Hausaufgaben müssen viele Schüler alleine machen. Sozialarbeiter an Schulen sind oft Mangelware.
Die Eltern sollen Kuchen mitbringen und auch ihre Sorgen und Nöte. So hat sich Christiane Leithaus das vorgestellt, als sie im November erstmals ins Elterncafé an der Wuppertaler Grundschule Mercklinghausstraße eingeladen hat. In der „muckeligen kleinen Mensa“, so erzählt die Sozialpädagogin, wird dann über alles geredet, was die Mütter und Väter im Viertel bewegt. Lernschwierigkeiten, mögliche Konflikte, Pläne für das Schulleben – oder auch Formalia, wie und wo etwa Zuschüsse für Klassenfahrten oder Nachhilfe zu beantragen sind. Von den knapp 320 Schülern im Wuppertaler Osten haben Dreiviertel einen Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslosigkeit und HartzIV sind hier in der Gegend nicht gerade Fremdwörter. „Ich will da nicht als Entertainerin oder große Fachfrau auftreten“, sagt Leithaus. Den genauen Ablauf sollen die Eltern vorgeben, die Idee muss sich noch richtig etablieren. „Das Projekt steckt ja noch in den Kinderschuhen. Ich wusste vor ein paar Monaten nicht, was da genau kommt.“
Was da genau kam und zu einem Problem wurde für die Sozialarbeiterin, die Kommune, die Schulleitung, für Eltern und Kinder: Der Topf des Bundes, aus dem die Stelle der Mittfünfzigerin vor zwei Jahren geschaffen wurde, ist zum Jahreswechsel ausgelaufen. Am 31. Dezember endeten die Zuschüsse im Zuge des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets. Die Initiative hat Kommunen von 2011 bis Ende 2013 gut 400 Millionen Euro pro Jahr bereitgestellt, eben auch für Schulsozialarbeit. Eine Übergangslösung, zu der sich die ohnehin nicht mit Reichtum gesegnete Stadt Wuppertal entschieden hat, gilt zunächst bis Ende März. Danach wären Leithaus und fast 50 weitere Schulsozialarbeiter in der Kommune arbeitslos – und die Kinder an der Mercklinghausstraße hätten keine Sozialarbeiterin mehr. Niemanden mehr, dem sie sich anvertrauen können bei Problemen mit Eltern oder Lehrern; niemanden, der mit Müttern ins Gespräch kommt, und sei es mithilfe eines Dolmetschers; niemanden, der kreative Projekte lanciert. Ein Problem, das gerade nicht nur in Wuppertal Unruhe auslöst; sondern in ganz Nordrhein-Westfalen, ja fast bundesweit.
Durch das Programm war in Sachen Schulsozialarbeit ein Schub entstanden: Nach Schätzungen wurden 2000 zusätzliche Jobs bundesweit geschaffen, auch an Grundschulen, an denen zuvor oft keine Sozialarbeit vorgesehen war. Schon im vergangenen Jahr gerieten viele Kommunen in Sorge, dass ohne das Geld 2014 ein Kahlschlag drohe, weder Länder noch Städte könnten die Finanzierung übernehmen. Gewerkschafter vermuten, dass deutschlandweit ein Drittel der vor zwei Jahren geschaffenen Stellen wegfallen könnte.
Deswegen hat nun ein großer Basar begonnen: Bayern und Hamburg etwa wollen die Sozialarbeiterstellen aus eigenen Mitteln bezahlen; in Nordrhein-Westfalen plant man dies zunächst nicht, vielleicht von 2015 an könnte es ein Landesprogramm geben. Man sei in Gesprächen, mit dem Bund und mit den Kommunen, heißt es aus der Landesregierung in Düsseldorf. Etliche Städte und Gemeinden hätten auch noch „erhebliche“ Mittel aus dem Vorjahr übrig; einige Kommunen haben derweil die Jobs für das Jahr 2014 selbst finanziert, manche bis Ende des Schuljahres, andere nur für ein paar Monate. Andernorts, etwa in Rheinland-Pfalz, wird in jeder Kommune unterschiedlich verfahren, das Land kann nur für einen Teil der Stellen Zuschüsse geben. Gleiches gilt in Bremen, dort hat man bereits im vergangenen Jahr die Schulen nach sozialer Brisanz in Kategorien unterteilt, nicht jeder Sozialarbeiter bleibt. Nach einer Umfrage des Senders NDR Info in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern könnte dort jede zehnte Stelle wegfallen. Allerorten wird aktuell gerechnet, gefeilscht, nach neuen Töpfen Ausschau gehalten, manche Schulen streichen eine Lehrerstelle, um den Sozialarbeiter zu erhalten, andere setzen auf Tombolas, um Spenden zu bekommen. Ein bisschen regt sich noch die Hoffnung auf ein Engagement des Bundes. Im Koalitionsvertrag steht dazu allerdings nichts.
„Uns geht es nicht darum, woher das Geld kommt. Uns geht es darum, dass es weitergeht“, sagt Frank Gottsmann vom Aktionsbündnis Schulsozialarbeit in NRW. Er verweist auf eine Studie der Wuppertaler Uni über das örtliche Angebot. Diese zeigt, so wie andere, überregionale Untersuchungen dieser Art, dass Schulsozialarbeit wirkt. So vertrauen sich drei Mal so viele Schüler bei Ärger im Elternhaus dem Sozialarbeiter an als ihrem Lehrer. Die Autoren schreiben in der Studie: Schulsozialarbeit „scheint hier eine Lücke zu schließen“.
„Alle wollen unsere Arbeit“, sagt Christiane Leithaus. „Ich klammere mich an den Strohhalm, dass sich dann auch jemand finden wird, der sie bezahlt.“ Sie gibt die Zuversicht nicht auf, hat sich nicht für andere Stellen beworben. „Die Arbeit muss ganz normal weitergehen, und sei es bis zum letzten Tag.“ Die nächsten Termine für das Elterncafé sind eingeplant, dann wird sie wieder Kaffee kochen, zuhören, Rat geben. Alles geht weiter, trotz der drohenden Kündigung. Mit den Kindern der vierten Klasse macht sie gerade Improvisationstheater, aktuell üben sie Szenen, in denen ein Mitschüler körperlich zudringlich wird. Die Kinder bekämen die Debatte durchaus mit, viele wüssten, dass ihre Frau Leithaus womöglich bald nicht mehr da ist – und fragen sie ungeduldig, berichtet die Sozialarbeiterin: „Was ist denn jetzt?“