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Hoffnung, zweiter Versuch

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Nach Obamas Wiederwahl weht der Wind des Kulturkampfs durch die Politik


Als Barack Obama vor vier Jahren zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde, machte er Geschichte: Der Senator aus Illinois regierte als erster Afroamerikaner ein Land, in dessen Süden noch im 19.Jahrhundert die Sklaverei ein Pfeiler der Wirtschaft war und wo, wiederum im Süden, noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts eine Form der Apartheid geherrscht hatte. Obama verkörperte 2008 nicht nur den amerikanischen Traum - jeder kann alles werden -, sondern auch den Wandel dieser in Teilen so reaktionären, in anderen Teilen so dynamisch liberalen Gesellschaft.



Hat hohe Erwartungen zu Erfüllen: der Wiedergewählte Barack Obama

Heute, im November 2012, ist Obama wiedergewählt worden - nicht als historisches Phänomen oder als Symbol, sondern als Politiker. Er konnte eine knappe Mehrheit der Amerikaner davon überzeugen, dass seine politischen Vorstellungen und seine Kraft, diese auch zu verwirklichen, der Nation mehr nützen als das beliebige Programm Mitt Romneys, der mit der Hilfe Gottes und der Tea Party auf weniger Staat, niedrigere Steuern sowie die Selbstheilungskräfte eines um sich schnappenden Marktes setzte.

2008 hat die Symbolfigur Obama grandios gewonnen, die zu Hause und weltweit - siehe den leistungslosen Friedensnobelpreis - in erster Linie Hoffnung nach Jahren des texanischen Kriegertums von George W. Bush weckte. 2012 siegte ein ermüdeter, ernüchterter Sozialdemokrat Obama. Er hatte im Weißen Haus zwar zu viel versprochen, aber dennoch nicht so wenig erreicht, als dass genug Amerikaner den salesman Romney als 45. Präsidenten der USA hätten sehen wollen.

Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass die USA gespalten sind. Auch im Wahlergebnis spiegelt sich das wider: Im Repräsentantenhaus wurden die Republikaner in ihrer Mehrheit gestärkt - vor allem ihre nahezu reaktionären Elemente. Im Senat behalten die Demokraten die Oberhand, auch weil die Republikaner einige Kandidaten aufgestellt hatten, deren Ansichten hanebüchen sind. (Der republikanische Senatskandidat Richard Mourdock in Indiana sprach zum Beispiel davon, dass Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung Gottes Wille sei.)

Repräsentantenhaus und Senat werden sich weiterhin gegenseitig blockieren. Der Präsident wird Kompromisse vermitteln müssen. Je näher die nächste Wahl rückt, desto schwieriger wird das Regieren angesichts dieses divided government werden. Sollte es Obama aber gelingen, in den nächsten zwei Jahren jene Führungspersönlichkeit zu werden, auf die seine Sympathisanten seit seiner ersten Amtszeit hoffen, dann könnte er nicht nur als historisches Phänomen, sondern auch als ein bedeutender Präsident der sozialen Veränderung in die Geschichte eingehen. Amerika krankt an vielem: am Gesundheitssystem, am ungerechten Steuerwesen, an den Problemen von Einwanderung, Integration und (Berufs-)Bildung.

Das alles sind Bereiche, in denen sich nicht nur Demokraten und Republikaner fundamental unterscheiden, sondern sie stellen auch die Kampffelder unterschiedlicher Milieus dar. Hier geht es nicht nur um jenen milden Antagonismus, der etwa zwischen dem rot-grünen und dem schwarz-gelben Lager in Deutschland herrscht. In Amerika weht der strenge Wind des Kulturkampfs durch die Politik. Simpel gesagt, wollen weiße Familien, die auf dem Land oder in einer Vorstadt leben, ein anderes Amerika als Latinos, Großstädter oder jüngere Menschen. Diese Obama-Sozialdemokraten haben jetzt bei der Wahl den Ausschlag gegeben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich nach der Wahl und angesichts der horrenden Staatsverschuldung in Washington Rot und Blau nun zu einer Art großen Koalition der halbwegs konsensualen Reform zusammenfinden, ist gleich null. Es wird ein paar Anläufe geben, eine irgendwie zusammengeschusterte Lösung für den nächsten Haushalt und dann wieder Kampf bis aufs Messer - schon allein, weil die Republikaner untereinander jetzt darüber streiten werden, wie weit die Partei bis 2016 nach rechts rücken muss.

Eigentlich hätte der alte, neue Präsident daheim genug zu tun. Und dennoch darf er die internationale Bühne nicht weiter vernachlässigen. Dabei geht es nicht um das alte Gejammer hierzulande, dass sich Amerika von Europa abwende. Syrien, das iranische Nuklearprogramm, Netanjahus Gegenschlagspolitik, der Krisenbogen zwischen Tunesien und Afghanistan - all das erfordert mehr als Abwarten oder gar Appeasement. Romney hat bei seinen Auslandsreisen einen Eindruck davon gegeben, was Amerika alles falsch machen könnte. Obama muss in seiner zweiten Amtszeit im islamisch geprägten Raum, aber auch gegenüber China aktiver werden. Er muss führen, in Washington, aber auch in der Welt.

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