Miki Kuusi sieht aus, als sei er aus einer dieser High-School-Komödien von Disney in den finnischen Winter gefallen. Samt Filmset. So kommt es einem vor, wenn man aus der Dunkelheit in das gut ausgeleuchtete Backsteingebäude tritt, in die Start-up-Sauna auf dem Campus der Aalto-Universität außerhalb Helsinkis. Sie dient als Brutstätte für junge Unternehmen und die Wärme ist fast sichtbar: Draußen Schnee, drinnen die helle Halle, Studenten in bunten Pullis, Geschäftsleute in Anzügen. Orange Stellwände trennen weiße Arbeitstische, grüne und rosafarbenen Stühle. Mittendrin steht dieser 24-Jährige in einem engen sonnengelben Sweatshirt und Jeans, die blauer sind als normale Jeans.
Der finnische Handyhersteller investiert in die Start-Up-Szene
Wenn er anfängt zu reden, klingt Kuusi wie ein Alteingesessener. „Früher war es okay, eine Firma zu gründen und sie für zehn Millionen Euro zu verkaufen. Heute ist das Ziel, größer zu werden als Supercell.“ 51 Prozent des Spielentwicklers Supercell gingen vergangenes Jahr an den japanischen Tech-Konzern Softbank – für 1,5 Milliarden Dollar. Supercell wurde damit zur neuen Ikone Finnlands. Genauso wie Rovio, Star der finnischen Spieleszene, Erfinder von Angry Birds, das mittlerweile zwei Milliarden Mal aus dem Internet heruntergeladen wurde. Oder das Start-up Jolla, das ehemalige Nokia-Mitarbeiter auf Basis ihrer Innovationen beim alten Arbeitgeber gegründet haben. Auf diese Marken hofft Finnland nach dem Niedergang von Nokia – und auf Menschen wie Miki Kuusi.
Der Student hat im November Slush, das größte Start-up-Treffen Nordeuropas in Helsinki organisiert, mit 7000 Teilnehmern. 2008 waren es noch 300. „Es hat einen enormen kulturellen Wandel in der finnischen Einstellung zum Gründertum gegeben“, sagt Kuusi. „Vor fünf Jahren war ein Entrepreneur noch jemand, der sonst nirgendwo einen Job fand und deswegen seine eigene Firma gründen musste.“
Heute blüht die Start-up-Szene in der Region Helsinki. Sie ist von allen Seiten kräftig gedüngt worden, von der finnischen Regierung, die die Universität reformiert hat, von den Städten Helsinki und Espoo, die Milliarden in neue Infrastruktur stecken, und von Nokia selbst. Mit dem Bridge Programm half der Konzern ehemaligen Mitarbeitern mit guten Ideen beim Start einer eigenen Firma – mit Geld und Nachhilfeunterricht in Unternehmensgründung. 430 Firmen sind daraus in Finnland entstanden, mehr als 1000 waren es weltweit. Nach eigenen Angaben hat Nokia mehrere zehn Millionen Euro investiert.
Begonnen hat der Kulturwandel vor fünf, sechs Jahren, als klar wurde, dass das iPhone den damals noch weltweit größten Mobilfunkhersteller bedroht. Finnlands Abhängigkeit von Nokia war groß, der Konzern verantwortete vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Eine Start-up-Szene gab es damals quasi nicht, anders als in Schweden, das bereits auf junge, innovative Unternehmen wie Spotify und Skype verweisen konnte. Die gut ausgebildeten Finnen wollten lieber für Nokia arbeiten, oder einen der anderen Konzerne wie Aufzughersteller Kone oder Energieversorger Fortum.
Finnland hatte gute Ingenieure, gute Wissenschaftler, gute Designer – aber eben keine Gründer. Um das zu ändern, fusionierte die Regierung die Hochschulen: Aus der Technischen Universität, der Handelshochschule und der Hochschule für Kunst und Design wurde Anfang 2010 die Aalto-Universität. Ihr Campus in Espoo, im Stadtteil Otaniemi nahe Helsinki, sollte ein Zentrum für Start-ups und Innovationen werden. Hier hat auch Nokia seinen Hauptsitz, ebenso etliche Forschungseinrichtungen.
Dieselbe Idee einer Fusion steckt auch hinter der Start-up-Sauna. Die Aalto Entrepreneurship Society, eine Gruppe von Studenten, suchte 2009 nach einem Treffpunkt für Studierende aller drei Hochschulen, die an Unternehmensgründungen interessiert waren. Die Uni überließ ihnen für den Übergang die Halle, in der zuvor Desinfektionsmittel gelagert wurden. Den Schlüssel dazu gaben die Studenten einfach nicht wieder zurück.
Inzwischen ist das Lagerhaus wohnlich eingerichtet, sogar eine echte Sauna gibt es, mit Schreibtafel anstelle eines Ofens. Zweimal im Jahr ziehen 20 Teams mit Start-up-Ideen für fünf Wochen hier ein. Unternehmer, die es geschafft haben, helfen ihnen dann auf den richtigen Weg. Zu den Mentoren gehören zum Beispiel Ilkka Paananen, Chef von Supercell, und Peter Versterbacke von Rovio. Auch Risto Siilasmaa, Interimschef von Nokia, und Silicon-Valley-Legende Steve Blank waren schon hier. 110 Unternehmen hat die Sauna bisher ausgebrütet und 35 Millionen Dollar Wagniskapital von Investoren für sie eingesammelt. Mehr als 80 Prozent der Firmen seien noch aktiv, sagt Kuusi. Er hat bis vor Kurzem selbst die Sauna geleitet, die auch hinter der Slush-Messe steht.
Die Teilnahme ist kostenlos, die Mentoren arbeiten ehrenamtlich. „Jeder Entrepreneur hat eine Menge Hilfe von anderen bekommen und gibt sie jetzt zurück“, sagt Kuusi. In Finnland gibt es ein Wort dafür: Talkoot, grob übersetzt heißt das Nachbarschaftshilfe. Alle Bewohner eines Ortes kommen zusammen und helfen einer Familie aus der Gemeinschaft ein Haus zu bauen oder ein Dach zu decken.
So ähnlich läuft es auf dem Aalto-Campus. Die Sauna ist nur eine von mehreren Start-up-Schmieden. Gleich nebenan steht die Design Factory, gegründet 2008 von Engineering-Professor Kalevi Ekman, der Studentengruppen an realen Aufträgen beispielsweise von Nokia, Kone und Philipps arbeiten lässt. „Ein Produkt zu entwickeln lernt man nur, indem man ein Produkt entwickelt“, sagt er. Im Erdgeschoss ist die Design Factory ähnlich durchgestylt wie die Start-up-Sauna.
In der Küche liegt ein runder, violetter Teppich. Wer sich zufällig darauf trifft muss sich umarmen, sagt Ekman. Alles, was der Kreativität hilft, ist hier erlaubt.
Teil zwei der Erklärung für das finnische Start-up-Wunder erhält man im Zentrum von Espoo, 15 Kilometer entfernt. Im Besprechungsraum von Tuula Antola stehen liebevoll angerichtete Teller mit Konfekt bereit, „Espoo“ steht in weißer Schokolade auf den Rändern. Antola, die im Rathaus für die Wirtschaftsförderung zuständig ist, holt ihr Nokia Lumia 920 heraus und macht ein Foto von dem süßen Kunstwerk. Für Facebook. Das sei das erste, was ihre 78-jährige Mutter jeden Morgen anschaltet, sagt sie.
Die Finnen haben ein besonderes Verhältnis zu Technik. Antola, selbst Ingenieurin, erklärt sich das mit ihrer rationalen Natur. Neben ihr sitzt Ari Huczkowski, zuständig für das Marketing für Otaniemi. Als in den Achtzigerjahren mit dem Commodore 64 einer der ersten Spielecomputer für Zuhause auf den Markt kam, kaufte ihn praktisch jede finnische Familie, erzählt er. „Wir hatten in Finnland die höchste Penetration überhaupt.“ Das könnte wohl auch an dem Wetter gelegen haben, denn die Winter sind dunkel und lang, Kinder können seltener draußen spielen.
Nokia nutzte diese Technikliebe aus, zog talentierte Ingenieure in die Region. „Die Erfolgsgeschichte von Nokia ist wie ein Lotteriegewinn für jedes Land“, sagt Antola. Doch man dürfe sich nicht von einem Unternehmen abhängig machen. „Deswegen suchen wir auch kein neues Nokia.“ Um die Talente in Espoo zu halten, wirbt die Stadt um andere Unternehmen, die sich ansiedeln sollen. Es war Antolas großes Ziel, den Preis für die Europäische Innovations-Hauptstadt zu gewinnen, den die EU zum ersten Mal ausgelobt hat. Espoo kam unter die letzten sechs Städte, verpasste aber den Einzug in die Finalrunde. Der Gewinner steht noch nicht fest.
5,8 Milliarden Euro will die Stadt mithilfe privater Geldgeber innerhalb der kommenden zehn Jahre in den Standort investieren. Ein guter Teil, 900 Millionen Euro, fließt in eine U-Bahnstation, die den Aalto-Campus mit Helsinki verbinden soll. Nebenan soll das höchste Bürogebäude Finnlands entstehen. Samsung hat im vergangenen Sommer bereits ein Forschungsinstitut in Otaniemi eröffnet, ebenso Intel und der französische Softwareentwickler Dassault Systemes.
Auch die Start-up-Förderung scheint aufzugehen. 192 Millionen Dollar Wagniskapital sind 2013 in die Hauptstadtregion Helsinki geflossen, viermal so viel wie 2010. Die Angaben stammen von Helsinki International VC Zone, einem Berater für Risikokapitalgeber. Geld schafft Arbeitsplatze: Allein in Espoo seien in den vergangenen zwei Jahren 13 000 neue Jobs in kleinen und mittelgroßen Unternehmen entstanden, sagt Antalo.
Einer der neuen Arbeitgeber ist Micke Pagvaléns. Von seiner Firma im achten Stock eines der neuen Bürotürme im Uni-Hightech-Viertel Otaniemi kann man sowohl die Baustelle für die neue U-Bahn als auch die Nokia-Zentrale sehen. Am Eingang hängt eine lange Reihe kleiner weißer Ikea-Rahmen, darin die Flaggen der Mutterländer seiner Mitarbeiter. 25 Nationen, 75 Mitarbeiter.
Der 46-jährige Pagvaléns ist wohl das, was man den typischen Entrepreneur nennt: ein Mensch, der dafür lebt, immer wieder etwas Neues zu beginnen. Drei Firmen hat er bereits gegründet, alle hat er verkauft, um von vorne anzufangen. Alle drei gründete er im Ausland, in Schweden. Die vergangenen 20 Jahre lebte Pagvaléns zwischenzeitlich auch in Deutschland, Frankreich, England, Norwegen. In seiner Heimat fühlte er sich fehl am Platz: „Die Finnen haben eine Menge guter Eigenschaften, aber sie sind wenig leidenschaftlich, gehen selten aus sich heraus“, sagt er.
Er ist trotzdem 2009 nach Hause gekommen, damit seine Töchter auf eine finnische Schule gehen können. Zufällig traf er die Gründer der Startup-Sauna und bot sich als Mentor an, bis es ihn juckte, wieder etwas Eigenes aufzuziehen. 2010 gründete er Kiosked, eine Art Plattform, mit der Nutzer im Internet alles sofort online kaufen können, was sie auf Bildern oder Videos sehen. Dafür verbindet Kiosked Nachrichtenseiten und Foren wie Facebook und Youtube mit Herstellern von Kleidung, Sportartikeln, Handtaschen und anderen Produkten. Kiosked arbeitet bereits mit Nike, Zalando, eBay und dem Daily Telegraph zusammen. Das Start-up gilt mit 12,65 Millionen Dollar Finanzierung als eines der größeren in Helsinki.
Der finnische Handyhersteller investiert in die Start-Up-Szene
Wenn er anfängt zu reden, klingt Kuusi wie ein Alteingesessener. „Früher war es okay, eine Firma zu gründen und sie für zehn Millionen Euro zu verkaufen. Heute ist das Ziel, größer zu werden als Supercell.“ 51 Prozent des Spielentwicklers Supercell gingen vergangenes Jahr an den japanischen Tech-Konzern Softbank – für 1,5 Milliarden Dollar. Supercell wurde damit zur neuen Ikone Finnlands. Genauso wie Rovio, Star der finnischen Spieleszene, Erfinder von Angry Birds, das mittlerweile zwei Milliarden Mal aus dem Internet heruntergeladen wurde. Oder das Start-up Jolla, das ehemalige Nokia-Mitarbeiter auf Basis ihrer Innovationen beim alten Arbeitgeber gegründet haben. Auf diese Marken hofft Finnland nach dem Niedergang von Nokia – und auf Menschen wie Miki Kuusi.
Der Student hat im November Slush, das größte Start-up-Treffen Nordeuropas in Helsinki organisiert, mit 7000 Teilnehmern. 2008 waren es noch 300. „Es hat einen enormen kulturellen Wandel in der finnischen Einstellung zum Gründertum gegeben“, sagt Kuusi. „Vor fünf Jahren war ein Entrepreneur noch jemand, der sonst nirgendwo einen Job fand und deswegen seine eigene Firma gründen musste.“
Heute blüht die Start-up-Szene in der Region Helsinki. Sie ist von allen Seiten kräftig gedüngt worden, von der finnischen Regierung, die die Universität reformiert hat, von den Städten Helsinki und Espoo, die Milliarden in neue Infrastruktur stecken, und von Nokia selbst. Mit dem Bridge Programm half der Konzern ehemaligen Mitarbeitern mit guten Ideen beim Start einer eigenen Firma – mit Geld und Nachhilfeunterricht in Unternehmensgründung. 430 Firmen sind daraus in Finnland entstanden, mehr als 1000 waren es weltweit. Nach eigenen Angaben hat Nokia mehrere zehn Millionen Euro investiert.
Begonnen hat der Kulturwandel vor fünf, sechs Jahren, als klar wurde, dass das iPhone den damals noch weltweit größten Mobilfunkhersteller bedroht. Finnlands Abhängigkeit von Nokia war groß, der Konzern verantwortete vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Eine Start-up-Szene gab es damals quasi nicht, anders als in Schweden, das bereits auf junge, innovative Unternehmen wie Spotify und Skype verweisen konnte. Die gut ausgebildeten Finnen wollten lieber für Nokia arbeiten, oder einen der anderen Konzerne wie Aufzughersteller Kone oder Energieversorger Fortum.
Finnland hatte gute Ingenieure, gute Wissenschaftler, gute Designer – aber eben keine Gründer. Um das zu ändern, fusionierte die Regierung die Hochschulen: Aus der Technischen Universität, der Handelshochschule und der Hochschule für Kunst und Design wurde Anfang 2010 die Aalto-Universität. Ihr Campus in Espoo, im Stadtteil Otaniemi nahe Helsinki, sollte ein Zentrum für Start-ups und Innovationen werden. Hier hat auch Nokia seinen Hauptsitz, ebenso etliche Forschungseinrichtungen.
Dieselbe Idee einer Fusion steckt auch hinter der Start-up-Sauna. Die Aalto Entrepreneurship Society, eine Gruppe von Studenten, suchte 2009 nach einem Treffpunkt für Studierende aller drei Hochschulen, die an Unternehmensgründungen interessiert waren. Die Uni überließ ihnen für den Übergang die Halle, in der zuvor Desinfektionsmittel gelagert wurden. Den Schlüssel dazu gaben die Studenten einfach nicht wieder zurück.
Inzwischen ist das Lagerhaus wohnlich eingerichtet, sogar eine echte Sauna gibt es, mit Schreibtafel anstelle eines Ofens. Zweimal im Jahr ziehen 20 Teams mit Start-up-Ideen für fünf Wochen hier ein. Unternehmer, die es geschafft haben, helfen ihnen dann auf den richtigen Weg. Zu den Mentoren gehören zum Beispiel Ilkka Paananen, Chef von Supercell, und Peter Versterbacke von Rovio. Auch Risto Siilasmaa, Interimschef von Nokia, und Silicon-Valley-Legende Steve Blank waren schon hier. 110 Unternehmen hat die Sauna bisher ausgebrütet und 35 Millionen Dollar Wagniskapital von Investoren für sie eingesammelt. Mehr als 80 Prozent der Firmen seien noch aktiv, sagt Kuusi. Er hat bis vor Kurzem selbst die Sauna geleitet, die auch hinter der Slush-Messe steht.
Die Teilnahme ist kostenlos, die Mentoren arbeiten ehrenamtlich. „Jeder Entrepreneur hat eine Menge Hilfe von anderen bekommen und gibt sie jetzt zurück“, sagt Kuusi. In Finnland gibt es ein Wort dafür: Talkoot, grob übersetzt heißt das Nachbarschaftshilfe. Alle Bewohner eines Ortes kommen zusammen und helfen einer Familie aus der Gemeinschaft ein Haus zu bauen oder ein Dach zu decken.
So ähnlich läuft es auf dem Aalto-Campus. Die Sauna ist nur eine von mehreren Start-up-Schmieden. Gleich nebenan steht die Design Factory, gegründet 2008 von Engineering-Professor Kalevi Ekman, der Studentengruppen an realen Aufträgen beispielsweise von Nokia, Kone und Philipps arbeiten lässt. „Ein Produkt zu entwickeln lernt man nur, indem man ein Produkt entwickelt“, sagt er. Im Erdgeschoss ist die Design Factory ähnlich durchgestylt wie die Start-up-Sauna.
In der Küche liegt ein runder, violetter Teppich. Wer sich zufällig darauf trifft muss sich umarmen, sagt Ekman. Alles, was der Kreativität hilft, ist hier erlaubt.
Teil zwei der Erklärung für das finnische Start-up-Wunder erhält man im Zentrum von Espoo, 15 Kilometer entfernt. Im Besprechungsraum von Tuula Antola stehen liebevoll angerichtete Teller mit Konfekt bereit, „Espoo“ steht in weißer Schokolade auf den Rändern. Antola, die im Rathaus für die Wirtschaftsförderung zuständig ist, holt ihr Nokia Lumia 920 heraus und macht ein Foto von dem süßen Kunstwerk. Für Facebook. Das sei das erste, was ihre 78-jährige Mutter jeden Morgen anschaltet, sagt sie.
Die Finnen haben ein besonderes Verhältnis zu Technik. Antola, selbst Ingenieurin, erklärt sich das mit ihrer rationalen Natur. Neben ihr sitzt Ari Huczkowski, zuständig für das Marketing für Otaniemi. Als in den Achtzigerjahren mit dem Commodore 64 einer der ersten Spielecomputer für Zuhause auf den Markt kam, kaufte ihn praktisch jede finnische Familie, erzählt er. „Wir hatten in Finnland die höchste Penetration überhaupt.“ Das könnte wohl auch an dem Wetter gelegen haben, denn die Winter sind dunkel und lang, Kinder können seltener draußen spielen.
Nokia nutzte diese Technikliebe aus, zog talentierte Ingenieure in die Region. „Die Erfolgsgeschichte von Nokia ist wie ein Lotteriegewinn für jedes Land“, sagt Antola. Doch man dürfe sich nicht von einem Unternehmen abhängig machen. „Deswegen suchen wir auch kein neues Nokia.“ Um die Talente in Espoo zu halten, wirbt die Stadt um andere Unternehmen, die sich ansiedeln sollen. Es war Antolas großes Ziel, den Preis für die Europäische Innovations-Hauptstadt zu gewinnen, den die EU zum ersten Mal ausgelobt hat. Espoo kam unter die letzten sechs Städte, verpasste aber den Einzug in die Finalrunde. Der Gewinner steht noch nicht fest.
5,8 Milliarden Euro will die Stadt mithilfe privater Geldgeber innerhalb der kommenden zehn Jahre in den Standort investieren. Ein guter Teil, 900 Millionen Euro, fließt in eine U-Bahnstation, die den Aalto-Campus mit Helsinki verbinden soll. Nebenan soll das höchste Bürogebäude Finnlands entstehen. Samsung hat im vergangenen Sommer bereits ein Forschungsinstitut in Otaniemi eröffnet, ebenso Intel und der französische Softwareentwickler Dassault Systemes.
Auch die Start-up-Förderung scheint aufzugehen. 192 Millionen Dollar Wagniskapital sind 2013 in die Hauptstadtregion Helsinki geflossen, viermal so viel wie 2010. Die Angaben stammen von Helsinki International VC Zone, einem Berater für Risikokapitalgeber. Geld schafft Arbeitsplatze: Allein in Espoo seien in den vergangenen zwei Jahren 13 000 neue Jobs in kleinen und mittelgroßen Unternehmen entstanden, sagt Antalo.
Einer der neuen Arbeitgeber ist Micke Pagvaléns. Von seiner Firma im achten Stock eines der neuen Bürotürme im Uni-Hightech-Viertel Otaniemi kann man sowohl die Baustelle für die neue U-Bahn als auch die Nokia-Zentrale sehen. Am Eingang hängt eine lange Reihe kleiner weißer Ikea-Rahmen, darin die Flaggen der Mutterländer seiner Mitarbeiter. 25 Nationen, 75 Mitarbeiter.
Der 46-jährige Pagvaléns ist wohl das, was man den typischen Entrepreneur nennt: ein Mensch, der dafür lebt, immer wieder etwas Neues zu beginnen. Drei Firmen hat er bereits gegründet, alle hat er verkauft, um von vorne anzufangen. Alle drei gründete er im Ausland, in Schweden. Die vergangenen 20 Jahre lebte Pagvaléns zwischenzeitlich auch in Deutschland, Frankreich, England, Norwegen. In seiner Heimat fühlte er sich fehl am Platz: „Die Finnen haben eine Menge guter Eigenschaften, aber sie sind wenig leidenschaftlich, gehen selten aus sich heraus“, sagt er.
Er ist trotzdem 2009 nach Hause gekommen, damit seine Töchter auf eine finnische Schule gehen können. Zufällig traf er die Gründer der Startup-Sauna und bot sich als Mentor an, bis es ihn juckte, wieder etwas Eigenes aufzuziehen. 2010 gründete er Kiosked, eine Art Plattform, mit der Nutzer im Internet alles sofort online kaufen können, was sie auf Bildern oder Videos sehen. Dafür verbindet Kiosked Nachrichtenseiten und Foren wie Facebook und Youtube mit Herstellern von Kleidung, Sportartikeln, Handtaschen und anderen Produkten. Kiosked arbeitet bereits mit Nike, Zalando, eBay und dem Daily Telegraph zusammen. Das Start-up gilt mit 12,65 Millionen Dollar Finanzierung als eines der größeren in Helsinki.