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Virtuelle Linien

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Im TV wird bei jedem Springer eine bunte Linie auf dem weißen Schneehügel eingeblendet, die anzeigt, wo der Athlet landen muss, um die Führung zu übernehmen. Das soll jetzt auch für Live-Zuschauer möglich werden.

Bisher war es bei Sportveranstaltungen in der Regel ja so: Einige hundert, tausend Zuschauer zahlen Eintritt, damit sie in Stadien und Hallen Stimmung machen dürfen; dafür sehen sie im Zweifelsfall weniger als die tausend, millionen Zuschauer, die daheim vor dem Fernseher die entscheidenden Szenen gratis geliefert bekommen. Mehrmals. Aus allen Blickwinkeln, in Super-Super-Zeitlupe und aufbereitet mit 3-D-Grafiken. Dass das zahlende Publikum so viel weniger sieht, ist natürlich ungerecht, in gewisser Weise.

Daher ist es zu begrüßen, was die Veranstalter der demnächst wieder beginnenden Vierschanzentournee im Skispringen angekündigt haben: Sie wollen ihren Stadiongästen auch ein wenig von dem Service zukommen lassen, den die Fernsehzuschauer seit längerem genießen. Im TV wird bei jedem Springer eine bunte Linie auf dem weißen Schneehügel eingeblendet, die anzeigt, wo der Athlet landen muss, um die Führung zu übernehmen. Nun wird so eine Einrichtung auch in den Stadien installiert: Per Farblaser wird die Linie künftig in den Schnee projiziert. Das dient zweifellos dem besseren Verständnis im Stadion.

Eine deutlich sichtbare Linie auf dem Sportplatz, die nach wenigen Augen- blicken wieder verschwindet – das führt direkt zum Fußball. Bei der Klub-WM experimentiert der Weltverband Fifa gerade mit etwas Ähnlichem. Er hat den Schiedsrichtern Spraydosen mitgegeben, damit sie bei Freistößen eine Linie auf dem Rasen markieren, hinter der die Verteidiger zurückbleiben müssen.

Gut, das ist vielleicht nicht ganz so spielentscheidend und technisch ausgereift wie das Modell der Wintersportler. Es ist eher ein weiterer Beleg für den Aktionismus, mit dem die älteren Herren von den Fußball-Verbänden vortäuschen, sich dem technischen Fortschritt nicht völlig zu verschließen. Zwar lassen sie immer mal wieder neue Ideen testen, die dann aber doch nicht umgesetzt werden oder nicht ganz so wie gedacht oder vielleicht später. Meistens werden sie verworfen mit dem Hinweis, der Sport brauche menschliche Elemente, und die Fehler, die dabei herauskämen, würden für lebhafte Debatten unter den Fans führen, was ja irgendwie auch gut sei.

Nun könnten sich die Fußballer aber durchaus mal ein Beispiel an den Skispringern nehmen und ihren Hang zur Bewahrung der Tradition geschickt mit den Forderungen der Moderne verbinden. Bei der Torlinientechnik beispielsweise, einem seit Stefan Kießlings Phantomtreffer in Hoffenheim wieder rege diskutierten Thema der Branche. Die Fifa könnte also die bisher mit weißem Kreidestaub markierte Torlinie durch eine bunte Linie ersetzen; eine virtuelle, die man notfalls ein- und ausblenden kann und hin- und herschieben, gerade so, wie es in den Spielverlauf passt. Das ist natürlich grober Unfug. Aber es würde die Debattendichte an den Stammtischen sicher erhöhen. Und darauf kommt’s im Fußball ja an. Nicht auf mehr Transparenz für die Zuschauer.

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