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Jugend horcht

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Als der Percussionist Claudio Estay Gonzalez den Wernicke-Proben-Saal in der Bayerischen Staatsoper verlässt, ruft ihm einer der Jugendlichen ein herzhaftes „Yo, peace“ hinterher. Estay Gonzalez grinst und eilt weiter. Er ist erster Schlagzeuger im Bayerischen Staatsorchester und hat gerade den 22 Schülern der achten Klassen der Anni-Braun-Sprach-Schule in Johanneskirchen einen mächtigen Rhythmus aus Puccinis Turandot beigebracht. Es ist der letzte Workshop für die Schüler der Sprachförderschule im Rahmen des Projekts „Oper.Über.Leben“. An diesem Donnerstag wird ihre Version der Geschichte um die mordende Prinzessin im Königssaal des Nationaltheaters zur Aufführung gebracht.

Diese Jugendarbeit ist offenbar dringend notwendig. Mitte Januar schockierte eine Forsa-Studie der Körber-Stiftung über das Interesse an klassischer Musik mit drastischen Zahlen, gerade in Bezug auf jüngere Menschen: Die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen befindet zwar fast gänzlich die klassische Musik für ein wichtiges kulturelles Erbe, doch nur knapp 50 Prozent der Befragten meinen, dass die Konzerthäuser weiterhin subventioniert werden sollten, und nur zehn Prozent gaben an, im vergangenen Jahr ein klassisches Konzert besucht zu haben. Drastisch ausgedrückt ist die Klassik für die unter 30-Jährigen also ein Denkmal, das ruhig in der kulturellen Landschaft herumstehen kann, das aber mit ihrer persönlichen Lebensrealität nicht mehr viel zu tun hat.



Eine junge Studie sagt, dass sich junge Menschen kaum noch für klassische Musik interessieren. Viele Konzerthäuser versuchen dies zu ändern, indem sie spezielle Veranstaltungen an ein junges Publikum adressieren.

Doch in einer Stadt wie München trifft dieser Fatalismus nicht zu. Münchens Konzert- und Opernhauslandschaft wirkt quicklebendig und vor allem auch jung: Es gibt drei Spitzenorchester, zwei große Häuser für Musiktheater und unzählige Programme, die sich direkt an ein jüngeres Publikum richten. Die Konzerthäuser müssten mehr tun, um klassische Musik mehr Menschen zugänglich zu machen – diesem Vorwurf stimmen laut der Studie 65 Prozent der Befragten aller Altersgruppen zu. Doch zumindest in München sind die Angebote äußerst vielfältig. Allein die Bayerische Staatsoper öffnet in einer Vielzahl von Projekten ihre Türen und erlaubt den Blick hinter die Kulissen. Das Image vom elitären Musentempel ist längst passé, jedenfalls sieht man das innerhalb des Hauses so. Das Projekt „Oper.Über.Leben“ findet etwa drei- bis viermal pro Spielzeit statt, bewerben können sich alle Mittelschulen im S-Bahn-Einzugsbereich München, erklärt Ursula Gessat, die Musiktheaterpädagogin des Hauses. Je nach dem, was gerade auf dem Spielplan steht, erarbeitet sie zusammen mit Musikern des Orchesters und den Kindern und Jugendlichen einen eigenen Zugang zu dem Stück. Sie schreiben eigene Monologe, greifen einfache musikalische Motive aus der Komposition auf, um ihre Texte zu vertonen, und besuchen nach ihrer eigenen Vorstellung die Aufführung des Stücks in der Oper. „Und das sind Plätze erster Kategorie“, betont Gessat, also Sitzplätze im Parkett.

Die Resonanz auf die verschiedenen Projekte der Oper ist groß. 20000 Schüler- und Studentenkarten sind laut dem Jahresbericht im Jahr 2012 verkauft worden, es gab mehr als 13 000 Teilnehmer aller Altersgruppen an den verschiedenen Projekten – vom Sitzkissenkonzert für Zuschauer ab vier Jahren über verschiedene Tanzworkshops an Gymnasien bis zu einem Seminar an der Fachhochschule Jena und dem Patenschaftsprojekt, das nun Anfang Februar erneut beginnt: Dabei wird jeweils ein erfahrener Opernbesucher mit einem jungen Menschen unter 30 Jahren zusammengebracht, um gemeinsam Opern anzusehen und sich darüber auszutauschen. Und natürlich ist nicht nur die Oper aktiv, auch die Kammeroper oder die Philharmoniker veranstalten Jugendprogramme, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks lädt gemeinsam mit dem SZ-Adventskalender zweimal jährlich zum Kinderkonzert ein.

Doch bei all der positiven Resonanz bei den Jüngeren sind die Befragten der Körber-Studie eben nicht Kinder und Jugendliche, sondern Menschen ab 18 Jahren. Zwar wirken die Aussagen der Studie – etwa, dass klassische Konzerte zu teuer seien oder die Zeit für den Besuch fehle – angesichts verbilligter Karten-Angebote sowie der großen Auslastung diverser Clubs der Poplandschaft etwas fadenscheinig, doch es ist wenig sinnvoll, Popkultur und Klassik immer wieder gegeneinander auszuspielen. Interesse an Popmusik und an Klassik ist längst kein Gegensatz mehr. So gehört es in manchen Kreisen ab einem gewissen Alter durchaus zum guten Ton, etwa Anne-Sophie Mutter einmal gesehen zu haben, doch ist dieses Erlebnis bei Jüngeren von ähnlicher gesellschaftlicher Relevanz wie der Auftritt des einen oder anderen DJs. Die klassische Musik hat im vergangenen Jahrhundert mit Popmusik und Jazz eben Konkurrenz bekommen. Im biedermeierlichen 19. Jahrhundert waren diese Klänge gesellschaftlich noch ganz anders verankert, als die Hausmusik boomte und vielköpfige Familien ganze Kammermusikensembles bildeten.

Dass die heutige Jugend mehr Pop- als Klassikkonzerte besucht, muss nicht heißen, dass die Klassik in absehbarer Zeit aus der Konzertlandschaft verschwindet. Abgesehen von Musikhochschulen und Institutionen wie dem Landesjugendorchester, die konstant Nachwuchs generieren, werden die Kreise, in denen klassische Konzerte zum Prestige gehören, diese Musik und die Konzertbesuche als gesellschaftliches Ereignis an nachfolgende Generationen vererben. Zum anderen werden auch diejenigen, die zwischen den Generationen und musikalischen Vorlieben stehen, in München bedient: So spielten innerhalb der Reihe „Classical Next Level“ Musiker der Philharmoniker 2013 im Elektroclub Harry Klein, und die Staatsoper lud im Zuge der letztjährigen Opernfestspiele den Techno-DJ Paul van Dyk ein: Auf der Bühne des Nationaltheaters würzten die jungen Sänger des Opernstudios und Stars wie René Pape das DJ-Set mit Verdi-Arien.

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