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Der große Daten-Handel

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Wieder werden zwei junge Männer mit technischem Verstand und Unternehmergeist im Silicon Valley über Nacht zu Milliardären, wieder zahlt ein Unternehmen phantastische Summen für eine Firma, die noch keinen Cent Gewinn gemacht hat. Und wieder betrifft der Deal die Kommunikation von Millionen, wenn nicht Milliarden junger Menschen auf der Welt.

Am Mittwoch gab Facebook, der gerade einmal zehn Jahre alte Anbieter eines mittlerweile ubiquitären sozialen Netzwerks, den größten Deal seiner kurzen Geschichte an: Für nicht weniger als 19 Milliarden Dollar erwirbt das Unternehmen den gerade einmal vier Jahre alten Text-Messaging-Dienst Whatsapp mit heute mehr als 450 Millionen Nutzern. Das ist selbst nach den Standards des Silicon Valley atemberaubend. Die amerikanischen Wettbewerbsbehörden müssen den Kauf noch genehmigen. Das Geschäft soll im Laufe dieses Jahres rechtskräftig werden.



Facebook kauft Whatsapp - ein Mega-Deal im Silicon Valley. Allein in Deutschland gibt es mehr als 30 Millionen aktive Nutzer.

In einigen Aspekten ist der Kauf von Whatsapp einer der teuersten Deals in der Geschichte des Silicon Valley. Whatsapp verlangt für die Nutzung seiner Software wenig Geld, verzichtet bisher auf Werbung und verspricht dies auch weiterhin zu tun. Das 2009 von Jan Koum und Brian Acton, zwei ehemaligen Yahoo-Ingenieuren, gegründete Unternehmen hat ganze 55 Mitarbeiter, was bedeutet, dass Facebook pro Mitarbeiter umgerechnet 344 Millionen Dollar bezahlt.

Und auch dies ist ein Novum: Noch nie hat auch nur ein Start-up, das bisher von einem klassischen Wagnisfinanzierer gestützt wurde, einen so hohen Verkaufserlös gebracht. Der Finanzierer ist in diesem Fall Sequoia Capital, eine etablierte Größe in der Hightech-Szene an der amerikanischen Westküste. Sequoia hat bisher 60 Millionen Dollar in Whatsapp investiert, dank des Deals dürfte der Anteil jetzt drei Milliarden Dollar wert sein – mit Sicherheit die beste Investition in der Geschichte von Sequoia. Im einzelnen überweist Facebook zunächst vier Milliarden Dollar in bar an die Eigentümer von Whatsapp, also im Wesentlichen die Gründer Jan Koum und Brian Acton sowie an Sequoia Capital. Insgesamt zwölf Milliarden Dollar sollen in Form von Facebook-Aktien entrichtet werden. In den kommenden vier Jahren sollen die Gründer und Mitarbeiter der übernommenen Firma weitere Aktien im Gegenwert von drei Milliarden Dollar erhalten.

Was ist die Logik hinter dem unglaublichen Deal? Am besten kann man sie wohl als eine Art Versicherung für Facebook verstehen, als Versicherung dagegen, irrelevant zu werden und Millionen zukünftiger Kunden an Konkurrenten zu verlieren, zum Beispiel an Google. Google war nach Informationen des Magazins Fortune ebenfalls an Whatsapp interessiert und wäre bereit gewesen, zehn Milliarden Dollar zu zahlen. „Whatsapp ist auf dem besten Weg, eine Milliarde Menschen miteinander zu verbinden“, sagte Facebook-Gründer Zuckerberg am Mittwochabend. „Dienste, die eine Milliarde Nutzer haben, sind unglaublich wertvoll“, begründete Zuckerberg den hohen Kaufpreis während einer Telefonkonferenz mit Börsenanalysten. Und noch konkreter: „Whatsapp wird uns dabei helfen, unsere Mission zu erfüllen, die ganze Welt zu vernetzen.“ Eine ähnliche Logik stand dahinter, als Facebook vor zwei Jahren für eine Milliarde Dollar den Foto-Dienst Instagram erwarb. Facebook selbst hat 1,23 Milliarden Nutzer. Die erste Reaktion der Anleger auf den Deal war eher skeptisch. Der Kurs der Facebook-Aktie ging in New York am Donnerstag zunächst zurück, erholte dann sich aber und stieg gegen Abend um zwei Prozent.

Whatsapp – der Name ist ein Wortspiel mit dem amerikanischen „What’s up?“ („Was gibt’s?“) – liefert eine Software, mit der man von Smartphones aus Texte, Fotos und Videos verschicken kann, ohne auf eine Telefongesellschaft angewiesen zu sein und dieser Gebühren zahlen zu müssen. Alles geht praktisch kostenlos über das Internet. Wer die Software von Whatsapp nutzt, bekommt die Dienste ein Jahr lang frei, danach muss er in den USA 99 Dollar-Cent im Jahr zahlen, in Deutschland 89 Cent. Whatsapp ist jenseits der amerikanischen Grenzen noch erfolgreicher als im Inland. Nach einer Aufstellung des Technik-Portals Techcrunch nutzen in den USA nur sieben Prozent aller Besitzer eines iPhones Whatsapp. In Frankreich sind es 14 Prozent, in Großbritannien 39 Prozent und in Deutschland 83 Prozent. Die Daten für die Aufstellung stammen aus dem Dezember 2012.

Was Whatsapp ebenfalls attraktiv macht, ist das vergleichsweise hohe Niveau an Datenschutz. Texte werden, wen sie einmal verschickt wurden, auf den Servern von Whatsapp gelöscht. Dadurch wird es für Überwacher von der NSA oder vergleichbaren Institutionen in anderen Ländern schwerer, Messages zu verfolgen. Dieser Schutz war ein besonderes Anliegen von Jan Koum, der in der seit 1991 unabhängigen Ukraine aufgewachsen ist, dort bis 1992 lebte und die Allgegenwart des sowjetischen Geheimdienstes KGB kannte. „Jans Kindheit half ihm dabei, den Wert einer Kommunikation zu schätzen, die nicht angezapft oder aufgezeichnet werden kann“, erklärte Jim Goetz, ein Partner von Sequoia Capital auf der Website des Finanzierers.

Facebook hat bereits einen eigenen Messaging-Dienst mit ähnlichen Funktionen. Dieser soll parallel weiterentwickelt werden. Whatsapp dagegen bleibt als Marke erhalten. Für die Nutzer soll sich durch den Kauf überhaupt nichts ändern. Firmengründer Jan Koum soll in den Verwaltungsrat von Facebook einziehen. Auch die derzeit populäre Foto-App Snapchat, bei der Bilder von alleine verschwinden, wollte Facebook dem Vernehmen nach vor kurzem für drei Milliarden Dollar kaufen, die Gründer hätten jedoch abgelehnt, hieß es.

Facebooks jüngster Deal zeigt eines: Das Wichtigste in der jetzigen Phase des Internet- und Smartphone-Booms sind Menschen und ihre Daten, selbst wenn man heute noch nicht weiß, wie mit ihnen Geld zu verdienen ist. Ein wichtiger Faktor für Facebook war zum Beispiel die Tatsache, dass 70 Prozent der Whatsapp-Nutzer mindestens einmal am Tag den Dienst nutzen. Bei Facebook sind es dagegen nur 61 Prozent. Ob es sich bei den abenteuerlichen Summen, die für Jungunternehmen ohne nennenswerte Erlöse gezahlt werden, bereits um den Ausdruck einer Spekulationsblase wie 1999/2000 handelt, kann niemand sagen, die Gegensätze zu den im Rest der Wirtschaft üblichen Preisen sind schon gewaltig. Die elf Milliarden Dollar, die die New York Stock Exchange – immerhin die wichtigste Börse der Welt – vor zwei Jahren erlöste, verblassen gegenüber den Preis, den ein Neuling wie Whatsapp heute erzielen kann.

Auch im Silicon Valley sprengt der Deal alle bisherigen Maßstäbe. Gerade einmal zwei Jahre ist es her, da galt der Preis von einer Milliarde Dollar, den Facebook für Instagram zahlte, bei vielen Analysten noch als hoffnungslos überteuert. Ähnlich war es, als der Softwarekonzern Microsoft für den Telefon- und Chatdienst Skype acht Milliarden Dollar zahlte. Heute gelten andere Maßstäbe südlich von San Francisco.

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