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Zerfall einer jungen Nation

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Zunächst hatte er noch geleugnet, dass es sich bei den ersten Kämpfen um einen Putschversuch gehandelt habe, geschweige denn, dass er irgend etwas damit zu tun habe. Inzwischen aber ruft Riek Machar offen zum Sturz von Präsident Salva Kiir auf: Wenn dieser „über die Bedingungen für seinen Rückzug verhandeln will“, so dessen Rivale und einstiger Vize in einem Interview mit dem französischen Auslandssender RFI, „dann sind wir dazu bereit – aber er muss zurücktreten.“



Hunderte Menschen sterben bei den Machtkämpfen im Südsudan

Bis zu 500 Menschen sind seit Sonntag bei den Kämpfen im Südsudan gestorben, die Lage eskalierte zusätzlich, als Milizen am Donnerstag einen Stützpunkt der Vereinten Nationen stürmten und zwei indische Blauhelm-Soldaten töteten. US-Präsident Obama warnt, das Land stehe am Abgrund zu einem Bürgerkrieg, und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet, dass Soldaten und Polizisten gezielt auf Zivilisten schössen, die der ethnischen Gruppe der Aufständischen angehören.

Was sich nun immer mehr in einen ethnischen Konflikt zu steigern droht, ist in erster Linie ein Machtkampf zwischen zwei Führungsfiguren der südsudanesischen Regierungspartei SPLA, der einstigen Befreiungsbewegung, die das Land nach jahrzehntelangem Kampf mit mehr als zwei Millionen Toten schließlich in die Unabhängigkeit geführt hat. Im Juli 2011 feierte die neue Nation ihre Gründung, und ihr Präsident, der ehemalige Guerillaführer Salva Kiir, jubelte den feiernden Massen zu: „Ein Traum ist wahr geworden.“ Doch jetzt bricht ein Konflikt hervor, der seit langem schwelt und die Kraft entfaltet, diesen Traum von Frieden und Wohlstand zu zerstören.

Der Machtkampf zwischen Präsident Salva Kiir und seinem Vize Riek Machar war bereits im Juli eskaliert. Machar hatte zuvor immer unverblümter verkündet, er werde bei den Wahlen 2015 gegen Kiir antreten, zugleich machte er bei den ausländischen Unterstützern der jungen Nation reichlich Werbung in eigener Sache. Kiir reagierte schließlich auf die wachsende Konkurrenz, indem er das gesamte Kabinett samt Machar entmachtete und damit neues Wasser auf die Mühlen seiner Gegner goss, die ihm seit Längerem einen zunehmend autoritären Führungsstil vorwerfen. Nachdem am vergangenen Sonntagabend Gefechte in der Hauptstadt ausgebrochen waren, erklärte Kiir, man habe einen Putschversuch durch Machar vereitelt, diesen „Propheten des Unheils“. Der bestritt dies zunächst, macht aber nun aus einem Versteck heraus Stimmung gegen den Präsidenten.

Riek Machar ist Mitgründer der damaligen separatistischen Bewegung „Sudan People’s Liberation Movement“ (SPLM), die 1983 den Kampf gegen das arabisch dominierte Regime in Khartum aufnahm. Später aber überwarf sich Machar mit dem damaligen Anführer der SPLM, John Garang, und schlug sich zwischenzeitlich auf die Seite Khartums. Es ist eine alte Rivalität zwischen den Ethnien Dinka und Nuer, die damals wie heute immer wieder hervorbricht: Machar gehört dem Volk der Nuer an, Kiir dagegen ist ein Dinka wie etwa 45 Prozent der Südsudanesen und auch John Garang.

Die Nuer werfen den Dinka seit Langem vor, sie und andere Minderheitsvölker zu benachteiligen; der Konflikt flammte auch während des Befreiungskrieges immer wieder auf und gipfelte im Massaker von Bor im Jahr 1991. Damals richteten Nuer-Kämpfer etwa 2000 Zivilisten vom Volk der Dinka hin, und Riek Machar gilt als der Hintermann des Blutbades. 2005 schloss die SPLA einen Friedensvertrag mit dem Regime in Khartoum, und Machar trat der Organisation wieder bei, die dann mit der Unabhängigkeit 2011 zur Regierungspartei werden sollte. Die einstigen Rivalen demonstrierten ethnische Einigkeit ihrer jungen Nation, doch nun wird offensichtlich, dass die alten Konflikte nicht beigelegt, sondern nur zugedeckt waren.

Einer der Brennpunkte der jüngsten Kämpfe ist die Stadt Bor, der Schauplatz des Massakers an den Dinka 1991. Abtrünnige Soldaten, die sich loyal zu Riek Machar erklären, haben Berichten zufolge die Kontrolle über die Stadt übernommen. In den Gefechten mit Regierungstruppen geriet das Krankenhaus unter Beschuss, etwa 14000 Zivilisten flüchteten sich auf ein Gelände der Vereinten Nationen.

Unterdessen begannen mehrere Nationen, darunter auch Deutschland, ihre Staatsbürger aus dem Südsudan zu evakuieren. Und US-Präsident Obama sieht das Land in die „dunklen Tage seiner Vergangenheit“ zurückfallen.

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