Als das Wochenende sich dem Ende zuneigte, gab es doch noch einen gewaltigen Sieg für Russland. Mit einem Mal stand der Gastgeber von Sotschi in der Endabrechnung des Medaillenspiegels ganz oben – für Präsident Wladimir Putin und den Patriotismus eine Bilanz von unschätzbarem Wert. Denn sonst gab es viele Niederlagen. Seit nunmehr einer Woche schon dringen die wichtigsten Nachrichten nicht aus den modernen russischen Olympiastätten in die Welt, sondern aus der benachbarten Ukraine. Und es sind für Russland bittere Nachrichten, nicht nur wegen der blutigen Tragödie rund um den Maidan.
Neue Partner? - Wladimir Putin und Julia Timoschenko
Moskau hat in dem gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch einen wichtigen Verbündeten verloren. Er hatte sich vor der geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsvertrags mit der Europäischen Union im letzten Moment auf die Seite Moskaus ziehen lassen, als er einem russischen Kredit zustimmte und dazu noch einem verbilligten Gaspreis. Das war der Janukowitsch, wie ihn die russische Führung sich vorstellte: im Zweifelsfall willig und hörig, den Schulterschluss mit Moskau zu suchen anstatt mit Brüssel. Janukowitsch aber ist nun schneller Geschichte geworden, als dies noch am Freitag zwischen ihm und der Opposition, den drei EU-Außenministern und dem Gesandten Moskaus vereinbart worden war. Sogar der scharfzüngige Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, hatte nur noch sanften Spott übrig für den gestürzten ukrainischen Staatschef. „Ein trauriges Ende für einen Präsidenten“, teilte Puschkow per Twitter mit, „zur Residenz von Janukowitsch in Meschigorje bei Kiew hat jetzt jeder Zugang: Er selber hat sich davongemacht, das Wachpersonal ist weg.“ Auf ihn kann Moskau nicht mehr zählen, wo auch immer er genau steckt. Nicht einmal genug Macht hatte er noch, um sich per Flugzeug auf den Weg nach Russland zu machen.
Für Moskau ist der Machtwechsel in Kiew ein politischer Albtraum. Selbst wenn sich die russisch geprägte Krim – vor
60 Jahren von Kremlchef Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik geschenkt – und der ukrainische Osten an Russland schmiegen sollten, was allerdings unwahrscheinlich ist: Die politische Niederlage wäre nicht zu verdrängen. Russland strebt von 2015 an die Eurasische Union als wirtschaftspolitisches Pendant zur Europäischen Union an, und die Ukraine, dieser slawische Bruderstaat, wie Russlands Patrioten das Land sehen, wäre dafür eine wichtige Trophäe. Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Wie wichtig die Ukraine für Putin ist, hat er erst im vergangenen Sommer bewiesen, als er zum 1025. Jahrestag der Christianisierung der Kiewer Rus zwei Tage lang in der ukrainischen Hauptstadt war und an die gemeinsame Geschichte von Russen und Ukrainern erinnerte. Und nun dies. Was wäre eine Eurasische Union politisch wert ohne die 50 Millionen Menschen der Ukraine, in jedem Fall ohne die symbolische Hauptstadt Kiew?
Auch Moskau ist schließlich von der Macht des Faktischen überrollt worden, hat sich abfinden müssen mit seinem schwindenden Einfluss auf die sich überschlagenden Ereignisse. Erpressung hatte das russische Außenministerium der Europäischen Union vor wenigen Tagen noch gallig vorgehalten, es warf ihr Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vor. Und zeigte sich dann doch einsichtig genug, immerhin den liberalen Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin nach Kiew zu schicken, damit Russland wenigstens mit im Boot sitzen konnte, als sich die Außenminister der drei EU- Staaten Deutschland, Frankreich und Polen mit Janukowitsch und der Opposition auf ein Abkommen einigten. Unterzeichnet hat Lukin es freilich nicht. Die Gründe schob er am Samstag nach. „Weil nicht klar war, wer die Subjekte dieser Vereinbarung sind“, sagte Lukin und verriet die Zweifel Moskaus, „in welchem Maße Janukowitsch fähig war, das Abkommen überhaupt zu realisieren“. Den ukrainischen Präsidenten hatte es da offenbar schon aufgegeben.
Auch ein Telefonat zwischen Putin und US-Präsident Barack Obama spricht dafür, dass sich Russland mit den neuen Machtverhältnissen arrangiert hat. Obwohl das Abkommen maßgeblich von den EU-Ministern vorangetrieben worden war und den Regimewechsel in Kiew bereits zementierte, sprach Putin davon, dass die Vereinbarung nun rasch umgesetzt werden solle. Kurz darauf musste sich Moskau schon wieder an einer neuen Wirklichkeit ausrichten: Janukowitsch, einer der Unterzeichner, war da schon in den Osten geflüchtet, vom Parlament im Blitzverfahren abgesetzt, politisch am Ende. Russland muss sich in Kiew nun mit anderen Gesprächspartnern verständigen.
Während am Sonntag auf der Internetseite des russischen Außenministeriums noch das Wehklagen von Sergej Lawrow gegenüber seinem amerikanischen Kollegen John Kerry stand, dass das Abkommen vom Freitag „degradiert“ sei wegen „der Unfähigkeit oder der Unlust der oppositionellen Kräfte“, war Finanzminister Anton Siluanow bereits einen Schritt weiter. Vor wenigen Tagen noch hatte Moskau seine Zusage zurückgezogen, für zwei Milliarden Dollar Staatsanleihen der Ukraine aufzukaufen. Jetzt stellte Siluanow dies wieder in Aussicht. Und zwar dann, wenn in der Ukraine eine neue Regierung gebildet sei. „Russland ist interessiert daran, dass sich die politische sowie die soziale und wirtschaftliche Lage in der Ukraine normalisiert“, sagte der Minister. Auch deshalb wohl wird in Kiew so schnell am neuen Kabinett gebastelt. Und dass nun die einstige Gasprinzessin Julia Timoschenko auf all dies einen Einfluss hat, kommt Moskau offenbar durchaus gelegen.
Leonid Sluzkij, Vorsitzender des russischen Duma-Ausschusses für die Belange der eurasischen Integration, hält es für möglich, dass das ukrainische Parlament Timoschenko als Kandidatin einer Koalitionsregierung für das Premiersamt bestätige, „und das wird hilfreich sein für eine Stabilisierung der Lage“. Doch auch dies erwies sich schon wenige Stunden später als überholt, weil sich Timoschenko doch nicht selber bewerben will.
Russland, so scheint es, muss wieder einmal erst abwarten, was in Kiew weiter passiert. Und dort wird das Rad, das Janukowitsch angetrieben hatte, weiter zurückgedreht. Noch am Sonntag änderte die Werchowna Rada ein umstrittenes Sprachengesetz, mit dem einst der Präsident die russische Sprache in einigen Regionen zur zweiten Amtssprache erhob; dies ist sie künftig nicht mehr. Treffen dürfte das vor allem die russlandfreundliche Krim, Sitz der stolzen russischen Schwarzmeerflotte. „Sollte die Ukraine auseinanderfallen, würde sie die Krim als erstes verlieren“, zitierte die Financial Times einen anonymen russischen Regierungsoffiziellen.
Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Chruschtschows Geschenk von einst dürfte bleiben, wo es ist. „Die Krim ist ein unabänderlicher Bestandteil der Ukraine“, sagte der Ministerpräsident der Halbinsel, Anatolij Mogiljow. „Dies ist eine historische Tatsache, die nicht davon abhängt, was irgendjemand wünscht oder nicht wünscht.“
Neue Partner? - Wladimir Putin und Julia Timoschenko
Moskau hat in dem gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch einen wichtigen Verbündeten verloren. Er hatte sich vor der geplanten Unterzeichnung des Assoziierungsvertrags mit der Europäischen Union im letzten Moment auf die Seite Moskaus ziehen lassen, als er einem russischen Kredit zustimmte und dazu noch einem verbilligten Gaspreis. Das war der Janukowitsch, wie ihn die russische Führung sich vorstellte: im Zweifelsfall willig und hörig, den Schulterschluss mit Moskau zu suchen anstatt mit Brüssel. Janukowitsch aber ist nun schneller Geschichte geworden, als dies noch am Freitag zwischen ihm und der Opposition, den drei EU-Außenministern und dem Gesandten Moskaus vereinbart worden war. Sogar der scharfzüngige Alexej Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, hatte nur noch sanften Spott übrig für den gestürzten ukrainischen Staatschef. „Ein trauriges Ende für einen Präsidenten“, teilte Puschkow per Twitter mit, „zur Residenz von Janukowitsch in Meschigorje bei Kiew hat jetzt jeder Zugang: Er selber hat sich davongemacht, das Wachpersonal ist weg.“ Auf ihn kann Moskau nicht mehr zählen, wo auch immer er genau steckt. Nicht einmal genug Macht hatte er noch, um sich per Flugzeug auf den Weg nach Russland zu machen.
Für Moskau ist der Machtwechsel in Kiew ein politischer Albtraum. Selbst wenn sich die russisch geprägte Krim – vor
60 Jahren von Kremlchef Nikita Chruschtschow der ukrainischen Sowjetrepublik geschenkt – und der ukrainische Osten an Russland schmiegen sollten, was allerdings unwahrscheinlich ist: Die politische Niederlage wäre nicht zu verdrängen. Russland strebt von 2015 an die Eurasische Union als wirtschaftspolitisches Pendant zur Europäischen Union an, und die Ukraine, dieser slawische Bruderstaat, wie Russlands Patrioten das Land sehen, wäre dafür eine wichtige Trophäe. Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Wie wichtig die Ukraine für Putin ist, hat er erst im vergangenen Sommer bewiesen, als er zum 1025. Jahrestag der Christianisierung der Kiewer Rus zwei Tage lang in der ukrainischen Hauptstadt war und an die gemeinsame Geschichte von Russen und Ukrainern erinnerte. Und nun dies. Was wäre eine Eurasische Union politisch wert ohne die 50 Millionen Menschen der Ukraine, in jedem Fall ohne die symbolische Hauptstadt Kiew?
Auch Moskau ist schließlich von der Macht des Faktischen überrollt worden, hat sich abfinden müssen mit seinem schwindenden Einfluss auf die sich überschlagenden Ereignisse. Erpressung hatte das russische Außenministerium der Europäischen Union vor wenigen Tagen noch gallig vorgehalten, es warf ihr Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vor. Und zeigte sich dann doch einsichtig genug, immerhin den liberalen Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin nach Kiew zu schicken, damit Russland wenigstens mit im Boot sitzen konnte, als sich die Außenminister der drei EU- Staaten Deutschland, Frankreich und Polen mit Janukowitsch und der Opposition auf ein Abkommen einigten. Unterzeichnet hat Lukin es freilich nicht. Die Gründe schob er am Samstag nach. „Weil nicht klar war, wer die Subjekte dieser Vereinbarung sind“, sagte Lukin und verriet die Zweifel Moskaus, „in welchem Maße Janukowitsch fähig war, das Abkommen überhaupt zu realisieren“. Den ukrainischen Präsidenten hatte es da offenbar schon aufgegeben.
Auch ein Telefonat zwischen Putin und US-Präsident Barack Obama spricht dafür, dass sich Russland mit den neuen Machtverhältnissen arrangiert hat. Obwohl das Abkommen maßgeblich von den EU-Ministern vorangetrieben worden war und den Regimewechsel in Kiew bereits zementierte, sprach Putin davon, dass die Vereinbarung nun rasch umgesetzt werden solle. Kurz darauf musste sich Moskau schon wieder an einer neuen Wirklichkeit ausrichten: Janukowitsch, einer der Unterzeichner, war da schon in den Osten geflüchtet, vom Parlament im Blitzverfahren abgesetzt, politisch am Ende. Russland muss sich in Kiew nun mit anderen Gesprächspartnern verständigen.
Während am Sonntag auf der Internetseite des russischen Außenministeriums noch das Wehklagen von Sergej Lawrow gegenüber seinem amerikanischen Kollegen John Kerry stand, dass das Abkommen vom Freitag „degradiert“ sei wegen „der Unfähigkeit oder der Unlust der oppositionellen Kräfte“, war Finanzminister Anton Siluanow bereits einen Schritt weiter. Vor wenigen Tagen noch hatte Moskau seine Zusage zurückgezogen, für zwei Milliarden Dollar Staatsanleihen der Ukraine aufzukaufen. Jetzt stellte Siluanow dies wieder in Aussicht. Und zwar dann, wenn in der Ukraine eine neue Regierung gebildet sei. „Russland ist interessiert daran, dass sich die politische sowie die soziale und wirtschaftliche Lage in der Ukraine normalisiert“, sagte der Minister. Auch deshalb wohl wird in Kiew so schnell am neuen Kabinett gebastelt. Und dass nun die einstige Gasprinzessin Julia Timoschenko auf all dies einen Einfluss hat, kommt Moskau offenbar durchaus gelegen.
Leonid Sluzkij, Vorsitzender des russischen Duma-Ausschusses für die Belange der eurasischen Integration, hält es für möglich, dass das ukrainische Parlament Timoschenko als Kandidatin einer Koalitionsregierung für das Premiersamt bestätige, „und das wird hilfreich sein für eine Stabilisierung der Lage“. Doch auch dies erwies sich schon wenige Stunden später als überholt, weil sich Timoschenko doch nicht selber bewerben will.
Russland, so scheint es, muss wieder einmal erst abwarten, was in Kiew weiter passiert. Und dort wird das Rad, das Janukowitsch angetrieben hatte, weiter zurückgedreht. Noch am Sonntag änderte die Werchowna Rada ein umstrittenes Sprachengesetz, mit dem einst der Präsident die russische Sprache in einigen Regionen zur zweiten Amtssprache erhob; dies ist sie künftig nicht mehr. Treffen dürfte das vor allem die russlandfreundliche Krim, Sitz der stolzen russischen Schwarzmeerflotte. „Sollte die Ukraine auseinanderfallen, würde sie die Krim als erstes verlieren“, zitierte die Financial Times einen anonymen russischen Regierungsoffiziellen.
Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Chruschtschows Geschenk von einst dürfte bleiben, wo es ist. „Die Krim ist ein unabänderlicher Bestandteil der Ukraine“, sagte der Ministerpräsident der Halbinsel, Anatolij Mogiljow. „Dies ist eine historische Tatsache, die nicht davon abhängt, was irgendjemand wünscht oder nicht wünscht.“