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Ein Land am Pranger

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Jeder in Schweden kann sich über Lexbase über Vorstrafen seiner Nachbarn informieren. Doch die Seite aktualisiert sich nicht, etwa nach einem Umzug.

Die Straße draußen vor dem Fenster sieht friedlich aus, kaum Verkehr, ein Friseursalon, ein Café, gutbürgerlich in Nähe des Stockholmer Rathauses. Doch sieht man sich die Straße auf dem interaktiven Stadtplan im Netz an, prangen dort zwei rote Punkte. Sie markieren die beiden Häuser nebenan. Die Punkte stehen für verurteilte Personen, Verbrecher in der Nachbarschaft. Gegen eine Gebühr verspricht die Internetseite Lexbase, die diesen Service bereitstellt, weitere Informationen: Namen, Gerichtsurteil, Strafmaß.

Es sind Informationen, die in Schweden jeder einsehen kann, wenn er bei den Gerichten danach fragt. Die Betreiber von Lexbase haben sie in großem Stil gesammelt und mehrere Millionen Dokumente ausgewertet. Seit vergangenem Montag ist ihre Seite im Netz. Jeder kann dort nun die kriminelle Vergangenheit seiner Nachbarn und Geschäftspartner einsehen oder prüfen, wo der nächste Sexualstraftäter lebt. Er muss nur Namen oder Adresse eingeben, oder einen der roten Punkte anklicken.

„Wir haben diese Woche viele Anrufe bekommen. Die Menschen sind aufgeregt, manche weinen“, sagt Martin Brinnen, Anwalt bei der schwedischen Datenschutzbehörde. Es seien Menschen, die irgendwie in den Lexbase-Listen auftauchen. Sie müssten deswegen keine verurteilten Verbrecher sein. Es reiche, wenn sie in einem Haus leben, in dem zuvor ein Straftäter gewohnt hat, erklärt Brinnen. Die Seite aktualisiere die Adressen nicht, wenn einer nach seinem Urteil umzieht. Das sei kein Problem bei Mietskasernen, wohl aber bei Einfamilienhäusern. Doch wehren könne man sich dagegen kaum.

Den Datenschützern sind die Hände gebunden. Die Seite wird von der schwedischen Verfassung geschützt, die ihr das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert. Auf dieses können sich in Schweden alle Internetseiten mit einem entsprechenden Zertifikat berufen, das sie auf eine Stufe mit Zeitungen und Rundfunkanstalten stellt. „Es gibt ihnen das Recht, die Daten zu veröffentlichen. Praktisch jede Internetseite kann es bekommen“, sagt Anne Ramberg, die Generalsekretärin des Anwaltsvereins. Die Meinungsfreiheit stehe in Schweden über dem Recht auf Privatsphäre. Und diese Internetseite sei ein „zynischer Missbrauch der Verfassung“.

Die Kammer habe den juristischen Sprecher von Lexbase, Pontus Ljunggren, um eine Stellungnahme gebeten. Der hat sich jedoch inzwischen von Lexbase getrennt, es war von Morddrohungen gegen ihn und seine Familie die Rede. Man könnte sagen: Er ist das erste Opfer seiner eigenen Schöpfung.

Die könnte Folgen haben: Die Chefin der Datenschutzbehörde, Kristina Svahn Starrsjö, hat gefordert, die schwedische Verfassung zu ändern. In der Tageszeitung Dagens Nyheter schrieb sie, wie schwierig es für ihre Mitarbeiter sei, all den Menschen am Telefon immer wieder dasselbe zu sagen: dass sie machtlos sind. Einzige Lösung sei, die Verfassung zu ändern. Doch das dauert ein paar Jahre.

Derweil versuchen die Medien Lexbase mit eigenen Mitteln zu schlagen. Sie berichteten, der Hauptanteilseigner habe seit Jahren keine Steuern gezahlt und mit Kriminellen in Verbindung gestanden. Lexbase war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

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