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Woodys letzte Reise

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Bruce Dern (li.) ist auf dem Weg, eine Million Dollar abzuholen, die ihm zustehen.

Breite Ausfallstraßen, riesige leere Parkplätze, auf Shoppingquader folgen Motelquader, auf Motelquader folgen Industriequader. Ein Billboard lockt: „Fragen Sie uns nach Immobilienkrediten!“ Allerdings fehlen ein paar Buchstaben darin, wahrscheinlich gibt es die Kredite und auch die Bank nicht mehr, und das Schild wurde einfach vergessen. Zu allem Überfluss muss man sich das, bitteschön, in Schwarzweiß vorstellen.

Es ist also bald keine Frage mehr, wohin die Reise hier geht. Wir sind im Land der Americana. Ein mythisches Land natürlich, das starke geografische Überlappungen mit den USA aufweist, mit diesen aber nicht identisch ist. Dies ist das Land der „Last Picture Show“, wo das Alte gerade stirbt und das Neue längst anderswo sein Glück sucht. Oder das Land der „Telegraph Road“, wo das Radio gerade Nachtfrost angekündigt hat. Oder das Land von Bruce Springsteen, der ja tatsächlich ein hochangesehenes No-Future-Album namens „Nebraska“ in seiner Diskografie hat. Genauso heißt jetzt dieser Film.

Die „dirty old tracks“, die durch die ehemalige, endlos flache Wildnis im Herzen Amerikas führen, sind nun allerdings auch schon reichlich ausgetreten. Jedes Mal, wenn Wirtschaftskrise herrscht, wandern neue Heerscharen von Künstlern und klagenden Troubadouren darauf entlang. Will man da also immer noch hin, um denselben alten, nostalgiegeschwängerten Song zu hören?

Das Erstaunliche ist: Man will. Und ganz besonders dann, wenn Alexander Payne der Wegbegleiter ist. In Filmen wie „About Schmidt“ und „Election“ hat dieser Sohn des Mittleren Westens bereits ein sanftes, untrügliches und auch sehr komisches Gespür für die Verlorenheit seiner Heimat gezeigt, die ja jederzeit in knallharte Vitalität umschlagen kann. Dorthin kehrt er jetzt – erstmals mit fremdem Drehbuch – zurück.

Ein alter Traum setzt das Geschehen in Gang: die Million Dollar, die eigentlich jedem rechtschaffenen Amerikaner zusteht. Bei Woody (Bruce Dern) liegt sie eines Tages einfach im Briefkasten, in seinem Haus in Billings, Montana. Eine Massendrucksache zwar, die aber doch eindeutig klarmacht: Er hat die Million gewonnen, jetzt muss er sie nur noch abholen. Und zwar in Lincoln, Nebraska, ungefähr 1500 Meilen entfernt. Woody geht auf die Achtzig zu, er spürt, dass ihm die Zeit davonläuft, aber dieses eine Mal in seinem Leben ist er wild entschlossen: Das zieht er noch durch. Schließlich möchte er seinen Kindern etwas hinterlassen.

Natürlich versuchen alle, ihm diesen Unsinn auszureden: Seine sehr resolute Ehefrau (June Squibb), die ohnehin immer sagt, was sie denkt. Seine beiden erwachsenen Söhne, die verzweifelt auf das Kleingedruckte verweisen und sagen, dass auf solchen Schwachsinn doch kein Mensch mehr hereinfällt. Es hilft aber nichts. Wahrscheinlich ist Woody geistig nicht mehr ganz auf der Höhe, ganz sicher hat er in seinem Leben zu viel getrunken – jedenfalls ist er von seinem Plan nicht mehr abzubringen. Und weil er den Führerschein schon vor Jahren verloren hat, zieht er immer wieder zu Fuß los. Als sein Sohn David ihn wieder einmal auflesen muss und ihm heftige Vorwürfe macht, stellt der Alte die naheliegende Frage: „Warum fährst du mich nicht einfach hin?“ Um dann noch verächtlich anzufügen, sehr Wichtiges könne David ja wohl nicht vorhaben, mit seinem miesen Job und ohne die Freundin, die ihn längst verlassen hat. Da hat Woody Recht – und also geht die Reise los.

Ein Roadtrip also, bei dem ganz zwangsläufig einige Erkenntnisse am Wegesrand liegen, anders kann es in diesem Genre ja gar nicht gehen. Es gibt eine kleine Familienzusammenkunft unterwegs, ein paar komische Verwicklungen, die mit Woodys angeblichem neuen Reichtum zusammenhängen, zwei stiernackige, halbkriminelle Neffen, kleine Enthüllungen aus der Vergangenheit, und so fort. Vor allem aber lernt David, der von dem „Saturday Night Live“-Komiker Will Forte pfeilgerade unauffällig und damit perfekt verkörpert wird, seinen Vater einmal richtig kennen.

Dabei sind nun ein paar große Momente für den schon immer hochrespektierten, aber nur selten wirklich geforderten Veteranen Bruce Dern drin. Mit wildzerzauster weißer Haarmähne, krachenden Hüftgelenken und ewigem Trotz im Blick spielt er einen Loser, der fast alles in seinem Leben eher halbarschig angepackt hat. So einer bleibt dann natürlich an der resolutesten Frau hängen, auch wenn die ihm das Leben zur Hölle macht, so einer senkt dann irgendwann nur noch den Blick, greift zur Flasche, wird eine Chiffre für – hier gewaltfreie – Impotenz.

Interessant ist aber, dass dieser Woody nicht die leiseste Nostalgie kennt. Gerührt steht sein Sohn irgendwann im halbverfallenen Geburtshaus des Vaters – dem aber bedeutet das überhaupt nichts. Er will nur noch dieses eine Ding durchziehen, das er jetzt, einmal im Leben, ganz für sich selber macht – so schwachsinnig es am Ende auch sein mag. Alles andere interessiert ihn nicht. So widersetzt sich der Alte nicht nur allen vernünftigen Argumenten, sondern auch dem großen Nostalgie-Imperativ des mythischen Amerika. Nie würde er auf die Idee kommen, dass früher alles besser war. Mit dieser Vorstellung kämpft eher der Sohn, der sich dabei auch fragen muss, ob er selbst schon unwiderruflich auf den großen Highway zur Impotenz eingebogen ist.

Die Empfangsdame in Nebraska, die sie bei der Absenderfirma der Massendrucksache schließlich dingfest machen, hat natürlich keine Million zu vergeben. „Hat er Alzheimer?“, fragt sie den Sohn mit Blick auf Woody. „Nein“, sagt David. „Er glaubt einfach, was die Menschen ihm sagen.“ Und die Antwort, die ihr dazu einfällt, lautet nur: „Oh, das ist blöd.“


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