessen, was in der Logistikindustrie üblich ist: Mindestens 10,47 Euro pro Stunde im zweiten Jahr (mindestens 9,55 Euro im ersten Jahr) plus Boni", teilt das Unternehmen auch diesmal wieder mit.
Amazon ist der weltweit größte Online-Versandhändler. Der US-Konzern hat etwa 70000 Mitarbeiter, davon sind in den deutschen Logistikzentren 9000 Menschen fest angestellt.
Dass Amazon seinen Beschäftigten nun erstmals ein Weihnachtsgeld zahlen will, hält die Gewerkschaft für eine Farce. Denn es entspreche weder der Höhe nach dem tariflichen Weihnachtsgeld, noch begründe sich daraus ein Rechtsanspruch. Konkret wolle Amazon den Kommissionierern ein Weihnachtsgeld von 400 Euro bezahlen, nach dem Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel Hessen wären dies 1240 Euro. Die Vorarbeiter sollen 600 Euro Weihnachtsgeld bekommen, anstatt der tariflichen 1427 Euro, rechnet Verdi vor.
Um fünf Uhr morgens hatten die Streikposten in Bad Hersfeld ihren Posten bezogen. Viele Streikende sind jedoch gleich in die Schilde-Halle gegangen. Sie tragen gelbe Streikwesten und sitzen an Biertischen, im hinteren Teil der Halle hängt ein schwarzer Vorhang. Davor tragen sich die Beschäftigten in die Streiklisten ein. Über ihnen schwebt der alte Lastenkran in der ehemaligen Fabrikhalle. Das Ambiente aus Ziegelstein und Eisenträgern erinnert an alte glorreiche Arbeiterzeiten. Doch der Familienbetrieb hat längst seine Pforten geschlossen. Produziert wird in dieser hessischen Gegend nur noch wenig. Jetzt haben hier einige Logistikfirmen ihren Sitz.
Es ist schwierig für Leute in der Region, einen Job zu finden, gerade für geringer Qualifizierte. Deswegen waren sie sehr dankbar, als Amazon das erste Lager 1999 eröffnete. Zu denjenigen, die einen Job bekamen, zählt auch Günter Wydra. Die Stimmung sei lange Zeit gut gewesen, erzählt der gelernte Dachdecker und spricht rückblickend von einer "großen Familie". Dabei malochten die Leute hart in den Hallen. "In der Weihnachtszeit habe ich jeden Sonntag gearbeitet", sagt der 54-Jährige. Doch dann veränderte sich die Stimmung. Das erzählen viele Beschäftigte hier, von denen die meisten lieber anonym bleiben wollen, weil sie Repressalien fürchten.
Wydra und Krähling gehören als Sprecher der Vertrauensleute in den beiden Hersfelder Werken zu den Wortführern. Die beiden Arbeiter berichten, dass es bei Amazon mehrere Jahre lang keine Lohnerhöhungen gegeben habe. Dies habe zu Unmut geführt. Irgendwann wollten einige Beschäftigte nicht mehr alleine auf die freiwilligen Leistungen des amerikanischen Arbeitgebers vertrauen. "Vielen war aber gar nicht klar, dass wir als Betriebsrat keine Tarifverhandlungen führen können", sagt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats Lothar Bruns. So kam Verdi ins Spiel.
Seit den gewerkschaftlichen Aktionen habe sich einiges getan, es habe zwei Mal eine Gehaltserhöhung gegeben und für viele Beschäftigte in diesem Jahr eine Zusatzprämie, selbst Kaffee an den Automaten gebe es umsonst. Und dennoch: Die Betriebsleute, Gewerkschafter und Wortführer machen den Anwesenden klar, dass sie einen langen Atem brauchen, wenn sie einen Tarifvertrag haben wollen.
Äußerlich dürfte Amazon gelassen auf den Streik reagieren, da sind sich viele der Streikenden einig. Und tatsächlich teilt Amazon offiziell mit: "Wir arbeiten auch in den nächsten Wochen darauf hin, dass unsere Kunden in der Weihnachtszeit den gewohnten Service und die beste Zuverlässigkeit ihrer Lieferungen bekommen, die sie auch unterjährig gewohnt sind. Dafür nutzen wir unser gesamtes deutsches und europäisches Logistiknetzwerk." Bei den bisherigen Streiks habe die Mehrheit der Mitarbeiter gearbeitet - von den Arbeitskämpfen hätten die Kunden nichts gespürt.
Für die Streikenden in Bad Hersfeld ist das Schönfärberei. In den Werken sei die Stimmung angeheizt. Und dennoch: "Durch die Belegschaft geht ein Graben", sagt eine 50-jährige Arbeiterin. In der Runde stimmen ihr mehrere Kolleginnen zu. Wenige Tage vor dem Streiktag fand beispielsweise eine Versammlung statt, bei der alle sogenannten "All Hands" anwesend waren - so nennt das Unternehmen die Leute, die hier tagaus tagein Waren lagern, sortieren, verpacken und verschicken. "Da wurde wieder einmal gegen Verdi gewettert", sagt eine 31-Jährige. Die behaupteten, die Gewerkschaft wolle das Weihnachtsgeschäft lahmlegen.
Angefeindet wurde vor allem der Verdi-Gewerkschaftsmann Heiner Reimann. Der hat in den vergangenen Jahren die Gewerkschaftsarbeit bei Amazon aufgebaut und eine Internet-Plattform gegründet, auf der sich die Mitarbeiter austauschen und informieren können. Und dann fragen die Aktiven in die Runde, wer als Streikposten bei der Spätschicht mitmachen wolle. Einige Finger gehen hoch. Zwei Gruppen machen sich auf den Weg, um ihre Kollegen von dem Streik zu überzeugen. "Wir werden weiter streiken. Aber wann, das werden wir spontan entscheiden", teilte Verdi am Nachmittag mit - knapp vier Wochen vor dem Weihnachtsfest.