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WG mit Oma

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Es sei ja nicht so, dass sie überhaupt keine WG-Erfahrung mitbringe, sagt Inge Ulrich fast ein bisschen empört, natürlich habe auch sie schon mal in einer Art Wohngemeinschaft gelebt. Ein Jahr lang, es müsse 1944 gewesen sein, auf der Hebammenschule in Hamburg, "sechs junge Frauen in einem schmalen Zimmer".



Inge ist froh wieder einen starken Mann in ihrem Haus zu haben. Und auch sonst läuft das Wg leben zwischen der 87 Jährigen und dem 24 Jährigen wie von selbst.

Heute lebt Inge Ulrich, 87, bald 88, in einem großen, verwinkelten Haus in Konstanz, es sind nur ein paar Meter hinunter zum Bodensee. Das Haus erzählt vom kleinen Glück zweier Menschen, auch wenn einer von ihnen, Inge Ulrichs Mann, vor vier Jahren gestorben ist. Da sind die beiden Schreibtische, die sich gegenüber stehen, damit sich Herr und Frau Ulrich anlächeln konnten, wenn sie mal aus den Steuerordnern aufschauten. Da sind die beiden Schlafzimmer, die das Ehepaar irgendwann brauchte, damit sie schlafen konnte, wenn er mal wieder heftig schnarchte. Die Betten stehen immer noch Wand an Wand, die Ulrichs haben sich mit Klopfzeichen gute Nacht gesagt und guten Morgen. Inge Ulrich sagt: "Es ist ein anderes Leben jetzt."

Sie kann ihr Leben, ihre Leben, nachlesen in ihren Tagebüchern, jeden einzelnen Tag seit 1947. Gut, bis auf zwei Wochen in den Siebzigern, da hat sie mit Steno experimentiert, das kann sie inzwischen kaum mehr entziffern. Vor sechs Wochen hat sie jedenfalls ein neues Kapitel begonnen, es gibt jetzt wieder zwei Menschen in dem Haus am See.

Vor sechs Wochen ist Johann Lutterodt hier eingezogen, er ist 24, ungefähr so alt wie Inge Ulrichs Enkel. Nun sitzen die beiden Mitbewohner in der Küche ihres 450 Jahre alten Bauernhauses, die Holzdecke hängt gemütlich tief. Zu tief fast, wenn man 1 Meter 94 groß ist so wie Lutterodt.

Das Schicksal und das Studentenwerk der Universität Konstanz haben da zwei Wege, die sich eigentlich nicht kreuzen dürften, unter einem Dach zusammengeführt: Die feine ältere Hanseatin, die anschaulich erzählen kann, wie sie sich einst vor tieffliegenden englischen Spitfires unter Apfelbäume rettete. Und der kräftige junge Informatikstudent mit den kräuselnden Haaren, der in Ghana aufgewachsen ist und zu Fusseln "Mutzeln" sagt, weil seine Mutter aus Dresden stammt, wo das so üblich ist. "Mutzeln", wiederholt Inge Ulrich, "das hatte ich ja noch nie gehört".

Sie sei froh, dass sie wieder "einen starken Mann" im Haus habe, sagt Inge Ulrich und funkelt ihren Mitbewohner an, als wäre sie noch auf der Hebammenschule in Hamburg. Einmal ist ihr Türschloss aufgebrochen worden, seitdem hängt eine Schiffsglocke in der Küche, mit der könnte sie Alarm schlagen. Muss sie aber gar nicht mehr: "Wenn so ein Einbrecher Herrn Lutterodt sieht, wird er schön wieder gehen."

Es gibt mittlerweile viele Formen von praktischem Zusammenleben, es gibt Alten-WGs, Schwule-Alten-WGs, WGs von Menschen mit und ohne Behinderung. Und es gibt Mini-Generationenhäuser wie die WG Ulrich/Lutterodt in Konstanz. Das funktioniert vielerorts in Deutschland, solange die Angehörigen nicht erwarten, dass der junge Mitbewohner den Pflegedienst ersetzt. "Wohnen für Hilfe", nennt sich das Angebot des Studentenwerks Seezeit, bisher wurden sieben Alt-Jung-WGs vermittelt . Studenten, die bei Senioren einziehen, erhalten für jede Stunde Alltagshilfe zehn Euro Rabatt auf die Monatsmiete.

Johann Lutterodt und Inge Ulrich zählen nicht so genau mit, "das ergibt sich alles von selbst", sagt Lutterodt. Er fegt Laub und schiebt sicher bald Schnee; er geht mit seiner Mitbewohnerin spazieren und für sie einkaufen. Manchmal, wenn der Gemüsewagen von der Insel Reichenau da war, findet er aber auch selbst ein Bündel Karotten vor der Tür zu seinem Einliegerapartment. Und einen Zettel von Inge Ulrich: "Ein paar Vitamine müssen auch sein!"

Das Ganze sei die Idee ihres Sohnes gewesen, sagt Inge Ulrich, "der wollte nicht, dass ich allein bin". Lutterodt hatte den Tipp vom Studentenwerk, er war froh, dass er die Zimmersuche abkürzen konnte - und das "ohne das WG-Casting, das man sonst überall überstehen muss". Sie haben es einfach miteinander probiert, und bislang hat es keiner bereut. Abends holt Inge Ulrich ab und an eine Flasche Portwein aus ihrer "Minibar", die Minibar ist ein hölzerner Kinderwagen mit einem Griff aus Porzellan. Dann erzählt sie von den Spitfires und Lutterodt von der Uni.

Der Junior hat etwas vor mit der Hausältesten, Inge Ulrich weiß nicht, ob ihr das gefallen soll. "Ich möchte Sie an Computer heranführen", sagt er bei einem Gläschen Portwein. "Mich alte Frau?", ruft sie. "Irgendwann muss auch genug sein mit Lernen." Er malt ihr dann aus, wie simpel so ein IPad zu bedienen sei und dass sie bei Facebook immer sehen könnte, was ihr Enkel gerade so in Indien treibt. Inge Ulrich berichtet ihm im Gegenzug, wie irre laut die Olivetti-Rechenmaschine gewesen sei, die sie im Citroen-Autohaus ihres Mannes hatte. Die letzte Entwicklung, die sie mitgemacht habe, sei der Taschenrechner. "Das ist doch schon mal gut", sagt Lutterodt.

Inge Ulrich hat mal darüber nachgedacht, einen Hund anzuschaffen. "Ich habe Angst vor Hunden", sagt Lutterodt. "Na so was", sagt Inge Ulrich. Lutterodt: "Katzen sind okay." Ulrich: "Die zerkratzen alles."

Man ist sich nicht immer einig in so einer WG, das gehört dazu. Aber ernsthafte Probleme? "Ach", sagt Inge Ulrich und denkt eine ganze Weile nach. Eine Sache falle ihr vielleicht ein, aber das sei eigentlich auch überhaupt nicht schlimm gewesen. Gleich nach dem Einzug habe ihr geschätzter Mitbewohner mal drei Tage lang die Waschküche blockiert. Man müsse einfach nur alles aussprechen, dann ließe sich alles regeln, sagt Inge Ulrich. Genau, sagt Johann Lutterodt: "Wir sind doch beide erwachsen."

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