Koyo Kouoh ist eine der wichtigsten Kuratorinnen für afrikanische Kunst. In Dakar hat die gebürtige Kamerunerin, die sich selbst nur als „Afrikanerin“ bezeichnet, 2008 die Raw Material Company gegründet. „Zentrum für Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft“ steht auf dem Schild vor dem olivgrünen Haus im Universitätsviertel Amitié 2.
Binyavanga Wainana, einer von Kenias bedeutendsten Schriftsteller, outete sich Ende Januar als homosexuell
SZ: Sie haben gerade unter dem Titel „Who Said It Was Simple“ eine einjährige Ausstellungsreihe zum Thema persönliche Freiheiten eröffnet, die sich auf den Umgang mit Homosexualität und Homophobie fokussiert. Hat Homophobie in Afrika einen anderen Stellenwert als im Westen?
Kouoh: Ich glaube, es gibt keinen spezifisch afrikanischen oder europäischen Umgang mit Homosexualität, sondern nur einen menschlichen. Der erste Teil der Ausstellungsreihe dokumentiert, wie die Medien in afrikanischen Ländern das Thema aufbereiten. Im Mai zeigt die Raw Material Company dann Fotos, Videos und Installationen von drei afrikanischen Künstlern zum Leben sexueller Minderheiten.
Geht es Ihnen darum, die Menschenrechte zu verteidigen?
Ja, und dazu braucht es eine offene Diskussion. In einem Begleittext zur Ausstellung erklärt der nigerianische Schwulen-Aktivist Ayo Sogunro, dass es in Nigeria über 250 verschiedene Gesellschaften gibt, von denen einige traditionell homosexuelle Handlungen praktizieren. Und dann beschließt die nigerianische Regierung, homosexuelle Praktiken mit langjährigen Gefängnisstrafen zu ahnden – angeblich weil sie der Kultur des Landes widersprechen. Woher kommt diese Radikalisierung der Gesellschaft? Wer steckt dahinter? Es geht vor allem um politische und religiöse Interessen. Die Homophobie wird instrumentalisiert, um Menschen zu kontrollieren.
Sie behandeln visuelle Kunst als ein Medium des globalen gesellschaftskritischen Diskurses. Reagieren Sie mit Ihrer Ausstellung auf die aktuelle politische Debatte zur Homophobie in Afrika?
Wir arbeiten viel zu langfristig, um auf Trends zu reagieren. So eine Ausstellung hat einen Vorlauf von einem Jahr. Andererseits beschäftigen wir uns immer wieder mit den Folgen des Kolonialismus. Dazu gehört auch die Homophobie. Viele der diesbezüglichen Gesetze, die wir in Senegal anwenden, entstammen noch der dritten französischen Republik. Frankreich schaffte die Diskriminierung Homosexueller in den Achtzigerjahren ab. Aber in Afrika lebt die alte Politik fort. Sie hat Identitäten geformt, die im Gegensatz zu traditionellen afrikanischen Freiheiten stehen.
Das Spannungsfeld „konstruierter Identitäten“ zwischen westlichen und afrikanischen Vorstellungen scheint Sie immer wieder zu beschäftigen. So haben Sie im letzten Jahr eine Ausstellung über die überall in Afrika präsenten holländischen Wachsdruckstoffe kuratiert.
Es ist spannend, wie hier eine Geschichte von Kolonialismus, Aneignung und Wiederaneignung geschrieben wird. Warum akzeptieren Afrikaner diese Stoffe, die ja weder in Afrika noch von afrikanischen Designern gefertigt wurden, als „typisch afrikanisch“? Warum glauben die Leute an solche projizierten Ideen? Mir geht es darum, Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen, nachzufragen, was „afrikanisch“ heute bedeutet.
Erwarten westliche Betrachter von afrikanischen Künstlern nicht einen Rückbezug auf tribalistische Traditionen?
Ja, es gibt diese Liebhaber afrikanischer Masken und Skulpturen in Europa, die zeitgenössischer Kunst das authentisch Afrikanische absprechen. Um es mal zu übersetzen: Bleibt bei euren Masken und Skulpturen. Diese Haltung ist rassistisch.
Andererseits ist zeitgenössische afrikanische Kunst heute im Westen präsenter als je zuvor. Afrikanische Kuratoren wie Okwui Enwezor und Simon Njami werden weltweit gefeiert. Sie selbst haben im vergangenen Jahr eine Messe für zeitgenössische afrikanische Kunst in London kuratiert.
Es geht mir um die Anerkennung der kreativen Vielfalt in Afrika, von der Fotografie bis zur populären Musik. Hip-Hop etwa entwickelte sich letztlich aus afrikanischen Zutaten. Besuchen Sie eine Gegend 200 Kilometer südlich von Dakar und Sie hören traditionelle Rap-Gesänge. Schwarze Amerikaner haben das weltweit verbreitet, aber hier wird diese Kunst seit Jahrhunderten praktiziert. Stets wird Afrika verleugnet – bis in die politische Berichterstattung hinein. Tunesien und Ägypten liegen in Afrika, und dennoch wird vom „arabischen Frühling“ und nicht etwa vom „afrikanischen Frühling“ gesprochen.
Hat nicht der senegalesische Frühling ein Gegenbild zu vielen Afrika-Klischees geliefert, indem er zeigte, dass Demokratie und Zivilcourage über die Korruption siegen können?
Ich habe 2012 eine Foto-Ausstellung in Berlin kuratiert, um unsere demokratischen Ressourcen sichtbar zu machen. Demokratie und Mehrparteiensystem gehören seit Jahrzehnten zu Senegal. Als klar wurde, wie korrupt unsere Regierung ist und dass Präsident Wade verfassungswidrig eine dritte Amtszeit plante, gingen die Proteste los. Am Anfang standen öffentliche Debatten und politische Diskussionen. Schon bevor die Bewegung Y’en a marre die Massen auf die Straßen trieb, hatten Politiker, Rapper, Journalisten und Studenten zwei Jahre lang Aktionen veranstaltet. Aber ohne dass der Westen davon Notiz genommen hätte.
Soll Ihre Raw Material Company solche Diskussionen anstoßen?
Dazu brauchen die Senegalesen kein Kunstzentrum – schließlich hatten wir bereits 1968 Studentenproteste, die selbst diejenigen in Paris in den Schatten stellten. Aber ich will die Kunst aus ihrer Selbstreferenzialität holen: Kunst hat mehr zu sagen als Ästhetik und Formensprache. Künstler haben feine Antennen, um gesellschaftliche Prozesse sichtbar zu machen – und zwar auf andere Weise als etwa Kommerz und Politik. Kunst hat in Afrika schon immer kritische Positionen ausgedrückt. Viele der Tänze und Griot-Gesänge sind politisch. Und selbst die überlieferten Skulpturen tragen oft eine politische Botschaft. Wir sind nur manchmal nicht imstande, sie zu lesen.
Sie sind weltweit bestens vernetzt. Macht es da noch einen Unterschied, ob ein Künstler in Paris, Berlin oder Dakar arbeitet?
Ich tendiere zu einem Nein. Die Essenz des Kunstschaffens ist überall die gleiche. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass gerade die afrikanische Großstadt die Menschen – und mit ihnen auch die Künstler – herausfordert. Sie müssen hier, mehr als irgendwo anders, präsent, intelligent und schnell sein, um zu überleben. Hier wird man dauernd aus seiner Komfort-Zone geschleudert. Und das fördert den kreativen Prozess.
Welche Mittel hat denn ein senegalesischer Maler nach seinem Studium an der Kunstakademie, um seine Bilder einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren?
Wenn er Glück hat, kommt er in die Absolventen-Ausstellung in der Nationalgalerie. Dann aber fehlt ein Netzwerk von Galerien, die ihn fördern könnten. Es gibt kaum Sammler und Käufer für junge zeitgenössische Kunst – und noch weniger Kritiker, die über sie berichten würden. Der Absolvent der Kunstakademie wird sich also sehr einsam fühlen. Gerade die visuelle Kunst in Afrika leidet sehr unter der Abtrennung von den anderen Kunstformen. Traditionell kommt Kunst in Afrika immer in einer Vielfalt von Formen daher: Man ist nicht nur Tänzer oder Maskenbildner, sondern gleichzeitig auch ein Dichter, ein Schriftsteller und Maler. Hier gab es immer eine Simultanität. Die Raw Material Company will an einer Infrastruktur mitwirken, die diese Vereinzelung der Künste überwindet.
Wie weit engagiert sich der Staat? In den Jahren nach der Unabhängigkeit wurden viele afrikanische Künstler von ihren Regierungen gefördert, um über die visuellen Künste ein neues nationales Selbstverständnis auszudrücken.
Senegal ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Kunst und Kultur haben ein stetiges Budget im Staatshaushalt, von dem Kunstakademie, kulturelle Zentren oder die Biennale in Dakar profitieren. Allerdings halte ich die Qualität der Kunstvermittlung für problematisch. Als ehemalige französische Kolonie haben wir die Haltung unserer Kolonialherren übernommen: Kunst dient zur Verherrlichung des Staates. Unser letzter Präsident Abdoulaye Wade hat etwa eine Menge Geld für die Errichtung eines monumentalen Theaterpalastes im Stadtzentrum verbraten. Nur: Es fehlt ein Programm, um dieses Theater zu bespielen. Direktor und Angestellte verwalten das Gebäude als reinen Selbstzweck. Ähnlich unqualifiziert werden viele Posten im Kultur-Management vergeben. Diese Vetternwirtschaft ist das wirkliche Problem Afrikas.
Und es bleibt privaten Initiativen wie Ihrer Raw Material Company überlassen, ein Gegenprogramm zu entwerfen?
Mit der Raw Material Company haben wir eine Blaupause für ganz Afrika geschaffen. Einen Ort der Freiheit, wo Kunst nicht nur Vergnügen, sondern auch Schmerz, Angst und Gesellschaftskritik ausdrücken kann. Noch aber fehlen vielerorts die nötigen Infrastrukturen. Deshalb haben wir bei unserem letzten Symposium Künstler, Kuratoren und Kunstfunktionäre über den Aufbau von Kunstinstitutionen in Afrika diskutieren lassen.
Haben Sie noch nie erwogen, wie Ihre Kuratoren-Kollegen Okwui Enwezor oder Simon Njami lieber im Westen zu arbeiten, um womöglich mehr Förderung und Öffentlichkeit für Ihre Projekte zu erhalten?
Nein, es ist mir viel wichtiger, hier in Afrika eine Ausstellung in einem 100 Quadratmeter großen Raum zu machen, als ein großes Kunstmuseum in New York zu bespielen. Wir Afrikaner müssen endlich lernen, auf unsere eigene Größe zu vertrauen. Die Nachwirkungen von Sklaverei und Kolonialismus haben sich tief in unsere Psyche eingegraben, als Gefühl der Minderwertigkeit. Wissen Sie, was der Name Raw Material Company besagt? Dass wir Afrikaner alles Lebensnotwendige, alle Rohstoffe im eigenen Land finden. Und ich spreche nicht nur von Gold, Öl oder Baumwolle. Auch Kunst ist ein Rohstoff für die menschliche Entwicklung.
Koyo Kouoh wurde 1967 in Kamerun geboren und lebt in Dakar. Sie war Ratgeberin der künstlerischen Leitung der Documenta 12 und Mitglied der Golden Lion Jury bei der 50. Biennale in Venedig 2003.
Binyavanga Wainana, einer von Kenias bedeutendsten Schriftsteller, outete sich Ende Januar als homosexuell
SZ: Sie haben gerade unter dem Titel „Who Said It Was Simple“ eine einjährige Ausstellungsreihe zum Thema persönliche Freiheiten eröffnet, die sich auf den Umgang mit Homosexualität und Homophobie fokussiert. Hat Homophobie in Afrika einen anderen Stellenwert als im Westen?
Kouoh: Ich glaube, es gibt keinen spezifisch afrikanischen oder europäischen Umgang mit Homosexualität, sondern nur einen menschlichen. Der erste Teil der Ausstellungsreihe dokumentiert, wie die Medien in afrikanischen Ländern das Thema aufbereiten. Im Mai zeigt die Raw Material Company dann Fotos, Videos und Installationen von drei afrikanischen Künstlern zum Leben sexueller Minderheiten.
Geht es Ihnen darum, die Menschenrechte zu verteidigen?
Ja, und dazu braucht es eine offene Diskussion. In einem Begleittext zur Ausstellung erklärt der nigerianische Schwulen-Aktivist Ayo Sogunro, dass es in Nigeria über 250 verschiedene Gesellschaften gibt, von denen einige traditionell homosexuelle Handlungen praktizieren. Und dann beschließt die nigerianische Regierung, homosexuelle Praktiken mit langjährigen Gefängnisstrafen zu ahnden – angeblich weil sie der Kultur des Landes widersprechen. Woher kommt diese Radikalisierung der Gesellschaft? Wer steckt dahinter? Es geht vor allem um politische und religiöse Interessen. Die Homophobie wird instrumentalisiert, um Menschen zu kontrollieren.
Sie behandeln visuelle Kunst als ein Medium des globalen gesellschaftskritischen Diskurses. Reagieren Sie mit Ihrer Ausstellung auf die aktuelle politische Debatte zur Homophobie in Afrika?
Wir arbeiten viel zu langfristig, um auf Trends zu reagieren. So eine Ausstellung hat einen Vorlauf von einem Jahr. Andererseits beschäftigen wir uns immer wieder mit den Folgen des Kolonialismus. Dazu gehört auch die Homophobie. Viele der diesbezüglichen Gesetze, die wir in Senegal anwenden, entstammen noch der dritten französischen Republik. Frankreich schaffte die Diskriminierung Homosexueller in den Achtzigerjahren ab. Aber in Afrika lebt die alte Politik fort. Sie hat Identitäten geformt, die im Gegensatz zu traditionellen afrikanischen Freiheiten stehen.
Das Spannungsfeld „konstruierter Identitäten“ zwischen westlichen und afrikanischen Vorstellungen scheint Sie immer wieder zu beschäftigen. So haben Sie im letzten Jahr eine Ausstellung über die überall in Afrika präsenten holländischen Wachsdruckstoffe kuratiert.
Es ist spannend, wie hier eine Geschichte von Kolonialismus, Aneignung und Wiederaneignung geschrieben wird. Warum akzeptieren Afrikaner diese Stoffe, die ja weder in Afrika noch von afrikanischen Designern gefertigt wurden, als „typisch afrikanisch“? Warum glauben die Leute an solche projizierten Ideen? Mir geht es darum, Selbstverständlichkeiten infrage zu stellen, nachzufragen, was „afrikanisch“ heute bedeutet.
Erwarten westliche Betrachter von afrikanischen Künstlern nicht einen Rückbezug auf tribalistische Traditionen?
Ja, es gibt diese Liebhaber afrikanischer Masken und Skulpturen in Europa, die zeitgenössischer Kunst das authentisch Afrikanische absprechen. Um es mal zu übersetzen: Bleibt bei euren Masken und Skulpturen. Diese Haltung ist rassistisch.
Andererseits ist zeitgenössische afrikanische Kunst heute im Westen präsenter als je zuvor. Afrikanische Kuratoren wie Okwui Enwezor und Simon Njami werden weltweit gefeiert. Sie selbst haben im vergangenen Jahr eine Messe für zeitgenössische afrikanische Kunst in London kuratiert.
Es geht mir um die Anerkennung der kreativen Vielfalt in Afrika, von der Fotografie bis zur populären Musik. Hip-Hop etwa entwickelte sich letztlich aus afrikanischen Zutaten. Besuchen Sie eine Gegend 200 Kilometer südlich von Dakar und Sie hören traditionelle Rap-Gesänge. Schwarze Amerikaner haben das weltweit verbreitet, aber hier wird diese Kunst seit Jahrhunderten praktiziert. Stets wird Afrika verleugnet – bis in die politische Berichterstattung hinein. Tunesien und Ägypten liegen in Afrika, und dennoch wird vom „arabischen Frühling“ und nicht etwa vom „afrikanischen Frühling“ gesprochen.
Hat nicht der senegalesische Frühling ein Gegenbild zu vielen Afrika-Klischees geliefert, indem er zeigte, dass Demokratie und Zivilcourage über die Korruption siegen können?
Ich habe 2012 eine Foto-Ausstellung in Berlin kuratiert, um unsere demokratischen Ressourcen sichtbar zu machen. Demokratie und Mehrparteiensystem gehören seit Jahrzehnten zu Senegal. Als klar wurde, wie korrupt unsere Regierung ist und dass Präsident Wade verfassungswidrig eine dritte Amtszeit plante, gingen die Proteste los. Am Anfang standen öffentliche Debatten und politische Diskussionen. Schon bevor die Bewegung Y’en a marre die Massen auf die Straßen trieb, hatten Politiker, Rapper, Journalisten und Studenten zwei Jahre lang Aktionen veranstaltet. Aber ohne dass der Westen davon Notiz genommen hätte.
Soll Ihre Raw Material Company solche Diskussionen anstoßen?
Dazu brauchen die Senegalesen kein Kunstzentrum – schließlich hatten wir bereits 1968 Studentenproteste, die selbst diejenigen in Paris in den Schatten stellten. Aber ich will die Kunst aus ihrer Selbstreferenzialität holen: Kunst hat mehr zu sagen als Ästhetik und Formensprache. Künstler haben feine Antennen, um gesellschaftliche Prozesse sichtbar zu machen – und zwar auf andere Weise als etwa Kommerz und Politik. Kunst hat in Afrika schon immer kritische Positionen ausgedrückt. Viele der Tänze und Griot-Gesänge sind politisch. Und selbst die überlieferten Skulpturen tragen oft eine politische Botschaft. Wir sind nur manchmal nicht imstande, sie zu lesen.
Sie sind weltweit bestens vernetzt. Macht es da noch einen Unterschied, ob ein Künstler in Paris, Berlin oder Dakar arbeitet?
Ich tendiere zu einem Nein. Die Essenz des Kunstschaffens ist überall die gleiche. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass gerade die afrikanische Großstadt die Menschen – und mit ihnen auch die Künstler – herausfordert. Sie müssen hier, mehr als irgendwo anders, präsent, intelligent und schnell sein, um zu überleben. Hier wird man dauernd aus seiner Komfort-Zone geschleudert. Und das fördert den kreativen Prozess.
Welche Mittel hat denn ein senegalesischer Maler nach seinem Studium an der Kunstakademie, um seine Bilder einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren?
Wenn er Glück hat, kommt er in die Absolventen-Ausstellung in der Nationalgalerie. Dann aber fehlt ein Netzwerk von Galerien, die ihn fördern könnten. Es gibt kaum Sammler und Käufer für junge zeitgenössische Kunst – und noch weniger Kritiker, die über sie berichten würden. Der Absolvent der Kunstakademie wird sich also sehr einsam fühlen. Gerade die visuelle Kunst in Afrika leidet sehr unter der Abtrennung von den anderen Kunstformen. Traditionell kommt Kunst in Afrika immer in einer Vielfalt von Formen daher: Man ist nicht nur Tänzer oder Maskenbildner, sondern gleichzeitig auch ein Dichter, ein Schriftsteller und Maler. Hier gab es immer eine Simultanität. Die Raw Material Company will an einer Infrastruktur mitwirken, die diese Vereinzelung der Künste überwindet.
Wie weit engagiert sich der Staat? In den Jahren nach der Unabhängigkeit wurden viele afrikanische Künstler von ihren Regierungen gefördert, um über die visuellen Künste ein neues nationales Selbstverständnis auszudrücken.
Senegal ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Kunst und Kultur haben ein stetiges Budget im Staatshaushalt, von dem Kunstakademie, kulturelle Zentren oder die Biennale in Dakar profitieren. Allerdings halte ich die Qualität der Kunstvermittlung für problematisch. Als ehemalige französische Kolonie haben wir die Haltung unserer Kolonialherren übernommen: Kunst dient zur Verherrlichung des Staates. Unser letzter Präsident Abdoulaye Wade hat etwa eine Menge Geld für die Errichtung eines monumentalen Theaterpalastes im Stadtzentrum verbraten. Nur: Es fehlt ein Programm, um dieses Theater zu bespielen. Direktor und Angestellte verwalten das Gebäude als reinen Selbstzweck. Ähnlich unqualifiziert werden viele Posten im Kultur-Management vergeben. Diese Vetternwirtschaft ist das wirkliche Problem Afrikas.
Und es bleibt privaten Initiativen wie Ihrer Raw Material Company überlassen, ein Gegenprogramm zu entwerfen?
Mit der Raw Material Company haben wir eine Blaupause für ganz Afrika geschaffen. Einen Ort der Freiheit, wo Kunst nicht nur Vergnügen, sondern auch Schmerz, Angst und Gesellschaftskritik ausdrücken kann. Noch aber fehlen vielerorts die nötigen Infrastrukturen. Deshalb haben wir bei unserem letzten Symposium Künstler, Kuratoren und Kunstfunktionäre über den Aufbau von Kunstinstitutionen in Afrika diskutieren lassen.
Haben Sie noch nie erwogen, wie Ihre Kuratoren-Kollegen Okwui Enwezor oder Simon Njami lieber im Westen zu arbeiten, um womöglich mehr Förderung und Öffentlichkeit für Ihre Projekte zu erhalten?
Nein, es ist mir viel wichtiger, hier in Afrika eine Ausstellung in einem 100 Quadratmeter großen Raum zu machen, als ein großes Kunstmuseum in New York zu bespielen. Wir Afrikaner müssen endlich lernen, auf unsere eigene Größe zu vertrauen. Die Nachwirkungen von Sklaverei und Kolonialismus haben sich tief in unsere Psyche eingegraben, als Gefühl der Minderwertigkeit. Wissen Sie, was der Name Raw Material Company besagt? Dass wir Afrikaner alles Lebensnotwendige, alle Rohstoffe im eigenen Land finden. Und ich spreche nicht nur von Gold, Öl oder Baumwolle. Auch Kunst ist ein Rohstoff für die menschliche Entwicklung.
Koyo Kouoh wurde 1967 in Kamerun geboren und lebt in Dakar. Sie war Ratgeberin der künstlerischen Leitung der Documenta 12 und Mitglied der Golden Lion Jury bei der 50. Biennale in Venedig 2003.