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Bang, Boom, Bang

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Die Zahlen knallen rein. 97 Prozent aller US-Teenager, so ergab eine repräsentative Umfrage vor einiger Zeit, zocken regelmäßig Videospiele. Bei Erwachsenen waren es immerhin noch 50 Prozent, die gewohnheitsmäßig Zerstreuung vor der Konsole oder dem Rechner suchen. Die durchschnittliche Dauer, die dabei wöchentlich vor dem Bildschirm verbracht wird, summiert sich auf etwa 13Stunden. Das ist viel Zeit, um eine gigantische Menge virtuelles Blut zu vergießen, schließlich setzen die kommerziell erfolgreichsten Spiele alle auf Gewalt. Es wird geschossen, geprügelt, gemeuchelt, zählt eigentlich jemand die Toten? Da kommt immer wieder aufs Neue die Frage auf, was dieses Gemetzel in den Köpfen der Spieler anrichtet. Eine neue Meta-Analyse liefert nun eine Antwort. Die Kurzfassung lautet: Aggressive Spiele verstärken aggressives Verhalten; und Spiele mit prosozialem Inhalt verstärken prosoziales Verhalten.



Alles über einen Haufen schießen, was sich rührt - ein altbewährtes Prinzip für Computerspiele. Das Große Geld der Computerspielbranche fließt in die Entwicklung von Kriegsspielen.

Während Jugendliche scheinbar kollektiv vor dem Rechner die Magazine virtueller Sturmgewehre leer ballern, pflegt auch die Videospiel-abstinente Öffentlichkeit ihre Obsessionen. Es scheint kaum eine Woche ohne kritische Veröffentlichungen zu vergehen, in denen der Untergang der Jugend oder der Verlust der Menschlichkeit durch fiese Killerspiele beklagt wird. Und auch die Wissenschaft widmet sich mit Feuereifer dem Thema: Alleine seit 2009 sind zur Frage nach den Auswirkungen von Videospielen mindestens 98 einzelne Studien mit insgesamt 36965 Probanden erschienen – das entspricht etwa einer Veröffentlichung pro Monat.

Alle diese Untersuchungen haben Tobias Greitemeyer und Dirk Mügge von der Universität Innsbruck zusammengefügt und für eine Meta-Analyse ausgewertet, die im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin erscheinen wird. Demnach zeigen Computerspiele Wirkung bei jenen, die viel Zeit damit verbringen – im Guten wie auch im Schlechten.

„Es gibt einen Effekt, alles andere wäre eine Überraschung“, sagt Greitemeyer, „allerdings ist dieser Effekt nicht besonders groß.“ In einer oft hysterisch geführten Debatte klingt das überraschend zurückhaltend. Wird die Gefahr, die von Computerspielen ausgeht, also übertrieben? Man könne durchaus diskutieren, ob der beobachtete, eher schwache Zusammenhang von aggressiven Spielen und aggressivem Verhalten berechtigter Anlass zur Sorge sei, schreiben Greitemeyer und Mügge. Doch die beiden Psychologen legen sich fest: Weil so viele Menschen in virtuellen Schlachten Blut vergießen, stelle das Phänomen tatsächlich ein relevantes Problem dar. Der Effekt mag klein sein, doch wenn er Millionen Menschen betrifft, zeigt er eben Auswirkungen, die für eine Gesellschaft von Bedeutung sind. Die Auswirkungen sind schließlich mutmaßlich gravierend, selbst wenn nur wenige exzessive Spieler auffällig werden.

Mit scharfer Chilisauce und schmerzhaft lauten Tönen messen Psychologen Aggressionen

Die beiden Wissenschaftler bestätigen mit ihrer Arbeit Befunde anderer Forschungsgruppen. So publizierten Psychologen um Craig Anderson von der Iowa State University 2010 im Fachblatt Psychological Bulletin die bis dahin umfangreichste Meta-Analyse zum Effekt von Computerspielen. Das Team wertete Studien mit insgesamt mehr als 130000 Teilnehmern aus. Dabei gelangten sie zu ähnlichen Schlüssen: Ballerspiele verstärken aggressive Gedanken, aggressive Affekte und entsprechendes Verhalten. Zugleich reduzieren sie empathische Gefühle und die Bereitschaft zu helfen. Auch hier waren die beobachteten Effekte zwar deutlich, aber insgesamt moderat. Klar ist aber auch: Im Einzelfall lässt sich niemals sagen, dass Computerspiele Ursache einer Gewalttat waren.

Ist der Fall damit nun endlich abgeschlossen und bei den Akten? Schließlich haben Greitemeyer und Mügge alle relevanten Studien ausgewertet, die seit der Arbeit von Anderson erschienen sind. Bestimmt nicht. „Die Debatte ist nach wie vor am Laufen“, sagt auch Greitemeyer. Das liegt auch mit an der hohen Frequenz, mit der neue Studien zum Thema veröffentlicht werden. Diese Einzelbefunde verfügen meist über wenig Aussagekraft, erst aus einer Masse an Befunden lässt sich ein valides Bild schälen – wie nun in der aktuellen Meta-Analyse. Zum einen streuen Ergebnisse schlicht und einfach: Eine einzelne Studie kann trotz aller Sorgfalt einen Zufallstreffer ergeben. Zum anderen sei der Aufbau so gut wie jeder einzelnen Untersuchung zur Auswirkung von Computerspielen diskussionswürdig, sagt Greitemeyer. „Alle Designs haben Schwachstellen.“

Denn wie lässt sich Aggression im Labor messen? Die Probanden gehen ja nicht automatisch mit dem Messer auf den Experimentator los, wenn sie zuvor am Rechner einige Stunden geballert haben. Wissenschaftler müssen Umwege gehen und bei jedem einzelnen dieser indirekten Kniffe ist die Frage berechtigt, welche Aussagen er zulässt. In Experimenten untersuchen Psychologen etwa, ob Computerspieler nach einer Gewaltorgie am Rechner anderen eher Schmerzen zufügen – mit hohen Tönen oder zum Beispiel indem sie scharfe Chilisauce ins Getränk anderer kippen. Lautstärke oder Schärfegrad könnten Aggressionen quantifizierbar machen, andererseits wirkt das Setting auch artifiziell.

Andere Möglichkeiten sind Korrelationsstudien, in denen über lange Zeiträume etwa delinquentes Verhalten und die Zeit in Zusammenhang gebracht werden, die mit gewaltsamen Computerspielen verbracht wird. Dabei taucht jedoch die Frage auf: Wenn jemand aggressiv auffällt, liegt das an solchen Spielen? Oder haben aggressive Typen eher einen Hang zum Egoshooten? Kurz, auch solche Studien lassen sich kritisieren. Genauso wie Untersuchungen, bei denen die Probanden zur Introspektion angehalten werden, bei denen sie ihr Verhalten etwa in fiktiven Situationen selbst einschätzen sollen. Wie ehrlich fallen solche Antworten aus? Wie gesagt, jedes Studiendesign hat seine Schwächen – und so bekommen Gegner und Freunde von Computerspielen stets frische Munition, um ihren Standpunkt weiter zu verteidigen und sich hinter ihren Haltungen zu verschanzen.

Wissenschaftlich sollte der Fall abgeschlossen sein. Greitemeyer unterfüttert nun aber einen bislang weniger beachteten Aspekt mit einem Datenfundament: Die Spiele verfügen auch über potenzielle positive Effekte. Prosoziale Spiele fördern erwünschtes Verhalten im Vergleich zu neutralen Spielen eher und senken Aggressionen. Wissenschaftlich mag das eine seriöse Erkenntnis sein, doch für die Praxis ist das wahrscheinlich wenig relevant. Es besteht eben das Problem, dass die meisten Spiele mit zu befürwortender Wirkung irre fad und schlecht gemacht sind. Grafisch schmieren solche Produktionen gegen Gangster-Epen wie die Grand-Theft-Auto-Serie oder Ego-Shooter-Klassiker wie Counterstrike ab. Das große Geld wandert in die Entwicklung kriegerischer Spiele – Panzergefechte, Häuserschlachten, das ganze Programm. Warum ist das so?

Man könnte genauso gut fragen, warum das große Popcorn-Kino eine solche Obsession für Gewaltorgien und Rachephantasien hat. Solche Inhalte verkaufen sich eben, das Publikum mag solche Filme – und ist andersherum an solche Inhalte gewöhnt, weil sie eben produziert werden.

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