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Cool sein zwischen Kühlregalen

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Auf Lichtschwerter haben sie verzichtet, auch auf Phaser-Pistolen und Photonen-Torpedos. Man will ja realistisch bleiben. Also schwebt der Astronaut korrekt gekleidet im Raumanzug herum, auf dem Kopf trägt er ordnungsgemäß einen Schutzhelm. Es geht schließlich um das echte Leben, um das ziemlich irdische sogar. Denn Ort der Astronauten-Szene ist keine Weltraumstation, sondern die Kühlabteilung eines Supermarkts – zwischen Buttermilch und halbfestem Schnittkäse. Der Astronaut ist keine Werbefigur der Nasa, sondern Teil einer Kampagne, mit der der Discounter Penny um Azubis wirbt und im Untertitel „überirdisch spannende Herausforderungen“ verspricht. „Wenn ich die Penny-Werbung sehe, dann fühle ich mich verarscht“, sagt Amdi.

Amdi geht in die neunte Klasse einer Münchner Realschule. Er sitzt in der ersten Reihe, auf der Nase trägt er eine Nerdbrille von Armani, auf dem Kopf eine Tolle, an den Seiten sind die Haare kurz rasiert. Er gehört zur Zielgruppe Dutzender Azubi-Kampagnen, die mit teils irrwitziger Übertreibung um Nachwuchs in Handel, Handwerk und Industrie werben. Neben der Astronauten-Kampagne von Penny wirbt zum Beispiel die Sparkasse mit einem jungen Hipster-Model, das Pornobrille trägt, sich das Hemd aufreißt und das Sparkassen-„S“ auf seiner Brust präsentiert. Dass es sich um eine Anspielung auf das Superman-„S“ handelt, verrät spätestens der dazugehörige Slogan: „Zeit für Helden! Werd Super-Azubi! Bewirb Dich jetzt bei der Sparkasse!“ Von wegen Lehrjahre sind keine Herrenjahre – es sind Heldenjahre!



Zwei angehende Metallbauer beim Schweißen. Lehrlinge in diesem Gewerbe können wie Superman Metall verbiegen - Azubis in Banken und Supermärkten nicht.

Die Übertreibung der Firmen hat einen Grund: blanke Not. Sie ist der verzweifelte Versuch, den Azubi-Mangel in den Griff zu bekommen. Nach dem Prinzip: Um sich interessant zu machen, ist jedes Mittel recht, auch Maßlosigkeit. Denn der Ausbildungsmarkt ist im Umbruch. In seiner aktuellen Studie schlägt das Bundesinstitut für Berufsbildung Alarm. Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge habe zuletzt einen historischen Tiefstand erreicht, den niedrigsten Wert seit der Wiedervereinigung. Die Jahrgänge schrumpfen, immer mehr Jugendliche beginnen nach der Schule lieber ein Studium statt einer dualen Ausbildung. Die Folge: Relativ viele Betriebe kämpfen um relativ wenig Lehrlingsanwärter mit Realschulabschluss oder Abitur. Wer die höher qualifizierten Jugendlichen für sich gewinnen will, muss sich was einfallen lassen – auch in der Werbung.

„Ich habe Verständnis dafür, dass Werbung plakativ sein muss. Aber es darf nicht in eine Einfangkampagne ausarten“, sagt Gertraud Wurm. Seit fast vier Jahrzehnten ist sie Berufsberaterin bei der Agentur für Arbeit in München. In ihrem hellen Büro sitzt sie Tag für Tag mit Jugendlichen an einem runden Tisch, spricht mit ihnen über ihre Träume. Und über die Realität, die in den Kampagnen vieler Betriebe gar nicht mehr vorkommt: „Man darf die Jugendlichen nicht nur ködern“, sagt Wurm, „im zweiten Schritt muss man mit ihnen offen und ehrlich über den Beruf sprechen, den man ihnen anbietet.“

Für die Altenpflege dürfte das ganz besonders gelten. „Natürlich gibt es die Gefahr des Ausbrennens, der Pflegeberuf ist psychisch und physisch belastend“, sagt Wolfgang Schindele, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern. Trotzdem hat er eine Kampagne auf den Weg gebracht, die den Blick ausschließlich auf die schönen Seiten des Berufs richtet: auf die Zuneigung und Wertschätzung, die viele Pfleger von Heimbewohnern bekommen. Die Werbeplakate sind im Stil von Filmplakaten gehalten. Zu sehen sind die Gesichter echter Pflege-Azubis, über ihren Namen steht der Slogan: „Spiel die Hauptrolle im Leben älterer Menschen.“ Dass die Kampagne einseitig ist oder irreführend, findet Wolfgang Schindele nicht: „Plakate und Spots locken nur. Sie haben nicht die Funktion, bis in die Tiefe zu informieren, sondern sollen einen Anreiz für einen jungen Menschen bieten, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Beruf etwas für ihn wäre.“

Natürlich hat Schindele recht. Werbung muss zuspitzen, die Übertreibung ist ihre Natur und nicht per se verwerflich. Und man täte den Jugendlichen Unrecht, würde man sie für so naiv halten, dass sie alles aufs Wort glauben, was die Werbung so verspricht. Und trotzdem: Es stellt sich die Frage, was all die Filmstars, Rockstars und Superhelden in den Azubi-Kampagnen mit der Lebenswirklichkeit der jungen Menschen zu tun haben. Sie vermitteln den Eindruck, dass alle Jugendlichen von Beruf Superstars werden oder sich wenigstens so fühlen wollen. Ist das wirklich so?

Um zu prüfen, ob Superhelden-Kampagnen wirklich ankommen, kann man Wolfgang Schindele fragen. Der AWO-Chef sagt einem dann, dass sich die Azubi-Zahlen der AWO seit Kampagnenstart verdoppelt haben. Man kann aber auch Armani-Brillenträger Amdi und seine 27 Klassenkameraden fragen – zum Beispiel zur Werbung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Auf dessen Werbeplakat ist der Hinterkopf einer Blondine zu sehen, die beim Friseur sitzt. Zwei Hände stecken ihr langes Haar hoch. Überschrift: „Ich schneide keine Haare. Ich rette dein nächstes Date.“ Kürzlich lobte Kanzlerin Angela Merkel den ZDH für diese Kampagne. Aber wird Handwerk automatisch cool, nur weil Werber ihm einen Glamour-Anstrich verpassen?

„Man ist kein Held, wenn man Friseur ist“, sagt Katja, der offenbar so kalt ist, dass sie selbst im Klassenzimmer ihren Pelzkragenanorak trägt. Wenn die Unternehmen schon versuchten cool und witzig zu sein, sagt die Realschülerin, „dann würde ich mir wünschen, dass das noch mehr in die Ironie geht. Dann würde man wenigstens merken, dass es den Firmen in erster Linie darum geht, Aufmerksamkeit zu erwecken.“ Besser gefalle ihr da schon die Azubi-Kampagne der Supermarktkette Rewe. Die ist zwar ironiefrei, „aber da kriegt man einen echten Einblick“, sagt Katja. Der Rewe-Werbespot zeigt Azubi Daniel beim Zerlegen, Wursten und Abwiegen, nebenbei erzählt er in breitem Hessisch von seiner Metzgerlehre: „Man muss Kalkulation können, die Anatomie vom Schwein, Rind, Schaf, Kalb, das muss man alles können.“ Und wenn Daniel das Fleisch dann in die Kühltheke packt, schwebt kein Astronaut vorbei. „Das ist seriös“, sagt Amdi, „da fühle ich mich schon ernster genommen.“

Ist das die neue Ernsthaftigkeit, die Jugendstudien der nachwachsenden Generation seit Jahren attestieren? Familie, Gesundheit und Sicherheit seien ihr Wertegerüst, heißt es in der Shell-Studie und auch in der von McDonald’s. Erst darunter rangierten Spaß, Selbstverwirklichung und ein individueller Lebensstil. Den Wunsch, bei der Arbeit im Rampenlicht zu stehen, hegen laut der McDonald’s-Ausbildungsstudie lediglich vier Prozent der befragten Jugendlichen. Vielleicht liegen die Werber ja daneben mit dem Glauben, dass Jugendliche als Berufshelden im Mittelpunkt stehen wollen. Vor zwei Jahren hat McDonald’s ein Video online gestellt, in dem hübsche junge Menschen in der Uniform der Fastfood-Kette zu wummernder Euro-Trash-Musik durch eine Filiale tanzten. Sie sangen: „Die Zukunft wartet nicht, mach den Schritt ins Rampenlicht!“ Junge YouTube-Nutzer antworteten mit Entgeisterung und Häme.

Zwei Jahre und eine Allensbach-Studie später sieht das Ausbildungsportal von McDonald’s grundsolide aus. Man klickt sich durch die verschiedenen Ausbildungswege, dazu gibt es Videos, in denen echte Azubis von ihrem Alltag und von Aufstiegschancen berichten. Niemand tanzt.

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