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Wasser im Helm

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Um ein Haar wäre der europäische Astronaut Luca Parmitano vergangenes Jahr ums Leben gekommen, als sich sein Raumanzug langsam mit Wasser füllte. Doch die Beinahe-Katastrophe hätte vermieden werden können – wenn Ingenieure frühere Warnzeichen nicht ignoriert hätten. Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht, den die US-Raumfahrtbehörde Nasa am Mittwoch veröffentlicht hat.



Luca Parmitano bei einem Gesundheitstest. Verganenes Jahr wäre er fast ums Leben gekommen, da sich sein Raumanzug mit Wasser füllte.

Demnach hatte sich Parmitano bereits 44 Minuten lang außerhalb der Internationalen Raumstation ISS aufgehalten, als er Flüssigkeit an seinem Hinterkopf bemerkte. Die Bodencrew ging von einer Fehlfunktion des Trinkbeutels aus – ein vermeintlich altbekanntes Problem, das nie schlimmere Folgen gehabt hatte. Parmitano machte unbeeindruckt weiter. Als sich jedoch immer mehr Flüssigkeit im Helm ansammelte, entschloss sich die Bodenkontrolle, den Ausstieg abzubrechen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Wasser, das in der Schwerelosigkeit in großen Blasen im Raumanzug herum wabert, bereits über Parmitanos Nase, Mund, Ohren und Augen gelegt. Der Italiener bekam Probleme beim Atmen, er konnte sich nur noch blind zur Luftschleuse zurück hangeln, seine Funkverbindung hatte Aussetzer. Im Innern der Station mussten die anderen Astronauten Parmitano schnellstmöglich aus seinem defekten Anzug befreien. Videobilder der Nasa zeigten einen sichtlich mitgenommenen Astronauten.

„Von allen Problemen, die bislang bei Außeneinsätzen aufgetreten sind, war das wohl das gravierendste“, sagt Christopher Hansen, ISS-Technikchef bei der Nasa und Leiter des Untersuchungsausschusses. „Mir sind zumindest keine anderen Zwischenfälle bekannt, von denen eine ähnlich große Gefahr ausging.“ Gemeinsam mit vier Kollegen hat Hansen am Mittwoch die vorläufigen Ergebnisse seiner Nachforschungen vorgestellt. Der 222 Seiten umfassende Bericht stellt der Nasa kein gutes Zeugnis aus.

Verstopfte Löcher im Pumpensystem des wassergekühlten Raumanzugs führten demnach dazu, dass die Flüssigkeit nicht abfließen konnte. Sie staute sich, geriet ins Lüftungssystem und entwich ins Innere des Anzugs; am Ende von Parmitanos Ausstieg hatten sich 1,5 Liter Wasser im Helm angesammelt. Hansen räumt ein, dass das Problem unerwartet und schwer zu erkennen war. Selbst der Untersuchungsausschuss brauchte Wochen, um die Ursache des Austritts zu ermitteln.

Unverzeihlich ist in den Augen des Chefermittlers allerdings, dass das gleiche Problem bereits eine Woche zuvor bei einem früheren Einsatz Parmitanos aufgetreten und weitgehend ignoriert worden war. Schon damals klagte der Astronaut über Wasser im Anzug, und schon da hatte es die Bodencrew auf Probleme mit dem Trinkbeutel geschoben: Kleine Mengen Flüssigkeit wurden schlichtweg als normal angesehen. Eine offizielle Fehlersuche blieb aus. Diese hätte nur dazu geführt, dass die reguläre Experimentiertätigkeit auf der Raumstation liegen geblieben wäre; außerdem hätte sie der Bodencrew viel bürokratische Arbeit beschert.

„Es ist einerseits verständlich, dass der Trinkbeutel von den Teams als wahrscheinlichste Fehlerquelle betrachtet worden ist“, sagt William Gerstenmaier, Nasa-Direktor für die bemannte Raumfahrt. „Doch gerade bei uns vertrauten Systemen müssen wir stets tiefer und tiefer nach möglichen Fehlern graben.“ Sein Chef, Nasa-Administrator Charles Bolden, wird noch deutlicher: In einem Brief an die Mitarbeiter beklagt er die fehlende Sicherheitskultur, die zu dem Vorfall beigetragen hat. „In unserem Überschwang, die Arbeit zu erledigen, haben wir kleinere Unregelmäßigkeiten offensichtlich akzeptiert“, schreibt er. „Wir haben aber die Verpflichtung, ungewöhnliche Situationen niemals abzuhaken, bevor wir sie nicht vollständig verstanden haben und künftig verhindern können.” Genau dieses Verhalten hatte in der Geschichte der Nasa bereits mehrmals zu Katastrophen geführt – zuletzt vor elf Jahren, als Probleme mit dem Hitzeschutz des Shuttles ignoriert wurden und zum Absturz der Raumfähre Columbia führten.

Auch die eigentliche Ursache von Parmitanos Problem ist nicht abschließend geklärt. Noch immer kann die US-Raumfahrtbehörde nicht sagen, woher das Aluminiumsilikat kam, das die Löcher im Anzug verstopft hat. Spätestens im Juli, wenn der nächste Ausstieg ansteht, wollen die Nasa-Ingenieure diese Frage allerdings geklärt haben. Dann wird höchstwahrscheinlich auch der deutsche Astronaut Alexander Gerst an Bord der ISS sein, der aktuell bereits für seinen ersten Außeneinsatz trainiert.

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