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Wir fordern Blauhelme

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Auf der Reeperbahn nachts um halb eins sah es am Freitag aus wie nach einem Chemieunfall. Vor der Davidwache, wo sonst die Grand-Prix-Übertragung oder der Schlager-Move gefeiert werden und auch schon mal Formel-1-Wagen kleine Showrunden drehten, wölbte sich ein weißer Belag auf dem Asphalt. Doch was so unappetitlich wie Giftschaum aussah, war nur das Relikt einer Verhöhnung, mit der sich eine große Gruppe von St.-Pauli-Bewohnern gegen die massive Polizeipräsenz in ihrem Stadtteil wehrte. Die Fläche durchnässter Daunen legte Zeugnis ab von einer wilden Kissenschlacht, inszeniert als „Gewalt“-Spott vor dem Polizeirevier und Teil der Klobürsten-Revolte, die mittlerweile von Al Jazeera bis zur BBC die Weltmedien beschäftigt.

Der Ort für dieses kindische Vergnügen wurde mit Bedacht gewählt, denn Hamburgs Kreativviertel St. Pauli, Sternschanze und Altona sind gerade Schauplätze eines ideologischen Bullenkampfs, in dem sich politische Sturheit so lange in Gewaltsymbolik ausdrückt, bis es kracht. Seit einem angeblichen Angriff auf die Davidwache am 28.Dezember durch Autonome war der Hamburger Hafenrand „Gefahrengebiet“. Hundertschaften weißbehelmter Bereitschaftspolizisten patrouillierten durch die Straßen, um schwarz gewandete Gruppen aufzuspüren, die hier angeblich die Freiheit der Bewohner und die Gesundheit der Polizei gefährdeten.



Teilnehmerinnen eines Flashmobs bewerfen sich auf dem Spielbudenplatz mit Kissen und Federn und protestierten damit gegen die Polizeikontrollen in den eingerichteten Gefahrengebieten.


Tatsächlich verwandelte genau diese Strategie St. Pauli in ein akutes Provokationsgebiet zweier humorloser Okkupationsarmeen, die sich wie adrenalingesteuerte Moschusbüffel die Köpfe einrammen wollten. Die deutsche militante Szene, die sich seit einer Demonstration gegen die drohende Räumung des linken Stadtteilzentrums „Rote Flora“ vor Weihnachten – bei der es zu massiven Straßenschlachten gekommen war – in der Stadt hält, wollte auf diesem Pflaster exemplarisch beweisen, dass Deutschland ein Polizeistaat ist. Und die Exekutive tat ihnen jeden Gefallen, sie in dieser Paranoia zu bestärken. Der Klobürsten-Aufstand war die spontane und mittlerweile Wirkung zeigende Strategie, mit Spott auf die archaische Keilerei zwischen Polizist und Anarchist einzuwirken.

Dass das Sanitärutensil zu diesem Symbol geadelt werden konnte, hatte seinen Ursprung in genau jener Lächerlichkeit, die überzogene Aufregung immer produziert. In den ersten Tagen des „Gefahrengebiets“, das sich dadurch auszeichnet, dass die Polizei jeden Passanten „verdachtsunabhängig“ kontrollieren, durchsuchen und des neun Quadratkilometer großen Stadtbereichs verweisen durfte, wurde eine Klobürste als Schlagwaffe beschlagnahmt. Also trugen seither so viele Teilnehmer der täglichen Spontandemonstrationen gegen das Gefahrengebiet ein solches „Gewaltutensil“ sichtbar bei sich, dass der Toilettenreiniger in den umliegenden Drogerien nahezu ausverkauft ist.

Begleitend hat es dazu in den vergangenen Tagen eine kreative Explosion der Klobürsten-Motive gegeben, die nicht nur die Proteste begleiten, sondern mittlerweile auch das Internet füllen: Filmplakate mit Harry Potter oder Meister Yoda im Bürstenkampf, der Totenkopf des FC St. Pauli mit gekreuzten Kloschrubbern, das berühmte Sex-Pistols-Cover mit dem Text „Never mind the Gefahrengebiet, Here’s the Klobürste“ und „Hamburg, das Klo zur Welt“ zielen mit ihrem Spott vor allem auf den SPD-Senat von Olaf Scholz, der sich mit seinen unverhältnismäßigen Maßnahmen gerade weit über die Stadt hinaus blamiert.

Die US-Regierung hat schon eine Reisewarnung für Hamburg-St. Pauli herausgegeben, die dazu führt, dass sich täglich mehr ausländische Journalisten durch den überaus friedlichen und fröhlichen Kriegsschauplatz führen ließen, wo sie dann leider nur Transparente mit der Forderung nach „Blauhelmen“ oder große Lügen-Pinocchios in Polizeiuniform fotografieren konnten. Die „Tagesschau“ zeigte die Klobürsten-Freunde in gelben Friesennerzen, wie sie mitten im Gefahrengebiet Party-Demos veranstalten. Und Al Jazeera verlinkte seinen Bericht über die „Danger Zone“ mit dem Twitter-Hashtag von „WirSindAlleHamburg“, über den sich die neue Protestkultur austauscht. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Michael Neumann konterten diesen ansteckenden Protest schmallippig mit stereotypen Formeln über Recht und Ordnung, die nun mal herrschen müssen. Medial schlechter aussehen konnte man gar nicht.

Aber auch die zugereisten Krawall-Adabeis, die vor Weihnachten systematisch Scheiben von Banken und Kettenläden in St. Pauli eingeworfen haben, egal, ob es sich um amerikanische Markenshops wie American Apparel, Carhartt oder Apple, oder um Nahversorger wie Supermärkte und Drogerien handelte, nahmen die Bevölkerung am Ort in Geiselhaft. Ihr Politikverständnis mag im Kern paranoid sein, aber sie finden ihre Paranoia ganz offensichtlich geil. Als seien sie der Vietcong im Mekongdelta schlichen sie nachts durch den Stadtteil und flüsterten sich verschwörerisch zu, wo die „Bullen“ gerade waren, sprühten die Häuserwände mit „A.C.A.B.“ (All Cops are Bastards) voll und veröffentlichten Strategiepapiere, in denen über Nahkampf mit den „Pigs“ und die beste Art, Molotow-Cocktails herzustellen, schwadroniert wird. Alles in allem also waren es Beweise dafür, dass das Gewaltmonopol doch besser beim Staate bleibt.

Allerdings hätte ein diskreteres Gewaltmonopol dem Stadtteil vermutlich einige der militanten Phantasien von „umkämpften Häuserschluchten“ und autonomen Eliteeinheiten erspart, die nach dem Vorbild des Sparta-Films „300“ antraten, einer hochgerüsteten Übermacht zu trotzen (nachzulesen in einem anonymen Kampfpapier bei dem Radikalportal linksunten.indymedia.org). Langjährige gewalttätige Auseinandersetzungen um die Hafenstraße und die „Rote Flora“ kamen in Hamburg immer dann einer Lösung näher, wenn auf die herrische Symbolik von Polizeipräsenz und Drohvokabeln wie „Gefahrengebiet“ verzichtet wurde. Der frühere Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, der 1987 den Hafenstraßenstreit beendete, hatte sich seinem störrischen Nachfolger deswegen als Vermittler angeboten.

Denn während die Demonstrationen auf St. Pauli zurollten, in denen sich der Schwarze Block zum Nahkampf rüstete, sind in den angeblichen Gefahrengebieten zahlreiche echte Konflikte zu lösen. Das linke Symbol „Rote Flora“, das die meisten Jugendlichen nur als Konzerthausruine kennen, möchte sein Besitzer durch ein kommerzielles Kulturzentrum ersetzen – womit er die alte linksradikale Wehrhaftigkeit der Flora-Veteranen wieder aktiviert. Die kürzlich blitzgeräumten Esso-Häuser am Spielbudenplatz (SZ vom 17. Dezember) weichen demnächst einem Neubau mit Eigentumswohnungen und kommerzieller Ladenfront. Und neben diesen beiden symbolträchtigen Problemvorhaben zeigt sich auch überall sonst in den ehemaligen Arbeiter- und Vergnügungsvierteln am Hafenrand die harte Hand der Gentrifizierung. Austauschbare Kettenläden, rasant steigende Mietpreise, Kommerzangebote für Bustouristen und die Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum sind tatsächlich die eigentlichen Bedrohungen der Klobürstenvielfalt, gegen die sich diese neue Spaßguerilla in ihrem Netzwerk „Recht auf Stadt“ wehrt.

Darauf, dass eine Rückkehr zu zivilen Umgangsformen bald wieder möglich werden kann, deutet die Tatsache, dass die Polizei der Hansestadt die „Gefahrengebiete“ am Montagnachmittag aufgehoben hat. Alle damit verfolgten Ziele seien erfüllt, heißt es. Es habe auch keine Übergriffe auf Beamte mehr gegeben. Offenbar waren die Studenten-Demonstrationen unter dem Motto „Don’t let the system get you down!“ so friedfertig verlaufen, dass man Entwarnung geben konnte. Möglicherweise haben die symbolisch auftretenden Organisatoren dieser Veranstaltung, die sprechenden Haushaltswaren „Pinsel“ und „Bürstli“, den Demonstranten mit ihrer Videobotschaft dann doch den Kopf gewaschen.

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