Wenn Cihan Süğür spricht, ist es hinterher nicht leicht, etwas zum Zitieren zu finden. „Fuck you“ geht gerade noch, ist ja Englisch. „Arschloch“ geht ein bisschen weniger und „Bauern-Spast“ geht eigentlich gar nicht, erst recht nicht, wenn man sich dabei auf einen deutschen CSU-Minister bezieht.
Cihan Süğür, 23, Teamleiter bei der Deutschen Bahn Schenker, ist einer von mehr als 300 Stipendiaten der Deutschlandstiftung Integration. Er gehört zum ersten Jahrgang des Programms und gilt als eine der schillerndsten Figuren hier, im Atrium der Deutschen Bank, wo gerade der zweite Jahrgang aufgenommen wird. Später, beim Neujahrsempfang, kommen so ziemlich alle zusammen, die sich in Berlin mit Integration beschäftigen. Schirmherrin Angela Merkel ist verhindert, Regierungssprecher Steffen Seibert – selbst Mentor im Programm – vertritt sie.
Ein eigenartiger Kontrast. Auf der einen Seite Caren Marks, Staatssekretärin im Familienministerium, die von einem „gedeihlichen Miteinander“ fabuliert, die Stipendiaten für ihre „Kulturkompetenz“, ihre „Fähigkeiten und Fertigkeiten“ lobt. Marks mahnt, dass man sich „gesamtgesellschaftlich noch mehr anstrengen“ müsse und, natürlich, alles in der Kita beginne. Als für ihre „spannenden Worte“ gedankt wird, kichern die ersten. Dann kommt Stipendiat Amin Saleh: „Keine Angst, ich spreche deutsch“. Er hat sich die Zeile „Schau nach vorn, nicht zurück, geh deinen Weg, Stück für Stück, Bruder“ einfallen lassen, untermalt mit Klatschen aus dem Publikum. „Geh deinen Weg“ ist das Motto des Stipendienprogramms.
"Gedeihliches Miteinander", das geht nur im direkten Kontakt: Bundesadler auf der deutschen Einbürgerungsurkunde.
Wer bei Stipendium an finanzielle Unterstützung denkt, liegt in diesem Fall falsch. Die 2008 vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger gegründete Stiftung ist klein. Sieben Mitarbeiter. Sie hat nicht die Mittel, den 164 neu aufgenommen Talenten zwei Jahre lang Geld zu überweisen. Stattdessen stellt sie ihnen Mentoren zur Seite, die kommen oft aus zahlungskräftigen Unternehmen im Hintergrund – Edeka, Telekom, Deutsche Bank – oder aus der Politik. Darum geht es bei dem Empfang eigentlich: ums Kontakteknüpfen.
Bahn-Mitarbeiter Cihan Süğür hat das nicht mehr so richtig nötig. Der 23-Jährige war schon im ZDF zu sehen und wurde auch vom Bayerischen Rundfunk interviewt. Er ist ein „Dortmunder Jung“, sein Großvater kam in der 1970er Jahren „mit einem vollgepackten Ford Transit und zwei Frauen“ in den Ruhrpott, Gastarbeiter. Sein Enkel, Ray-Ban-Brille, Anzug, spricht von „High Flyern“, „High Potentials“ und „Top-Talents“, was vermutlich alles das gleiche bedeutet. Dass er dazwischen so oft „Fuck you“ sagt, liegt daran, dass er, der in Deutschland geboren wurde, erfolgreich und sozial engagiert ist, keinen deutschen Pass bekommt. Zumindest nicht, so lange er seinen türkischen Pass behält. Bei über 50 anderen Nationalitäten gilt diese Wahlpflicht nicht. Unfair, findet Süğür und sagt: „Ich fütter mit meinen Steuern sechs Hartz-4-Empfänger durch. Ich kann auch ins Ausland gehen, wenn ich das Gefühl habe, nicht gewollt zu sein.“
Dass es so weit kommt, will Aydan Özoğuz (SPD), neue Beauftragte der Bundesregierung für Integration, Migration und Flüchtlinge, verhindern. Dass inzwischen mehr Menschen von Deutschland in die Türkei gingen als andersrum, sei ein Alarmsignal. In der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft plädiert Özoğuz, selbst Kind türkischer Gastarbeiter, dafür, den Doppelpass nicht von komplizierten, bürokratischen Verfahren abhängig zu machen – und stellt sich damit auch gegen Innenminister Thomas de Maizière (CDU).
Özoğuz bekommt viel Beifall. Das Thema Staatsbürgerschaft beschäftigt alle. Noch wichtiger ist es den Stipendiaten aber, mit prominenten Gästen ins Gespräch zu kommen. Viele haben noch keinen Mentor, sind an diesem Abend auf der Suche. Abgeordnete, Künstler, Personalchefs sind da.
„Alle High-Flyer bleiben unter sich, da kommt man nicht dazwischen“, beschwert sich ein Management-Student aus Bochum. High-Flyer ist also doch etwas anderes als High-Potential. Bald darauf spricht der Student mit dem türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu, der scheinbar mit dem gesamten Botschaftspersonal angerückt ist. Auch der Schweizer Botschafter ist da. Wolfgang Fürstner, der für den Stiftungs-Vorstand, in dem auch Uli Hoeneß sitzt, spricht, wendet sich an ihn: Mit dem Votum „Gegen Masseneinwanderung“ habe sich die Schweiz auf einen falschen Weg begeben: „Das ist keine zukunftsweisende Politik.“ Ob die Förderung der Deutschlandstiftung zukunftsweisend ist? Da sind die Stipendiaten unsicher. „Ich habe Freunde, Bio-Deutsche, die finden unfair, dass sie keine Förderung bekommen“, sagt einer, „ich kann das irgendwie verstehen.“ Andererseits gibt es auch Förderung für begabte Katholiken, Sozialisten, FDP-Anhänger, Arbeiterkinder. Viele hier sind in ihrem Leben ausgegrenzt oder benachteiligt worden. Wenn es jetzt mal einen „Ausländerbonus“ gibt, sei das im Prinzip okay. Oder?
"Mein Mentee hat mir den Kopf geöffnet", sagt der Regierungssprecher
Die Mentoren, die die Stipendiaten bekommen, sind oft erstklassig: Der Management-Student aus Bochum wünscht sich Dieter Zetsche, bei den Frauen ist Hannelore Kraft begehrt. Gut möglich, dass das klappt. Steffen Seibert sagt bei einer kurzen Podiumsdiskussion, sein „Mentee“, Zakariya Ali, habe ihm „den Kopf geöffnet“, er lerne sehr viel von dem muslimischen Medizinstudenten. Amin Saleh, der Stipendiat mit dem „Schau nach vorn“-Rap, sagt am nächsten Tag, man hätte die Veranstaltung „jugendfreundlicher gestalten“ können, die langen Reden, na ja.
Und Überflieger Cihan Süğür? Er postet gegen Mitternacht ein Selfie mit Staatsministerin Aydan Özoğuz, schreibt, die Veranstaltung sei „H-A-M-M-E-R!!“ gewesen. Dann geht es „straight nach Frankfurt“, wo ab morgen wieder „malochen“ angesagt ist. Mehr Deutschland geht nicht.
Cihan Süğür, 23, Teamleiter bei der Deutschen Bahn Schenker, ist einer von mehr als 300 Stipendiaten der Deutschlandstiftung Integration. Er gehört zum ersten Jahrgang des Programms und gilt als eine der schillerndsten Figuren hier, im Atrium der Deutschen Bank, wo gerade der zweite Jahrgang aufgenommen wird. Später, beim Neujahrsempfang, kommen so ziemlich alle zusammen, die sich in Berlin mit Integration beschäftigen. Schirmherrin Angela Merkel ist verhindert, Regierungssprecher Steffen Seibert – selbst Mentor im Programm – vertritt sie.
Ein eigenartiger Kontrast. Auf der einen Seite Caren Marks, Staatssekretärin im Familienministerium, die von einem „gedeihlichen Miteinander“ fabuliert, die Stipendiaten für ihre „Kulturkompetenz“, ihre „Fähigkeiten und Fertigkeiten“ lobt. Marks mahnt, dass man sich „gesamtgesellschaftlich noch mehr anstrengen“ müsse und, natürlich, alles in der Kita beginne. Als für ihre „spannenden Worte“ gedankt wird, kichern die ersten. Dann kommt Stipendiat Amin Saleh: „Keine Angst, ich spreche deutsch“. Er hat sich die Zeile „Schau nach vorn, nicht zurück, geh deinen Weg, Stück für Stück, Bruder“ einfallen lassen, untermalt mit Klatschen aus dem Publikum. „Geh deinen Weg“ ist das Motto des Stipendienprogramms.
"Gedeihliches Miteinander", das geht nur im direkten Kontakt: Bundesadler auf der deutschen Einbürgerungsurkunde.
Wer bei Stipendium an finanzielle Unterstützung denkt, liegt in diesem Fall falsch. Die 2008 vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger gegründete Stiftung ist klein. Sieben Mitarbeiter. Sie hat nicht die Mittel, den 164 neu aufgenommen Talenten zwei Jahre lang Geld zu überweisen. Stattdessen stellt sie ihnen Mentoren zur Seite, die kommen oft aus zahlungskräftigen Unternehmen im Hintergrund – Edeka, Telekom, Deutsche Bank – oder aus der Politik. Darum geht es bei dem Empfang eigentlich: ums Kontakteknüpfen.
Bahn-Mitarbeiter Cihan Süğür hat das nicht mehr so richtig nötig. Der 23-Jährige war schon im ZDF zu sehen und wurde auch vom Bayerischen Rundfunk interviewt. Er ist ein „Dortmunder Jung“, sein Großvater kam in der 1970er Jahren „mit einem vollgepackten Ford Transit und zwei Frauen“ in den Ruhrpott, Gastarbeiter. Sein Enkel, Ray-Ban-Brille, Anzug, spricht von „High Flyern“, „High Potentials“ und „Top-Talents“, was vermutlich alles das gleiche bedeutet. Dass er dazwischen so oft „Fuck you“ sagt, liegt daran, dass er, der in Deutschland geboren wurde, erfolgreich und sozial engagiert ist, keinen deutschen Pass bekommt. Zumindest nicht, so lange er seinen türkischen Pass behält. Bei über 50 anderen Nationalitäten gilt diese Wahlpflicht nicht. Unfair, findet Süğür und sagt: „Ich fütter mit meinen Steuern sechs Hartz-4-Empfänger durch. Ich kann auch ins Ausland gehen, wenn ich das Gefühl habe, nicht gewollt zu sein.“
Dass es so weit kommt, will Aydan Özoğuz (SPD), neue Beauftragte der Bundesregierung für Integration, Migration und Flüchtlinge, verhindern. Dass inzwischen mehr Menschen von Deutschland in die Türkei gingen als andersrum, sei ein Alarmsignal. In der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft plädiert Özoğuz, selbst Kind türkischer Gastarbeiter, dafür, den Doppelpass nicht von komplizierten, bürokratischen Verfahren abhängig zu machen – und stellt sich damit auch gegen Innenminister Thomas de Maizière (CDU).
Özoğuz bekommt viel Beifall. Das Thema Staatsbürgerschaft beschäftigt alle. Noch wichtiger ist es den Stipendiaten aber, mit prominenten Gästen ins Gespräch zu kommen. Viele haben noch keinen Mentor, sind an diesem Abend auf der Suche. Abgeordnete, Künstler, Personalchefs sind da.
„Alle High-Flyer bleiben unter sich, da kommt man nicht dazwischen“, beschwert sich ein Management-Student aus Bochum. High-Flyer ist also doch etwas anderes als High-Potential. Bald darauf spricht der Student mit dem türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karslıoğlu, der scheinbar mit dem gesamten Botschaftspersonal angerückt ist. Auch der Schweizer Botschafter ist da. Wolfgang Fürstner, der für den Stiftungs-Vorstand, in dem auch Uli Hoeneß sitzt, spricht, wendet sich an ihn: Mit dem Votum „Gegen Masseneinwanderung“ habe sich die Schweiz auf einen falschen Weg begeben: „Das ist keine zukunftsweisende Politik.“ Ob die Förderung der Deutschlandstiftung zukunftsweisend ist? Da sind die Stipendiaten unsicher. „Ich habe Freunde, Bio-Deutsche, die finden unfair, dass sie keine Förderung bekommen“, sagt einer, „ich kann das irgendwie verstehen.“ Andererseits gibt es auch Förderung für begabte Katholiken, Sozialisten, FDP-Anhänger, Arbeiterkinder. Viele hier sind in ihrem Leben ausgegrenzt oder benachteiligt worden. Wenn es jetzt mal einen „Ausländerbonus“ gibt, sei das im Prinzip okay. Oder?
"Mein Mentee hat mir den Kopf geöffnet", sagt der Regierungssprecher
Die Mentoren, die die Stipendiaten bekommen, sind oft erstklassig: Der Management-Student aus Bochum wünscht sich Dieter Zetsche, bei den Frauen ist Hannelore Kraft begehrt. Gut möglich, dass das klappt. Steffen Seibert sagt bei einer kurzen Podiumsdiskussion, sein „Mentee“, Zakariya Ali, habe ihm „den Kopf geöffnet“, er lerne sehr viel von dem muslimischen Medizinstudenten. Amin Saleh, der Stipendiat mit dem „Schau nach vorn“-Rap, sagt am nächsten Tag, man hätte die Veranstaltung „jugendfreundlicher gestalten“ können, die langen Reden, na ja.
Und Überflieger Cihan Süğür? Er postet gegen Mitternacht ein Selfie mit Staatsministerin Aydan Özoğuz, schreibt, die Veranstaltung sei „H-A-M-M-E-R!!“ gewesen. Dann geht es „straight nach Frankfurt“, wo ab morgen wieder „malochen“ angesagt ist. Mehr Deutschland geht nicht.