Der Untertitel dieser Ausstellung, „Streich auf Streich – 150 Jahre Max und Moritz. Deutschsprachige Comics von Wilhelm Busch bis heute“, macht stutzig. Am Rang von Wilhelm Busch ist nicht zu zweifeln – aber kann man ihn umstandslos an den Anfang der deutschen Comic-Geschichte setzen? Dann wäre diese gleich um mehrere Jahrzehnte der amerikanischen voraus, die um 1895 mit dem „Yellow Kid“ von Richard F. Outcault anhebt. Unbestreitbar ist zumindest, dass sich vor 150 Jahren ein Kulminationspunkt im Werk von Wilhelm Busch ausmachen lässt: 1864 vollendete der Zeichner seine berühmteste Schöpfung, die Streiche von „Max und Moritz“.
In knapp 400 Exponaten soll die gesamte deutsche Comic-Geschichte abgebildet werden, von "Max und Moritz" bis zu aktuellen Arbeiten wie Reinhards Kleists Graphic Novel "CASH - I See a Darkness" aus dem Jaar 2006.
In einem sorgfältig abgedunkelten Raum des Deutschen Museums für Karikatur & Zeichenkunst in Hannover kann man diese nun in ihrer kostbaren, selten zu sehenden Urfassung bewundern, die sich von der Druckfassung in künstlerischer Hinsicht um einiges unterscheidet. Erst seit dem 1876 erschienenen „Tobias Knopp“ konnte Busch nämlich auf die Technik der fotomechanischen Reproduktion zurückgreifen. Vorher war er gezwungen, seine Bilder für den Druck seitenverkehrt in Holzstöcke zu ritzen. Die „Max und Moritz“-Originale sind dagegen mit Bleistift und Wasserfarben ausgeführt. Im Vergleich zu der allgemein bekannten Version sind sie zarter, eleganter. Deutlicher wird, wie oft Busch den Bewegungen seiner Figuren etwas Tänzerisches verleiht. Man betrachte nur das berühmte Bild, auf dem die beiden Lausbuben sich durch einen Kamin den Braten der Witwe Bolte angeln: Wie Moritz da auf dem rechten Fußballen steht und das linke Bein graziös nach hinten wegstreckt – als gehe es ihm weniger um das Essen als darum, auf dem Dachfirst bella figura zu machen!
Aber auch wenn Busch Bilder in narrativer Absicht einsetzt, ist er deswegen schon ein Comic-Künstler? Nein – seine Bildgeschichten verhalten sich zum Comic so wie die Operette zum Musical oder die Laterna magica zum Kino: Sie sind Vorformen, die mit dem, was später kommt, vieles, aber eben nicht alles gemein haben. Schrift und Text sind in mehrfacher Hinsicht noch stärker getrennt, als es im Comic die Regel ist. Wilhelm Busch ist ebenso sehr Dichter wie Zeichner. Die Verse in „Max und Moritz“ ergeben auch für sich einen Sinn – das ist anders als bei Sprechblasentexten, die unbedingt des Zusammenhangs mit den Bildern bedürfen.
In Momenten kommt Busch dem Comic allerdings erstaunlich nahe. Für „Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein“ (1866) reiht er auf einer Seite zwölf gerahmte Bilder wie Panels aneinander. Frappierender noch ist das vorletzte Bild von „Der Virtuoso“ (1868): Kopf, Rockschöße und Hände des Klavierspielers, der rauschhaft über die Tasten rast, vervielfältigen sich in einem Wirbel, und das Gesicht des Zuhörers, der ihm anbetend lauscht, besteht nur noch aus zwei riesigen Ohren und einem einzigen, phallisch hervorquellenden Auge. Hier ist Busch ein direkter Vorläufer von Meistern des grotesken Comic-Humors wie Basil Wolverton und Marcel Gotlib.
Der lange Schatten, den Busch wirft, ist in der Ausstellung an mehreren Stellen präsent. Unmittelbar zu bemerken ist er in den frühen amerikanischen Zeitungs-Comics, deren Entwicklung auch von deutschstämmigen Zeichnern vorangetrieben wurde. Die „Kin-der-Kids“ von Lyonel Feininger und die „Katzenjammer Kids“ von Rudolph Dirks sind mit „Max und Moritz“ fast schon plagiatorisch verwandt. Der Strip von Dirks wurde in den deutschsprachigen Beilagen, die es in den US-Zeitungen damals oft noch gab, sogar direkt unter dem Titel des Vorbildes geführt. Noch viele Jahre später zeigt sich dann in Loriots „Reinhold, das Nashorn“ und in Roland Kohlsaats „Jimmy, das Gummipferd“ – beide in den Fünfzigern für die Jugendbeilage des Stern entstanden – die mächtige Wirkung des Übervaters.
Mit dem Anspruch, in knapp 400 Exponaten – davon allein mehr als 100 zu Busch – die gesamte deutsche Comic-Geschichte repräsentativ abzubilden, hat die Ausstellung sich sehr viel vorgenommen. An mehreren Stellen wird die chronologische Ordnung unterlaufen, um epochensprengende Bezüge herzustellen: So hängen beispielsweise unter dem Motto „Humor und Spott“ herrliche, im Simplicissimus veröffentlichte Blätter von Karl Arnold und Th.Th. Heine neben Pardon-Arbeiten von Robert Gernhardt und Chlodwig Poth. So witzig der Vergleich ist, können solche Gegenüberstellungen doch zu einem harmonisierenden Blick auf die deutsche Comic-Geschichte verleiten, die sehr lange eher holprig als kontinuierlich verlief. Was die Comic-Szene der vergangenen Jahre angeht, kann die Ausstellung angesichts des nicht allzu großen Raums, der ihr zur Verfügung steht, nur mehr Stichworte zu einer rasanten Entwicklung liefern.
Dennoch sind, jenseits von Busch und seinen Erben, einige echte Fundstücke zu betrachten. Zwei der eindrucksvollsten findet man in direkter Nachbarschaft. Da liegt in einem Schaukasten „Famany, der fliegende Mensch“, ein Superhelden-Comic, der 1937 ausgerechnet in der „Gartenlaube“ erschien – ein Jahr bevor Superman erfunden wurde. Und darüber hängt ein schauerlicher Bilderbogen aus dem Zweiten Weltkrieg, der unter dem Titel „RAD im Fronteinsatz“ in Vers und Bild lobpreist, wie großartig sich die wackeren Männer des Reichsarbeitsdienstes im Vernichtungsfeldzug gegen „den Iwan“ bewähren. Die deutsche Comic-Geschichte – oft ist sie eben auch, in Höhen wie in Tiefen, eine deutsche Zeitgeschichte.
In knapp 400 Exponaten soll die gesamte deutsche Comic-Geschichte abgebildet werden, von "Max und Moritz" bis zu aktuellen Arbeiten wie Reinhards Kleists Graphic Novel "CASH - I See a Darkness" aus dem Jaar 2006.
In einem sorgfältig abgedunkelten Raum des Deutschen Museums für Karikatur & Zeichenkunst in Hannover kann man diese nun in ihrer kostbaren, selten zu sehenden Urfassung bewundern, die sich von der Druckfassung in künstlerischer Hinsicht um einiges unterscheidet. Erst seit dem 1876 erschienenen „Tobias Knopp“ konnte Busch nämlich auf die Technik der fotomechanischen Reproduktion zurückgreifen. Vorher war er gezwungen, seine Bilder für den Druck seitenverkehrt in Holzstöcke zu ritzen. Die „Max und Moritz“-Originale sind dagegen mit Bleistift und Wasserfarben ausgeführt. Im Vergleich zu der allgemein bekannten Version sind sie zarter, eleganter. Deutlicher wird, wie oft Busch den Bewegungen seiner Figuren etwas Tänzerisches verleiht. Man betrachte nur das berühmte Bild, auf dem die beiden Lausbuben sich durch einen Kamin den Braten der Witwe Bolte angeln: Wie Moritz da auf dem rechten Fußballen steht und das linke Bein graziös nach hinten wegstreckt – als gehe es ihm weniger um das Essen als darum, auf dem Dachfirst bella figura zu machen!
Aber auch wenn Busch Bilder in narrativer Absicht einsetzt, ist er deswegen schon ein Comic-Künstler? Nein – seine Bildgeschichten verhalten sich zum Comic so wie die Operette zum Musical oder die Laterna magica zum Kino: Sie sind Vorformen, die mit dem, was später kommt, vieles, aber eben nicht alles gemein haben. Schrift und Text sind in mehrfacher Hinsicht noch stärker getrennt, als es im Comic die Regel ist. Wilhelm Busch ist ebenso sehr Dichter wie Zeichner. Die Verse in „Max und Moritz“ ergeben auch für sich einen Sinn – das ist anders als bei Sprechblasentexten, die unbedingt des Zusammenhangs mit den Bildern bedürfen.
In Momenten kommt Busch dem Comic allerdings erstaunlich nahe. Für „Der böse Hundsfänger und das arme Hündlein“ (1866) reiht er auf einer Seite zwölf gerahmte Bilder wie Panels aneinander. Frappierender noch ist das vorletzte Bild von „Der Virtuoso“ (1868): Kopf, Rockschöße und Hände des Klavierspielers, der rauschhaft über die Tasten rast, vervielfältigen sich in einem Wirbel, und das Gesicht des Zuhörers, der ihm anbetend lauscht, besteht nur noch aus zwei riesigen Ohren und einem einzigen, phallisch hervorquellenden Auge. Hier ist Busch ein direkter Vorläufer von Meistern des grotesken Comic-Humors wie Basil Wolverton und Marcel Gotlib.
Der lange Schatten, den Busch wirft, ist in der Ausstellung an mehreren Stellen präsent. Unmittelbar zu bemerken ist er in den frühen amerikanischen Zeitungs-Comics, deren Entwicklung auch von deutschstämmigen Zeichnern vorangetrieben wurde. Die „Kin-der-Kids“ von Lyonel Feininger und die „Katzenjammer Kids“ von Rudolph Dirks sind mit „Max und Moritz“ fast schon plagiatorisch verwandt. Der Strip von Dirks wurde in den deutschsprachigen Beilagen, die es in den US-Zeitungen damals oft noch gab, sogar direkt unter dem Titel des Vorbildes geführt. Noch viele Jahre später zeigt sich dann in Loriots „Reinhold, das Nashorn“ und in Roland Kohlsaats „Jimmy, das Gummipferd“ – beide in den Fünfzigern für die Jugendbeilage des Stern entstanden – die mächtige Wirkung des Übervaters.
Mit dem Anspruch, in knapp 400 Exponaten – davon allein mehr als 100 zu Busch – die gesamte deutsche Comic-Geschichte repräsentativ abzubilden, hat die Ausstellung sich sehr viel vorgenommen. An mehreren Stellen wird die chronologische Ordnung unterlaufen, um epochensprengende Bezüge herzustellen: So hängen beispielsweise unter dem Motto „Humor und Spott“ herrliche, im Simplicissimus veröffentlichte Blätter von Karl Arnold und Th.Th. Heine neben Pardon-Arbeiten von Robert Gernhardt und Chlodwig Poth. So witzig der Vergleich ist, können solche Gegenüberstellungen doch zu einem harmonisierenden Blick auf die deutsche Comic-Geschichte verleiten, die sehr lange eher holprig als kontinuierlich verlief. Was die Comic-Szene der vergangenen Jahre angeht, kann die Ausstellung angesichts des nicht allzu großen Raums, der ihr zur Verfügung steht, nur mehr Stichworte zu einer rasanten Entwicklung liefern.
Dennoch sind, jenseits von Busch und seinen Erben, einige echte Fundstücke zu betrachten. Zwei der eindrucksvollsten findet man in direkter Nachbarschaft. Da liegt in einem Schaukasten „Famany, der fliegende Mensch“, ein Superhelden-Comic, der 1937 ausgerechnet in der „Gartenlaube“ erschien – ein Jahr bevor Superman erfunden wurde. Und darüber hängt ein schauerlicher Bilderbogen aus dem Zweiten Weltkrieg, der unter dem Titel „RAD im Fronteinsatz“ in Vers und Bild lobpreist, wie großartig sich die wackeren Männer des Reichsarbeitsdienstes im Vernichtungsfeldzug gegen „den Iwan“ bewähren. Die deutsche Comic-Geschichte – oft ist sie eben auch, in Höhen wie in Tiefen, eine deutsche Zeitgeschichte.