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Mein Leben als Mensch

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Mike Ross nimmt persönlich Kontakt auf, nur ein paar Stunden nachdem man beginnt, auf Twitter seine Meldungen zu abonnieren. Der Anwalt aus New York City wüsste gerne, schreibt er an seine neue Online-Bekanntschaft aus Deutschland, mit wem er da künftig zusammenarbeite: „Are you a bike or limo to work kind of lawyer?“ Fährst du lieber mit dem Fahrrad oder der Limousine in die Kanzlei?

Mike Ross hat inzwischen 3400 Follower bei Twitter, und soweit man das überblicken kann, hat er mit allen persönlich Kontakt aufgenommen und über die Vorzüge des Anwaltsdaseins und seine eigenen Vorzüge berichtet. Bemerkenswert ist das alles aber nur aus einem Grund: Mike Ross gibt es gar nicht. Der hübsche Anwalt der Kanzlei Pearson Darby ist eine Figur aus dem Fernsehen, aus der US-Serie Suits über einen hochbegabten jungen Mann, der ohne einen Uniabschluss ein sehr erfolgreicher Anwalt wurde.

Er ist nur eine von vielen Fernsehfiguren, für die eine Existenz außerhalb ihrer Serien geschaffen wurde. In den vergangenen Jahren ist so eine vollkommen neue Form des Geschichtenerzählens entstanden: Die Fernsehgeschichten werden ins wahre Leben hineinerzählt, zumindest in jenen elektronischen Bereich, der mit Tweets von Freunden und real existierenden Politikern eine Illusion des wahren Lebens ist. In dieser Illusion ist sogar Raum für Figuren, die es gar nicht gibt.



Niel Patrick Harris spielt in seiner Rolle als Barney Stinson in der Serie "How I Met Your Mother" einen Weiberhelden – wer könnte Bessere Tipps fürs Leben geben?

Ende vergangenen Jahres erschien in Deutschland ein Buch mit dem mäßig intelligenten Titel Wir. geil ... und du so?. Geschrieben hatte das Werk ein gewisser Ole Peters, einer der Charaktere aus der RTL2-Trash-Pseudo-Doku Berlin Tag und Nacht, seit 2011 verkörpert von dem Schauspieler Falko Ochsenknecht.

Ole beginnt sein Buch mit dem Satz „Hey Leute, hier ist der Ole aus Berlin“ und gibt danach auf knapp 200 großzügig bebilderten Seiten Tipps für das perfekte Leben in der perfekten WG, wofür der Ole aus Berlin natürlich quasi amtlicher Experte ist, weil er bei RTL2 auch in einer WG wohnt. Und obwohl das Buch so überraschende Regeln vorgibt wie „Im Stehen pinkeln ist tabu“ und „An den Putzplan halten“, stieg Wir. geil ... und du so? im Dezember auf Platz vier in die Spiegel-Bestsellerliste ein.

Der Münchner Riva-Verlag nahm mit der ratgeberschreibenden Serienfigur eine Idee wieder auf, mit der er schon einmal großen Erfolg gehabt hatte. Im Jahr 2010 brachte der Verlag ein Buch nach Deutschland, das es in den USA auf die Bestsellerliste der New York Times geschafft hatte. Barney Stinson, eine der Hauptfiguren der Sitcom How I Met Your Mother über fünf Freunde in New York, gibt in Der Bro Code in 150 Geboten Ratschläge für ein ordentliches Miteinander zwischen Mann und Mann  von „Bruder vor Luder“ bis „Kein Sex mit deines Bros Ex“. Das Frauenbild in diesem Werk ist, wenig überraschend, eher fragwürdig; 2013 konnte dennoch eine 19. Auflage gedruckt werden.

Bücher und Twitterauftritte von Serienfiguren sind in erster Linie natürlich sehr geschickte Werbemaßnahmen und Merchandising-Produkte von Produktionsfirmen, die neben der Fernsehvermarktung, neben T-Shirts, Tassen und sonstigem Klimbim auch auf dem Buchmarkt mit ihren Figuren Geld verdienen können. Und wo könnte man den jungen Leser, der vielleicht zögert ob der Entscheidung, Geld in das gute alte Buch zu investieren, besser finden als dort, wo er ohnehin sitzt: vor der Glotze? Beziehungsweise: Und wo findet man Menschen, die mehr Zeit im Internet verbringen als vor ihrem Fernseher, wenn nicht im sozialen Internet?

Auch an Ole Peters Leben kann man bei Facebook teilnehmen, und Frank Underwood, die geniale Hauptfigur aus der Politserie House of Cards, twittert für knapp 24000 Abonnenten über sein Leben als hervorragend skrupelloser Politstratege in Washington. Kommende Woche startet die zweite Staffel House of Cards. Frank Underwood hat bei Twitter auch selbst dafür gesorgt, dass ihn in der Zwischenzeit keiner vergessenen hat.

Wenn man von Mike Ross angeschrieben wird, oder sich vom Womanizer Barney Stinson Tipps für das möglichst unfallfreie Leben als Kerl geben lässt, integriert sich ein erfundener Seriencharakter quasi fugenfrei in das Leben seiner Fans. Der Leser und Zuschauer selbst wird Teil der Erzählung. Die klassische Dramentheorie analysiert die Kommunikation von Figuren untereinander und die Kommunikation des Dramatikers mit dem Publikum, und auch dort kennt man das Prinzip natürlich schon. Die Absolutheit des Dramas kann durchbrochen werden, eine fiktive Figur aus einem Theaterstück kann also das Publikum direkt ansprechen, die Fiktion durchbrechen.

Auch Frank Underwood in House of Cards zum Beispiel richtet immer wieder den Blick in die Kamera, um seinen Zuschauern seine Sicht auf die Dinge ins Gesicht zu sagen. Dass die Figuren eines klassischen Dramas ihre Zuschauer aber nicht nur von der Bühne aus direkt ansprechen, sondern auch bis nach Hause verfolgen, das ist neu. Die Fiktion wird ins Netz oder in den Buchladen erweitert. Erfolgsrezept ist das Spiel mit der Illusion, dass eine Figur aus meiner Lieblingsserie tatsächlich mein Freund werden könnte.

Das Leben von Serienfiguren im Netz hält übrigens sogar weit über das Ende hinaus. Der Monaco Franze, 1981 vom Bayerischen Rundfunk produziert und bis 1983 im Fernsehen, hat fast 10000 Facebook-Freunde. Aber der Monaco Franze ist auch eigentlich gar nicht mehr fiktiv, sondern überhaupt unsterblich.

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