Egal ob in der Grundschule schon Unikurse besuchen oder eigene Firmen gründen: die Wirtschaft fördert die Mini-Manager.
Auf der großen Wirtschaftsbühne läuft einiges schief: Riskante Spekulationen, faule Kredite, Niedriglöhne. Wenig scheinen die Wirtschaftsbosse aus den jüngsten Krisen gelernt zu haben. Ganz anders versuchen es viele Mini-Manager: minderjährige Unternehmensgründer setzen auf Nachhaltigkeit und Mitmenschlichkeit, sie wollen keine Ausbeutung der Natur und der Menschen, kein eisiges Büroklima. Selbst der kleinste Arbeiter hat in Schülerfirmen ein Mitspracherecht, es gibt flache Hierarchien, und Spekulationen sind ohnehin unerwünscht. Es ist unbestritten ein Trend an deutschen Schulen: Jugendliche rufen eigene kleinen Firmen ins Leben, sie wollen so praxisnah etwas von Wirtschaft verstehen lernen – und tun oft auch noch Gutes damit. Nach Expertenschätzungen gibt es wohl bundesweit inzwischen an etwa jeder fünften Schule solche Unternehmen.
Seit neun Jahren betreibt zum Beispiel die Schülerfirma „Nyendo“ an der Rudolf-Steiner-Schule in Ismaning bei München einen regen Handel mit Kenia. Einmal im Jahr reisen die Elftklässler in die Nähe von Nairobi, um Taschen, Flip-Flops, Schnitzereien, Kämme, Schüsseln oder Tücher einzukaufen. Zu fairen Konditionen, auch eine Partnerschule gibt es dort. Fabian Richt war im vergangenen Schuljahr dabei: „Es war ein umwerfendes Erlebnis, weil wir drei Wochen lang in den kenianischen Familien lebten, ihre Sorgen und Nöte kennenlernten“, sagt der 18-Jährige. Zurück in Deutschland kümmerte er sich um die Produktverwaltung, Mitschülerin Fenja um Buchhaltung und Kalkulation, Stefan übernahm das Marketing, für jeden Mitarbeiter fanden sich Aufgaben. Mehr als ein Dutzend Schüler der neunten bis elften Klasse verkaufen und vertreiben hierzulande die Güter. Sie und ihre Eltern engagieren sich zudem direkt finanziell, zum Beispiel bei den anfallenden Reisekosten. Der Erlös fließt dann fast vollständig nach Kenia.
In den Neunzigerjahren kamen erste Schülerfirmen auf. Sie verhökern Muffins in der Pause, vermitteln Computerfachleute an Senioren oder reparieren Fahrräder. Oft mit dem Drang, die Welt ein bisschen besser zu machen. Rücksichtslose Geldmacherei ist uncool. Genaue Zahlen, wie viele Nachwuchsfirmen es gibt, existieren nicht. Es müssen Tausende sein, da die Teilnehmerzahlen bei Förderpreisen, Wettbewerben und Stipendien jedes Jahr steigen. So meldeten sich im Startjahr 2010 des „Bundes-Schülerfirmen-Contests“, der von Industrie- und Medienunternehmen getragen wird, 89 Schulen an, mittlerweile sind es schon 256. Ein Netzwerk der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung begleitet zudem gut 500 Unternehmen. Als Förderer treten auch einige Länder auf. „Wer früh seine Talente erkennt und seine Fähigkeiten gezielt einzusetzen weiß, hat später die besten beruflichen Chancen“, sagt Sachsen-Anhalts Schulminister Stephan Dorgerloh mit Blick auf seine Initiative. Er ruft Schüler auf: „Nutzt die Chancen, probiert euch aus und verwirklicht eure Ideen!“
Was sich durchaus auch nach Spiel anhört, ist den Schülern ganz schön ernst: Unter Realbedingungen proben sie, wie man eine Firma gründet, führt und weiterentwickelt. Manche Firmen haben eigene Rechtsformen, die Schüler-AG, Schüler-GmbH oder Schüler-GbR. Dort gibt es Arbeitsverträge, die muss nicht nur der Arbeitnehmer unterschreiben, sondern auch seine Eltern – denn nur wenige Geschäftsführer und Angestellte sind schon volljährig.
Jeden Freitag tagt Nyendo; nicht in einem Konferenzsaal, sondern an schnöden Schulbänken. Da wird über Investitionen entschieden oder der neue Geschäftsführer basisdemokratisch gewählt. Fabian hat bis vor Kurzem mitgemacht, nun ist er ausgeschieden, um sich aufs Abitur zu konzentrieren. Nicht automatisch der Älteste und Machthungrigste wird Chef, sondern ein besonders engagierter Schüler.
„Er muss sich als ganz normalen Arbeiter begreifen, der dem sozialen Ziel der Schülerfirma dient“, sagt Irene Holler. Die Schule hat sie als Betreuerin und Coach für die Jungunternehmer engagiert. Denn die Schüler sollen zwar Spaß haben, aber auch viel lernen. Das klingt alles nach einer optimalen Konstellation: Viele Lehrer finden Gefallen an der praxisnahen Lernform, die Schüler drängen allerorten in die Firmen, weil sie damit etwas bewegen können. Und nicht zuletzt liebt sie auch die Wirtschaft, denn sie kann früh Führungskräfte ausfindig machen. Gesucht sei „der Unternehmernachwuchs von morgen“ steht über dem Aufruf zum Bundes-Contest der Schülerfirmen. Doch eben die Nähe zu Unternehmen stößt Manfred Liebel, dem Leiter des Instituts für Globales Lernen und Internationale Studien an der Freien Universität Berlin, sauer auf: „Massiv tragen manche Unternehmensverbände durch Schulpartnerschaften und die Gestaltung von Unterrichtsmaterialien eigene Interessen und Ideologien in die Schulen hinein.“ Von Lehrern würden diese oft blind übernommen, um über Mängel ihres Fachunterrichts hinwegzutäuschen. Richtig sinnvoll könnten die Firmen nur sein, wenn Wirtschaftslehrer sie reflektierend begleiten.
Für Fabians Leben hat Nyendo erste Weichen gestellt. Sein Job in der Projektleitung hat ihm gezeigt, dass ein Beruf in der Wirtschaft das Richtige sein könnte. Er will nach dem Abitur zunächst Verfahrenstechnik studieren. Wie aus dem Nachwuchs stolze Unternehmer werden können, zeigt die Biografie von Alexander Keck. Der Rostocker gründete einst eine „Idee Schüler GmbH“, mit zwei anderen Schülern. „Wir haben wirklich alles gemacht: Marktforschung für den Jugendherbergsverband, Broschüren, Webseiten“, so der heute 33-Jährige. „Wir durften uns ausprobieren, dafür bin ich den Lehrern unendlich dankbar. Im Studium hatten wir so einen enormen Vorsprung.“ Die drei Gründer arbeiteten später unter anderem als Unternehmungsberater. Nun ist Keck Chef einer eigenen Firma, die Techniker individuell an Privathaushalte vermittelt. Eine Idee, die zu Schulzeiten in seinem Kopf heranreifte.