In den USA sind vermehrt Opfer niedergeschlagen worden. Ob es sich um eine Art Spiel handelt oder rassistisch motivierte Hintergründe hat, ist noch unklar.
Es ist der Traum eines jeden Boxers: aus der Ecke kommen und den ersten Schlag des Kampfes derart wuchtig am Kopf des Gegners platzieren, dass der umfällt und nicht mehr aufsteht. One-anddone-Knockout nennt man das, Mike Tyson ist im Jahr 1982 gegen Dan Cozad so ein Treffer acht Sekunden nach dem ersten Gong gelungen; diese rechte Gerade gilt immer noch als der schnellste Niederschlag des Amateurboxens. Außerhalb des Rings scheint sich in den Vereinigten Staaten ein recht makabrer Trend zu verbreiten, bei dem ein ähnliches Ziel verfolgt wird. Es ist bekannt unter den Namen „Knockout Game“, „Knockout King“ oder „point ’em out, knock ’em out“ und fordert die Teilnehmer dazu auf, eine willkürlich ausgesuchte Person mit nur einem Schlag niederzustrecken. Mehrere Menschen sind im vergangenen Jahr bei diesen Angriffen ums Leben gekommen.
In den USA wird derzeit heftig darüber debattiert, ob es so etwas wie ein Niederschlag-Spiel tatsächlich gibt. Es geht bei der Diskussion um die Rolle der Medien bei der Berichterstattung über die Angriffe, den Umgang mit den mutmaßlichen Tätern – und nicht zuletzt um Rassismus. Fakt ist jedenfalls, dass sich die Berichte über scheinbar zufällige Angriffe in den vergangenen Wochen häufen und dass dabei immer wieder auf das grausame Spiel verwiesen wird. Vor einem Tanzstudio in San Francisco wurde vergangene Woche eine Frau niedergeschlagen, in Venice war das Opfer ein 65 Jahre alter Mann, der seinen Hund ausführte. In Brooklyn wurden vor zwei Wochen drei Jogger angegriffen, in Houston ein Mann während seiner Mittagspause. In allen Fällen blieb das Motiv der Angreifer unklar: Sie hatten zuvor nichts mit den Opfern zu tun gehabt und sich bei der Attacke weder für Geld noch für Wertsachen interessiert, sondern offensichtlich nur dafür, jemanden umzuhauen.
In Denver gab es am Silvesterabend gar drei Angriffe innerhalb weniger Stunden. „Sie haben nichts gesagt, es gab keine Warnung, wir hatten keine Chance, uns zu verteidigen“, sagte Nick Lloyd, eines der Opfer. Er hatte mit einem Freund an einer Straßenecke gewartet, beide wurden mit jeweils einem Schlag niedergestreckt. „Wir haben uns gegenseitig auf die Beine geholfen, dann habe ich gemerkt, dass meine Nase blutete und mein Kiefer eingedellt war. An mehr erinnere ich mich nicht.“ Lloyds Unterkiefer ist auf beiden Seiten gebrochen, ihm werden nun Metallplatten eingesetzt. Es dürfte Monate dauern, bis er sich von dem Angriff erholt haben wird.
Das „Knockout Game“ erinnert ein wenig an „Happy Slapping“, bei dem die Teilnehmer anderen Menschen Ohrfeigen verpassten, sich dabei möglichst selbst filmten und die Ergebnisse per Handy an ihre Freunde verschickten. Es war zunächst eine kindische Aktion einiger Lümmel im Süden Londons, verbreitete sich dann allerdings in ganz Europa mit teils fatalen Folgen. Es gab Videos von gezielten Mobbing-Aktionen, Vergewaltigungen und wilden Prügeleien, bei denen Menschen starben.
Nur: Gibt es das „Knockout Game“ überhaupt – oder sind die scheinbar willkürlichen und zufälligen Attacken vielmehr rassistisch motiviert? In Brooklyn etwa wurde kürzlich ein 35 Jahre alter Mann verhaftet, der im November und Dezember sieben Menschen niedergeschlagen haben soll. Zunächst hieß es, die Angriffe seien Teil des makabren Spiels. Nun wird der Angreifer nicht nur wegen Körperverletzung angeklagt, sondern auch wegen sogenannter „hate crimes“, weil seine Angriffe offenbar rassistisch motiviert gewesen sind. Alle seine Opfer waren jüdische Frauen.
In Houston wurde im Dezember ein 27Jahre alter Mann verhaftet, nachdem er einem verdeckten Ermittler nach einem Hinweis auf das „Knockout Game“ ein Video gezeigt hatte, auf dem er einen 79-jährigen Afroamerikaner mit einem Schlag niederstreckt und sagt: „Knockout, Baby!“ Bei der Überprüfung des Mobiltelefons entdeckte die Polizei Videos, in denen der mutmaßliche Angreifer rassistische Aussagen macht und sagt: „Der Plan ist es herauszufinden, ob ich es ins landesweite Fernsehen schaffe, wenn ich einen Schwarzen schlage.“ Auch er wird nun wegen eines rassistisch motivierten Verbrechens angeklagt; die Strafe dafür (bis zu zehn Jahre Gefängnis und 250000 Dollar Geldstrafe) ist deutlich höher als bei einer willkürlichen Attacke.
Diese Anklage wird nun von Leuten aus dem konservativen Lager kritisiert, weil afroamerikanische Teenager, die weiße Menschen niedergeschlagen hatten, lediglich wegen Körperverletzung angeklagt wurden. Bill O’Reilly vom Fernsehsender Fox News beschrieb den Trend gar als „weiteres Beispiel junger schwarzer Amerikaner, die sinnlose Verbrechen begehen“. Der statistisch nicht belegte Verdacht O’Reillys: Das „Knockout Game“ sei eine Erfindung schwarzer Jugendlicher, die von den liberalen Medien bewusst ignoriert werde.
Ob es das „Knockout Game“ gibt oder nicht: Im Bundesstaat New Jersey existiert mittlerweile ein Gesetzentwurf mit dem Ziel, die Strafen für willkürliche Angriffe deutlich anzuheben. „Jemanden einfach so ohnmächtig zu schlagen, ist alles andere als ein Spiel“, sagt der Abgeordnete Ron Dancer, der den Entwurf eingereicht hat: „Es ist eine neue, kranke Form von Gewalt, die zum Tod unschuldiger Menschen geführt hat und um die wir uns kümmern müssen. Wer so etwas macht, aus welchem Grund auch immer, gehört ins Gefängnis.“
Auch Mike Tyson, der Boxer mit dem schnellen Knockout, hat sich in einer Talkshow zu dem Thema geäußert: „Für manche mag das ein Spiel sein, aber ich finde das nicht cool.“ Er könne sich nicht erklären, warum jemand ohne Grund zuschlage: „Das sind einfach böse Menschen.“