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Zwangsläufig interessant

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So hat der Popstar Britney Spears am Ende auch noch die Einsatzkräfte der britischen Marine unterstützt, den Weltfrieden gestärkt, etwas, das ja alle Kunst gern können würde. Ihre Musik, so berichtete kürzlich eine Schiffsoffizierin, werde derzeit am Horn von Afrika eingesetzt, um somalische Piraten zu vertreiben. Heranschippernde Plünderer beschießt man angeblich nicht mehr mit Kugeln oder Harpunen, sondern über Lautsprecher mit Top-Ten-Hits wie "Gimme More" oder "Oops! I Did It Again". Viele drehen dann sofort ab, Genfer Konventionen gelten hier nicht.



Britney veröffentlicht ihr neues, achtes Album.

Noch mehr Leute freuen sich über solche Nachrichten. Weil Spears - ehemaliger Kinderstar aus Louisiana, zur Jahrtausendwende die absolute, weltweite Nummer eins - von ihren pinkfarbenen Anfängen an bis heute ein leichtes Ziel für jeden Spott gewesen ist (hinter dem oft intellektueller Hochmut oder postmoderne Formen von Frauenfeindlichkeit steckten). Dabei, und so viel Sorgfalt muss sein, schrecken die Seeräuber ja nicht deshalb zurück, weil der Gesang so grauenvoll oder die Musik so pubertär wäre: Für muslimische Piraten symbolisiert Britney Spears generell alles Giftige und Fleischig-Dekadente an der westlichen Kultur. Unsere popkulturelle Sicherheit wird auch am afrikanischen Horn verteidigt, und eigentlich müsste man Britney Spears dankbar sein, dass sie gewissermaßen den Kopf hinhält.

Mit 31 gehört sie nun ja fast schon zu einer versunkenen Entertainergeneration, hat drei Präsidenten und noch mehr ästhetisch-moralische Systemwechsel überlebt. Ab Ende Dezember wird Britney Spears ihre eigene, regelmäßige Show in Las Vegas haben, das kann man auch heute noch als künstlerische Zäsur verstehen. So beginnen die Jahre des Bilanzierens, der Vorhang hebt sich für "Das war ihr Leben", dazu passt auch das neue, insgesamt achte Album "Britney Jean": Es klingt wie der Versuch, alle Charaktere, die sie je gespielt hat, in einem einzigen Programm zusammenzubringen.

Wobei die Frage berechtigt ist, ob es im Jahr 2013 noch jemanden interessiert, wenn eine neue Platte von Britney Spears erscheint. Und bevor man jetzt wieder bröckelnde Verkaufszahlen auflistet oder alte Grammy-Statistiken rauskramt, kann man auch einfach sagen: Es hat uns zu interessieren. Britney Spears, der erste suchmaschinenoptimierte Popstar aller Zeiten, die junge alte Frau, die uns eben nicht in der sexistischen Illusion gelassen hat, dass eine Künstlerin nur dann ernst zu nehmen sei, wenn sie hundertprozentige Herrin aller Entscheidungen sein will - ohne Britney gäbe es doch dieses ganze, immer Madonna zugeschriebene Persönlichkeitenkabinett nicht, von Katy Perry über Rihanna bis Lady Gaga, die weibliche Ader, die heute die Popkultur versorgt.

Und nachdem Britney Spears sich von der eher infantilen Unterhaltungsmusik der Frühzeit zum kompromisslos Elektronischen weiterbewegt hatte, kamen einige ihrer Alben auch bei Kennern und Rechthabern an. "Britney Jean" ist nun leider keine ganz so große Blüte. Zum einen, weil der rätselhaften, in US-Großraumdiscos weiterhin vorherrschenden Liebe zu den europäischen Techno-Sounds der Neunzigerjahre hier diverse Stücke geschuldet sind, die sich für unsere Ohren nur wie Parodien anhören können. Am anderen Ende der Skala stehen dann einige Balladen, die in ihrer musikalischen Einfältigkeit direkt auf die Spears"schen Teenagerjahre zurückverweisen. Keine besonders glückliche Mischung, obwohl sie natürlich für das Gefühlsspektrum der reifen Künstlerin steht, das aller Vermutung nach zwischen Party und Verantwortung, Hektik und kontemplativer Rückschau oszilliert. Solche Alben sollen ja, vor allem, wenn man schon in Las Vegas angekommen ist, immer auch Lebensbilder sein.

Man wird ja fast schon müde, noch einmal all die Bilder aufzuzählen: Britney war das Schulmädchen, die Katholikin, die vor den Augen der Welt den Sex entdeckte. Dann das Wrack mit geschorenem Kopf, die Frau, die live bei den MTV Awards die Choreografie verweigerte und sich selbst aufrichtete. Bald wird sie womöglich als Diva auf der Bühne stehen, deren Paillettenkleid die Leinwand repräsentiert, auf die jahrzehntelang all die vielen verschiedenen Filme projiziert wurden.

Und so wird es tatsächlich noch berührend, wenn die Künstlerin in einem der gelungeneren Tanz-Tracks auf "Britney Jean" singt: "You never know what you got till it"s gone." Man kennt den wahren Wert der Dinge erst, wenn sie weg sind. Bedauern, ein unpoppiges Gefühl. Dass es ausgerechnet hier mal wieder artikuliert wird, zwischen all den Showbusiness-Gesten, von der Frau der tausendundnull Eigenschaften - das lässt einen kurz die Luft anhalten, bevor man dann weiterklickt.

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