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Wenn Wörter plötzlich böse werden

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Sozialtourismus ist das Unwort des Jahres 2013. Die Aktion "Unwort" rückt die Begriffe ins Zwielicht unserer Gesellschaft.

Auch die Wörter haben ihre Schicksale. In Österreich etablierte sich 1953 der „Verband für Sozialtourismus“. Was er wollte, sagte sein Name: einkommensschwächeren Familien eine günstige Sommerfrische ermöglichen. 60 Jahre danach ist Sozialtourismus zum Unwort des Jahres 2013 geworden, zu einem Wort also, mit dem man sich nur noch in den Hinterzimmern der Sprache und Moral vernehmen lassen kann. Die Jury begründet ihre Wahl gesellschaftskritisch. Mit dem Ausdruck Sozialtourismus werde gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer gemacht. Das Vergnügliche am Grundwort Tourismus werde durch das Bestimmungswort Sozial pervertiert, um Menschen, die aus Not eine bessere Zukunft suchten, zu diskriminieren.

Lässt man die bisher aufgelaufenen Unwörter an sich vorüberziehen, wird einem fast übel. Es begann mit ausländerfrei (1991), ethnische Säuberung (1992) und Überfremdung (1993), machte mit Peanuts (1994) einen Schlenker ins vermeintlich Lustige, scherte mit Rentnerschwemme (1996), Wohlstandsmüll (1997), sozialverträgliches Frühableben (1998) und Kollateralschaden (1999) aber rasch wieder in die Fahrspur unserer alltäglichen Widerwärtigkeiten ein. Der national befreiten Zone von 2000 folgten ein Jahr später die Gotteskrieger, eine Öffnung aus der Provinz zur Welt, die freilich auch niemanden erfreute.

Dank der Aktion „Unwort des Jahres“ hat sich eine der Nuancen des Begriffs Unwort derart vorgedrängt, dass sie heute als die einzige verstanden wird: das Unwort als böses Wort und also auch Ausdruck einer bösen Gesinnung. Es steht im grellen Scheinwerfer-Licht der Moral, alle anderen Bedeutungen verbergen sich im Schatten dahinter. Justus Georg Schottelius zum Beispiel verwendet den Terminus Unwort für ein neues Wort, das „auch für Gold und Geld“ nicht erkauft werden könne. Justinus Kerner berichtet im „Bilderbuch aus meiner Kindheit“ von einer Irren, die außer „Ririroldidi“ nichts hervorbringt und „dieses Unwort immerwährend in gleicher Modulation“ singt. Rudolf Hildebrand schließlich bezeichnet in dem Traktat „Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule“ von 1868 das Wort Kleinkinderbewahranstalt als Unwort, aber nicht aus pädagogisch-moralischen Erwägungen, sondern weil es nie erfunden worden wäre, wenn es der, der es in die Welt setzte, vorher nur einmal ausgesprochen hätte.

Es überrascht nicht, dass sich auch Arthur Schopenhauer des Unworts mit Ingrimm angenommen hat. In der Abhandlung „Ueber die, seit einigen Jahren, methodisch betriebene Verhunzung der Deutschen Sprache“ berichtet Schopenhauer, dass er das Wort Uebervortheilung durch Vervortheilung ersetzt gesehen habe. Hier seine Tirade dazu: „Also schafft der Sudler ein Unwort, um einen Buchstaben zu lukriren: so weit geht der Wahnsinn! Die deutsche Sprache ist in Gefahr: ich thue was ich kann, sie zu retten; bin mir aber dabei bewußt, daß ich allein stehe, einer Armee von 10,000 Narren gegenüber.“

Mit dem Verb lukrieren (gewinnen) hätte Schopenhauer heutzutage gute Aussichten, zum „Sprachpanscher des Jahres“ ernannt zu werden. Es ist dies eine der vielen Konkurrenzen, die auf dem Feld der Sprache seit Jahren reiche, oft auch seltsame Ernten bringen. Der „Sprachpanscher“ ist unüberhörbar ein Negativpreis, vergleichbar dem „Goldenen Windbeutel“, den der Verein Foodwatch an Lebensmittelhersteller vergibt, bei denen zwischen Qualitätsversprechen und tatsächlicher Qualität ein allzu tiefer Graben verläuft. Als positiv gelten, mögen sie gleich unter der Hand von Sprachfreunden der strengen Observanz verlacht werden, Preise wie der für das „Jugendwort des Jahres“, der in Babo, Yolo oder Swag Beispiele sprachlicher Kreativität und Originalität sieht.

In die Welt dessen, was man neuerdings unter der Rubrik „gefühlt“ ablegt, führte 2004 der Wettbewerb „Das schönste deutsche Wort“. Sieger wurden die Habseligkeiten, und zwar wegen der darin vermuteten Seligkeit. Das löste einigen Spott aus, weil die Jury nicht gewusst zu haben schien, dass hinter den Habseligkeiten das versunkene Wort Habsal steckt, das an Labsal sowie, fatal genug, an Trübsal erinnert. Da man schon einmal so weit war, brach man auch noch ein Ringen um das schönste bedrohte Wort vom Zaun. Sieger wurden die Wörter Kleinod, blümerant und Dreikäsehoch, als ersten Preis gab es einen von der Künstlerin Laura Kikauka (Ontario/Berlin) als Unikat gestalteten Käseigel. Und wieso Käseigel? Nun, er gehört zusammen mit dem Augenstern, dem Schlüpfer oder dem Schabernack zu den schönen, aber vom Aussterben bedrohten Wörtern.

Das „Unwort des Jahres“ wurde 1991 von dem Frankfurter Germanisten Horst Dieter Schlosser begründet und war organisatorisch zunächst bei der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beheimatet. 1994 wurde die Aktion „institutionell unabhängig“. Das hört sich schön an, verdeckt aber einen unschönen Knatsch. 1993 wurde Überfremdung zum Unwort des Jahres gewählt, auf dem zweiten Platz landete der Kollektive Freizeitpark, ein Wort Helmut Kohls, das allgemein als Vorwurf kollektiver Drückebergerei aufgefasst und von der Jury als „unangemessene Pauschalierung der sozialen Situation“ gewertet worden war. Der GfdS wurde daraufhin aus dem Kanzleramt zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht so deutlich in den Dienst der Linken stellen solle, ein Wink, den man bei einer finanziell vom Bund abhängigen Institution nicht ignorieren konnte. Die GfdS ließ zwar wissen, dass keinerlei Druck ausgeübt worden sei, war aber auch nicht böse, als Schlosser sein Sprachbesteck einpackte und sich selbständig machte. Bis 2010 war er Sprecher der Aktion; deren Geschäfte führt seither die Germanistin Nina Janich von der TU Darmstadt.

Wer sich weit aus dem Fenster hängt, bekommt Wind von vorn. Die Unwort-Jury hat dies oft erfahren. Als sie die Ich-AG zum Unwort 2002 kürte, musste sie sich von der Zeit sagen lassen, sie prügle den Esel der Sprache, damit sie den Sack, den dieser trägt, unaufgeschnürt lassen könne – als ob das Aufschnüren sozialpolitisch verdächtiger Säcke Sache eines der Sprachsensibilität verpflichteten Gremiums sei. Ein vertracktes Lob spendete die Welt. Sprachkritiker, schrieb Peter Dittmar, seien eine besondere Spezies: „Sie schonen ihren eigenen Daumen nicht, wenn sie mit dem Hammer ihrer Sprachwut den Nagel ihres Unmuts zu treffen trachten.“

Der Verband für Sozialtourismus hat sich vor Jahren in „Sotour Austria“ umbenannt. Ob er den Hammer der Sprachwut auf sich zukommen gesehen hat?

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