Wenn Finnen sich selbst beschreiben sollen, fällt häufig das Wort „pragmatisch“. Es bedeutet, sie halten sich an Regeln, reißen sich zusammen, wenn es schwierig wird. Jetzt wird es schwierig, das weiß der finnische Europa- und Außenhandelsminister Alexander Stubb. „Ich denke, Finnland muss viel härter arbeiten“, sagt der sportliche 45-Jährige beim kurzen Interview in der Kantine des neuen Parlamentsgebäudes in Helsinki, zwischen einer Sitzung und dem nächsten Termin.
Europa- und Außehandelsminister Alexander Stubb sprach mit der SZ
Der Minister kandidiert für das Europäische Parlament und möchte gerne EU-Kommissar werden. Er achtet darauf, Optimismus auszustrahlen, und beginnt mit der guten Nachricht: Er sei froh, dass Finnland seinen AAA-Status erhalten konnte, die Ratingagenturen das Land also immer noch für überaus kreditwürdig halten. „Aber zur gleichen Zeit wissen wir, dass wir dieselben strukturellen Veränderungen machen müssen, die viele andere Länder auch vorgenommen haben“, fügt er hinzu, bevor er aufspringt, um für eine Abstimmung noch mal kurz zu verschwinden. „Wir sind gerade mitten in Regierungsverhandlungen, um unsere öffentlichen Ausgaben anzupassen.“ Das heißt: höhere Steuern und weniger Sozialleistungen.
Die Finnen müssen sparen, etwa neun Milliarden Euro fehlen in ihrem Haushalt. Die Bestnote der Ratingagenturen ändert daran nichts. Sie war es, die das nordeuropäische Land zum Musterschüler machte, als vor zwei Jahren alle anderen Euro-Staaten Punkte verloren, auch Deutschland. Damals zeigten sich die korrekten Finnen irritiert, dass manche Länder die Schulden- und Defizitregeln aus Brüssel nicht so streng einhielten. „Die anderen sind zu lasch, und das muss sich ändern“, forderte damals auch Stubb (SZ-Interview im September 2012. )
Eineinhalb Jahre später tadelt Brüssel das frühere Vorzeigeland, das nun selbst die Regeln der Gemeinschaft bricht: Finnlands Schulden machen 2014 mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Die Finnische Zentralbank warnte, ohne Reformen verdoppele sich die Verschuldung in den kommenden 15 Jahren – Finnland wäre dann höher verschuldet als Spanien.
Reformen kommen: Im Dezember haben die sechs Regierungsparteien beschlossen, die Gemeinden zu entlasten, die für einen Großteil der Sozialleistungen verantwortlich sind. Sie wollen Schulen zusammenlegen, alte Menschen häufiger zu Hause pflegen und bei der Kinderbetreuung kürzen. Seit 2011 hat die Regierung zudem drei Sparpakete angestoßen, die mehr als fünf Milliarden Euro einbringen sollen. Im Frühjahr soll ein weiteres Einsparprogramm über drei Milliarden folgen. Im Raum stehen etwa höhere Beiträge zur Krankenversicherung und weitere Steuererhöhungen.
Das neueste wirtschaftliche Gutachten der OECD für Finnland, das vergangenen Mittwoch vorgestellt wurde, bestärkt diesen Kurs: Die Industrieländerorganisation empfiehlt darin etwa, kleinere Gemeinden zusammenzulegen, was Finnland ohnehin plant, genauso wie die Anhebung des Rentenalters. Kaum ein Land der Welt altert derzeit so schnell wie Finnland.
Ökonomen dagegen diskutieren, ob Finnland sich kaputt spart. Als Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman im Januar Skandinavien besuchte, bescheinigte er Finnland ein erhebliches Stimmungstief. „Ich weiß, wenn man Steuern erhöht und öffentliche Ausgaben senkt, wird das Vertrauen unserer Verbraucher in diesem Moment nicht unbedingt steigen“, sagt Stubb. „Für mich dreht sich Wirtschaft genauso sehr um Psychologie wie um Zahlen. Solange es das Gefühl gibt, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, wird alles gut.“
Für ihn ist das größte Problem nicht die schwache Nachfrage im Land, sondern der kränkelnde Export. „Der Grund dafür ist, dass wir zwei Wirtschaftszweige haben, die abgestürzt sind“, sagt er. Der eine ist der IT-Sektor, oder „Nokia-Sektor“, wie Stubb ihn nennt. Der Konzern, der einst sieben Prozent der finnischen Wirtschaftsleistung (BIP) ausmachte, verkaufte 2013 sein verlustreiches Handy-Geschäft an Microsoft und meldet weiterhin sinkende Umsätze. Das andere Sorgenkind ist die Papierindustrie, die unter sinkenden Zeitungsauflagen leidet. „Wir können im Grunde zwei Dingen die Schuld geben: Nummer eins ist das iPhone, Nummer zwei ist das iPad“, sagt Stubb, der nach eigenen Angaben sein Leben lang kein anderes Handy als Nokia hatte. „Das iPhone hat Nokia niedergeworfen, und das iPad unsere Papierindustrie.“
Die Folge des schwachen Exports sind mehr Arbeitslose und weniger Wachstum. Die Lösung sind niedrigere Löhne. Doch wie geht es den Finnen mit all diesen Belastungen? Stubbs Antwort ist dieselbe, die man in Finnland eben häufig hört, wenn es um Probleme geht: „Die Finnen sind sehr pragmatische Menschen“, sagt er und erzählt von der Depression in den 1990er Jahren, aus denen sich seine Generation befreien musste. „Ich bin sicher, wir werden an einem Strang ziehen, wenn wir es müssen.“ Die Gewerkschaften hätten die Löhne nicht in die Höhe getrieben, die Unternehmenssteuer sei gesenkt worden, die Energiepreise lägen 20 Prozent unter den deutschen. „Wir versuchen die Dinge ins Laufen zu bekommen.“
Die letzten Minuten des Gesprächs verlegt er ins Auto, er muss zum nächsten Termin, ein paar Straßen weiter. Stubb ist Marathonläufer, Blogger und vor allem: Europa-Fan. Bevor er vor sechs Jahren Minister wurde, saß er bereits im EU-Parlament. Die Stimmung seiner Landsleute gegenüber der EU war zuletzt eher verhalten. Das war, als Finnland noch als Musterschüler galt. Mehr als ein Minister sprachen damals die Möglichkeit eines Euro-Ausstiegs an. Jetzt, wo Finnland selbst unter Beobachtung aus Brüssel steht, liegt die Unterstützung für den Euro laut Eurobarometer bei 75 Prozent – höher als in Deutschland. In seinem Wahlkampf möchte Stubb eine „sehr pro-europäische Kampagne“ fahren. In Finnland stimmen die Wähler nicht für eine Partei, sondern für einen Kandidaten ab. Stubb hat gute Chancen.
Und die Stelle als Kommissar? „Darüber entscheidet mein Premierminister im Laufe des Frühjahrs“, sagt Stubb.
Europa- und Außehandelsminister Alexander Stubb sprach mit der SZ
Der Minister kandidiert für das Europäische Parlament und möchte gerne EU-Kommissar werden. Er achtet darauf, Optimismus auszustrahlen, und beginnt mit der guten Nachricht: Er sei froh, dass Finnland seinen AAA-Status erhalten konnte, die Ratingagenturen das Land also immer noch für überaus kreditwürdig halten. „Aber zur gleichen Zeit wissen wir, dass wir dieselben strukturellen Veränderungen machen müssen, die viele andere Länder auch vorgenommen haben“, fügt er hinzu, bevor er aufspringt, um für eine Abstimmung noch mal kurz zu verschwinden. „Wir sind gerade mitten in Regierungsverhandlungen, um unsere öffentlichen Ausgaben anzupassen.“ Das heißt: höhere Steuern und weniger Sozialleistungen.
Die Finnen müssen sparen, etwa neun Milliarden Euro fehlen in ihrem Haushalt. Die Bestnote der Ratingagenturen ändert daran nichts. Sie war es, die das nordeuropäische Land zum Musterschüler machte, als vor zwei Jahren alle anderen Euro-Staaten Punkte verloren, auch Deutschland. Damals zeigten sich die korrekten Finnen irritiert, dass manche Länder die Schulden- und Defizitregeln aus Brüssel nicht so streng einhielten. „Die anderen sind zu lasch, und das muss sich ändern“, forderte damals auch Stubb (SZ-Interview im September 2012. )
Eineinhalb Jahre später tadelt Brüssel das frühere Vorzeigeland, das nun selbst die Regeln der Gemeinschaft bricht: Finnlands Schulden machen 2014 mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Die Finnische Zentralbank warnte, ohne Reformen verdoppele sich die Verschuldung in den kommenden 15 Jahren – Finnland wäre dann höher verschuldet als Spanien.
Reformen kommen: Im Dezember haben die sechs Regierungsparteien beschlossen, die Gemeinden zu entlasten, die für einen Großteil der Sozialleistungen verantwortlich sind. Sie wollen Schulen zusammenlegen, alte Menschen häufiger zu Hause pflegen und bei der Kinderbetreuung kürzen. Seit 2011 hat die Regierung zudem drei Sparpakete angestoßen, die mehr als fünf Milliarden Euro einbringen sollen. Im Frühjahr soll ein weiteres Einsparprogramm über drei Milliarden folgen. Im Raum stehen etwa höhere Beiträge zur Krankenversicherung und weitere Steuererhöhungen.
Das neueste wirtschaftliche Gutachten der OECD für Finnland, das vergangenen Mittwoch vorgestellt wurde, bestärkt diesen Kurs: Die Industrieländerorganisation empfiehlt darin etwa, kleinere Gemeinden zusammenzulegen, was Finnland ohnehin plant, genauso wie die Anhebung des Rentenalters. Kaum ein Land der Welt altert derzeit so schnell wie Finnland.
Ökonomen dagegen diskutieren, ob Finnland sich kaputt spart. Als Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman im Januar Skandinavien besuchte, bescheinigte er Finnland ein erhebliches Stimmungstief. „Ich weiß, wenn man Steuern erhöht und öffentliche Ausgaben senkt, wird das Vertrauen unserer Verbraucher in diesem Moment nicht unbedingt steigen“, sagt Stubb. „Für mich dreht sich Wirtschaft genauso sehr um Psychologie wie um Zahlen. Solange es das Gefühl gibt, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, wird alles gut.“
Für ihn ist das größte Problem nicht die schwache Nachfrage im Land, sondern der kränkelnde Export. „Der Grund dafür ist, dass wir zwei Wirtschaftszweige haben, die abgestürzt sind“, sagt er. Der eine ist der IT-Sektor, oder „Nokia-Sektor“, wie Stubb ihn nennt. Der Konzern, der einst sieben Prozent der finnischen Wirtschaftsleistung (BIP) ausmachte, verkaufte 2013 sein verlustreiches Handy-Geschäft an Microsoft und meldet weiterhin sinkende Umsätze. Das andere Sorgenkind ist die Papierindustrie, die unter sinkenden Zeitungsauflagen leidet. „Wir können im Grunde zwei Dingen die Schuld geben: Nummer eins ist das iPhone, Nummer zwei ist das iPad“, sagt Stubb, der nach eigenen Angaben sein Leben lang kein anderes Handy als Nokia hatte. „Das iPhone hat Nokia niedergeworfen, und das iPad unsere Papierindustrie.“
Die Folge des schwachen Exports sind mehr Arbeitslose und weniger Wachstum. Die Lösung sind niedrigere Löhne. Doch wie geht es den Finnen mit all diesen Belastungen? Stubbs Antwort ist dieselbe, die man in Finnland eben häufig hört, wenn es um Probleme geht: „Die Finnen sind sehr pragmatische Menschen“, sagt er und erzählt von der Depression in den 1990er Jahren, aus denen sich seine Generation befreien musste. „Ich bin sicher, wir werden an einem Strang ziehen, wenn wir es müssen.“ Die Gewerkschaften hätten die Löhne nicht in die Höhe getrieben, die Unternehmenssteuer sei gesenkt worden, die Energiepreise lägen 20 Prozent unter den deutschen. „Wir versuchen die Dinge ins Laufen zu bekommen.“
Die letzten Minuten des Gesprächs verlegt er ins Auto, er muss zum nächsten Termin, ein paar Straßen weiter. Stubb ist Marathonläufer, Blogger und vor allem: Europa-Fan. Bevor er vor sechs Jahren Minister wurde, saß er bereits im EU-Parlament. Die Stimmung seiner Landsleute gegenüber der EU war zuletzt eher verhalten. Das war, als Finnland noch als Musterschüler galt. Mehr als ein Minister sprachen damals die Möglichkeit eines Euro-Ausstiegs an. Jetzt, wo Finnland selbst unter Beobachtung aus Brüssel steht, liegt die Unterstützung für den Euro laut Eurobarometer bei 75 Prozent – höher als in Deutschland. In seinem Wahlkampf möchte Stubb eine „sehr pro-europäische Kampagne“ fahren. In Finnland stimmen die Wähler nicht für eine Partei, sondern für einen Kandidaten ab. Stubb hat gute Chancen.
Und die Stelle als Kommissar? „Darüber entscheidet mein Premierminister im Laufe des Frühjahrs“, sagt Stubb.