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Im großen schwarzen Loch

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Polizisten erwiesen ihrer Kollegin Kiesewetter die letzte Ehre. Ihr Kollege Martin A. hat den Anschlag des NSU-Trios überlebt und steht nun als Zeuge vor Gericht.

Es ist ein ungewöhnlich warmer Apriltag, als die jungen Polizisten Martin A. und Michèle Kiesewetter eine Pause einlegen. Bei einer Bäckerei haben sie sich Snacks gekauft, dann fahren sie zur Theresienwiese in Heilbronn. Sie parken den Streifenwagen neben einem Trafohaus, hier wollen sie in Ruhe essen und rauchen. „Und dann hört es auch schon langsam auf“, sagt Martin A. am Donnerstag im NSU-Prozess. Er weiß nicht mehr, was passiert ist, es ist da nur ein schwarzes Loch in seiner Erinnerung.

Die Fenster des Streifenwagens waren heruntergekurbelt, auch die Türen standen wohl offen. So haben es die Ermittler rekonstruiert. Plötzlich müssen von hinten zwei Männer gekommen sein. Sie treten an die Beamten heran und schießen ihnen direkt in den Kopf. Michèle Kiesewetter, 22, ist tot, als die Notärztin eintrifft. Martin A., damals 24 Jahre alt, überlebt wie durch ein Wunder.

Wochenlang liegt er im Koma. Als er wieder zu Bewusstsein kommt, will man ihn zunächst schonen. Es gibt keinen Spiegel in seinem Zimmer, kein Radio, keinen Fernseher. Ihm wird gesagt, es habe einen Unfall gegeben. Doch was am 25. April 2007 geschah, war kein Unfall, sondern ein Mordanschlag, verübt vom NSU. Die Neonazis hassten den Staat, hasten die Polizei. Im Schlussbild ihres Bekennervideos zeigen sie als Trophäe die Dienstpistole, die sie dem niedergeschossenen Martin A. entrissen haben.

Nun sitzt der Beamte als Zeuge vor Gericht, er ist jetzt 31 Jahre alt, ein bescheidener, etwas schüchterner Mann, der wenig Aufhebens um sich und sein Schicksal macht. Dabei wurde ihm der Schädel geöffnet, wurden Muskeln vom Schenkel in den Kopf verpflanzt. Was er überstanden hat, kann sich niemand vorstellen. Und dann der seelische Schmerz: Der Dienst bei der Polizei war sein Traum von Kindheit an. Dann hatte er die Kugel im Kopf. Er kann nur noch im Innendienst arbeiten. Vor Gericht sagt Martin A.: „Mir hat es mein Herz zerrissen.“

Dennoch wirkt er gefasst, berichtet von seiner Leidensgeschichte in klaren Sätzen, ohne einen Ton des Jammerns. Er sei wohl eher ein „Tiefstapler“, sagt er. Und: „Ich hatte noch nicht wirklich Zeit zu trauern.“

Nur wenige Meter entfernt von dem Beamten sitzt die Angeklagte Beate Zschäpe und hört aufmerksam zu. Ihren Laptop hat sie zugeklappt, die Hände unter dem Tisch verborgen. Ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sollen die Schüsse abgefeuert haben, die Anklage hält Zschäpe für eine Mittäterin.

Martin A. hat noch immer keine Erklärung für den Anschlag. „Das Motiv fehlt bis heute“, sagt er. Er hat versucht, sein Leben irgendwie weiter zu führen. Er ist wieder zur Arbeit gegangen, hat sogar an der Polizeihochschule studiert, um in den gehobenen Dienst zu kommen. Aber es ist nicht das, was er sein wollte: ein Polizist, draußen bei den Leuten.

Immer wieder haben Ermittler ihren Kollegen befragt, einmal sogar unter Hypnose. Ein Nervenarzt kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Angaben von Martin A. zum Tatgeschehen wegen der schweren Verletzungen nicht verwertbar sind. Zuvor hatte die Polizei aber nach seinen Angaben ein Phantombild erstellen lassen. Es wurde nie veröffentlicht. Vor Gericht sagt Martin A., er könne sich an nichts mehr erinnern. „Es ist ein riesengroßes schwarzes Loch gewesen, und ich musste es irgendwie füllen.“

Zuletzt war, unter anderem im NSU-Untersuchungsausschuss, darüber spekuliert worden, weshalb das vor Jahren mit Hilfe von Martin A. erstellte Phantombild keine Ähnlichkeit mit den Terroristen hat. Dass die Neonazis für den Anschlag in Heilbronn verantwortlich sind, schließen die Ankläger nicht nur aus dem Bekennervideo und den Polizeipistolen, die im Wohnmobil der Terroristen gefunden wurden. An einer Hose, die Mundlos gehörte, haftete noch Blut von Kiesewetter. Und am Tag des Mordes wurde ein Wohnmobil in der Nähe von Heilbronn registriert. Dieses Wohnmobil war, wie sich später herausstellte, vom NSU angemietet worden.

Die Anklage geht davon aus, dass die beiden Beamten ebenso wie die neun, vom NSU ermordeten Migranten, willkürlich ausgewählte Opfer waren. Weil aber Michèle Kiesewetter in Thüringen aufwuchs, in einem kleinen Dorf, in dem zeitweise auch ein Mann aus dem NSU-Umfeld lebte, hält sich bis heute der Verdacht, die Täter könnten es gezielt auf die Polizistin abgesehen haben. Die Bundesanwaltschaft sagt, sie habe dafür keinerlei Anhaltspunkte.

Kiesewetter war öfter im Einsatz bei Fußballspielen und bei Demonstrationen von Rechtsradikalen. Ihre Einsätze waren nicht auf den Raum Heilbronn beschränkt, sondern liefen im gesamten Bundesgebiet. Ein Beamter aus Heilbronn wird am Donnerstag gefragt, ob die rechten Demonstrationen, die Kiesewetter dienstlich begleitete, näher überprüft worden sind? Der Polizist weiß nichts darüber.

Martin A. und Kiesewetter kannten sich noch nicht lange, Martin A. war damals neu in der Einheit. Er beschreibt seine Kollegin als lebenslustig, offen und sehr freundlich: „Ich hab keinen traurigen Moment bei ihr gesehen.“ Die beiden gehörten zu einer Einsatzgruppe aus Böblingen, die hin und wieder in Heilbronn auf Streife ging. Erst wenige Tage vor dem Anschlag hatten sich die beiden Beamten, die eigentlich Urlaub hatten, für den Dienst gemeldet. Es war das erste Mal, das sie zusammen fuhren. Martin A. überließ Kiesewetter das Steuer, in Heilbronn kannte sie sich bereits aus. Bis zum Mord soll der Einsatz ruhig verlaufen sein. Einem Kollegen schickte Kiesewetter eine SMS: Es sei ziemlich langweilig in Heilbronn.

Im Gericht werden Fotos der blutgetränkten Diensthemden gezeigt. Man sieht auch die Holster, in denen die vom NSU geraubten Polizeipistolen gesteckt hatten. Martin A. sagt: Der Einsatz in Heilbronn sei der letzte Tag gewesen, an dem er eine Waffe getragen habe. „Ich habe danach keine mehr bekommen, ich will’s auch nicht mehr.“

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