Die Lage in der Ukraine spitzt sich zu. Die Proteste werden gewalttätiger. Das bekommt auch Oppositionär Klitschko zu spüren.
In der Ukraine wächst die Angst vor einem Bürgerkrieg. Nach gewalttätigen Ausschreitungen in der Nacht zum Montag, bei denen sich Polizei und radikale Demonstranten Straßenschlachten geliefert hatten, bekämpften sich Sondereinheiten und einzelne Aktivisten auch am Tag danach. Noch am Montagnachmittag schwelten Feuer in den Straßen der Kiewer Innenstadt; die Polizei stand weiter mit Wasserwerfern und Tränengas bereit. Hunderte Aktivisten versammelten sich vor dem EU-Gebäude in Kiew und riefen: „Wir brauchen Hilfe!“
Die Justiz stufte am Montag die Straßenschlachten in Kiew als Landesverrat ein und warnte vor einer Bedrohung der nationalen Sicherheit. „Das ist nicht bloß Rowdytum. Das ist Landesverrat“, sagte Generalstaatsanwalt Viktor Pschonka. Teilnehmer von Demonstrationen gehen damit ein erhöhtes Risiko ein.
Über das vom Präsidenten noch in der Nacht angekündigte Krisengespräch zur Deeskalierung der Lage ist unterdessen ein heftiger Streit ausgebrochen. Laut Viktor Janukowitsch sollte am Montagmorgen erstmals eine Kommission unter Vorsitz des Sekretärs des Nationalen Sicherheitsrats zusammenkommen, Andrej Kljujew. Doch Oppositionsführer Vitali Klitschko, der diese Nachricht Stunden zuvor selbst bekanntgegeben hatte, fordert wie seine Mitstreiter die Anwesenheit des Präsidenten persönlich. Außerdem gilt Kljujew bei den demokratischen Aktivisten als Erfüllungsgehilfe von Janukowitsch; man traut ihm keine Befriedungspolitik zu und sieht in der Entscheidung für diesen Vertrauten des Präsidenten eine Provokation.
Klitschko rief die Ukrainer dazu auf, verstärkt nach Kiew zu kommen. „Die Regierung hat dem Volk den Krieg erklärt“, sagte der 42-jährige Ex-Boxweltmeister in einer verbreiteten Videoansprache. „Wir sind mehr. Ihr werdet hier gebraucht, damit die Ukraine gewinnt und nicht Janukowitsch.“
Gegen Klitschko und andere Oppositionspolitiker war es am Sonntag auf dem Maidan-Platz zu heftigen Unmutsäußerungen gekommen, weil sich die Regierungsgegner bisher nicht auf eine effektive Strategie im Kampf gegen die Regierung einigen konnten und bisher auch erfolglos geblieben sind in ihrem Versuch, die Regierung zu stürzen. Frust und Enttäuschung waren daher Teil jener explosiven Gefühlsmischung, die am Sonntag zu gewalttätigen Übergriffen von Seiten einiger Demonstranten beitrug.
Eskaliert war die Lage vor allem aufgrund der Parlamentsbeschlüsse vom vergangenen Donnerstag, mit denen die Partei der Regionen gegen den Protest der Opposition eine Reihe von Strafverschärfungen und Verboten durchgedrückt hatte. Dadurch sollten die Proteste der proeuropäischen Bewegung der vergangenen Wochen unterdrückt werden. Trotzdem hatten sich am Sonntag Hunderttausende auf dem Maidan versammelt und dem Demonstrationsverbot getrotzt, eine Weile hatte das Ganze den Charakter eines Happenings; Demonstranten trugen Faschingsmasken aus Protest gegen das Vermummungsverbot und Salatschüsseln auf dem Kopf als Protest gegen das Verbot, Helme zu tragen.
Als dann aber eine kleine Gruppe junger Männer versuchte, die Polizeiblockade vor dem Präsidentenpalast zu durchbrechen und auch Klitschko die Lage nicht beruhigen konnte, kam es zu Prügeleien mit der Polizei. Klitschko wurde mit einem Feuerlöscher besprüht, als er zur Ruhe aufrief, Dutzende Demonstranten und Journalisten, aber auch Polizeibeamte erlitten zum Teil schwere Verletzungen.
Am späten Abend folgte dann das Verhandlungsangebot aus dem Präsidentenpalast; Janukowitsch lud für den Montag zum Gespräch. Nur, wie so oft, sah die Sache am helllichten Tag dann anders aus: Der Präsident mochte sich nicht selbst mit seinen Gegnern an einen Tisch setzen. Ohnehin sind die Zweifel im Lager der Regierungsgegner gegenüber einem solchen Treffen groß, hatte doch Janukowitsch selbst nur einen Tag nach den antidemokratischen Beschlüssen vom Donnerstag die Gesetze unterzeichnet, die nun zur Eskalation der Lage geführt haben. Die Opposition fordert von der regierenden Partei der Regionen, diese solle die Gesetze umgehend zurücknehmen. Doch dafür gibt es bisher keine Indizien.
Ein Regierungssprecher beteuerte, man plane vorerst nicht, den Ausnahmezustand auszurufen. Stattdessen holte man sich Unterstützung von den Russen, für ihren harten Umgang mit Demonstranten bekannt. Die Lage in der Ukraine schreckte auch die Außenminister der Europäischen Union auf, die in Brüssel tagten. Sie forderten die Regierung in Kiew auf, das Gesetzespaket zur Beschneidung des Demonstrationsrechts zurückzunehmen. Diese Gesetze würden Grundrechte der ukrainischen Bürger wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen „bedeutend einschränken“.
Es sei das „umfassendste Repressionspaket, das in Jahrzehnten von einem europäischen Parlament beschlossen worden ist“, sagte Schwedens Außenminister Carl Bildt. Sein polnischer Kollege RadosÅ‚aw Sikorski erklärte, man werde Janukowitsch „nicht mehr nach seinen Worten und nur noch nach seinen Taten beurteilen“.