Für die Verteidigung unserer Sprache. So steht es auf dem großen Spruchband, hinter dem Hunderte Personen durch die Innenstadt von Barcelona marschieren. In seltener Einigkeit versammeln sich Lehrer mehrerer Gymnasien der Region, Schüler und auch deren Eltern, die das Katalanische schützen wollen. Plakate zeigen einen glatzköpfigen Dracula, einen zähnefletschenden Bullterrier. Beide sollen Bildungsminister Ignacio Wert von der konservativen Zentralregierung in Madrid darstellen. Denn dieser hat ein Reformprogramm vorgelegt, das die Bildungsmisere im Land beseitigen soll. Dass dies Not tut, dafür sprechen die schlechten Ergebnisse spanischer Schüler bei den Pisa-Tests.
Pro-katalanische Demonstration in Sant Feliu bei Barcelona
Für die Industrie- und Touristikregion in der nordöstlichen Ecke der Iberischen Halbinsel hat sich Wert etwas Besonderes einfallen lassen: Er will das Schulsystem „hispanisieren“, der spanisch-kastilischen Sprache wieder mehr Geltung verschaffen, weil sie nach seiner Meinung gegenüber dem Katalanischen ins Hintertreffen geraten sei. So hat er angeordnet, dass ein Viertel der Schulen in der Region rein spanischsprachig sein soll. Die Zahlen scheinen ihn zu stützen: Nicht mal die Hälfte der 7,5 Millionen Einwohner der Region gibt als Muttersprache Katalanisch an, eine eigenständige romanische Sprache, die auf das im Frühmittelalter gesprochene Vulgärlatein zurückgeht. Die Unterschiede sind etwa vergleichbar mit denen zwischen Hochdeutsch und Niederländisch. In Madrid versteht man kein Katalanisch, das unter dem 1975 gestorbenen Diktator Franco im öffentlichen Raum sogar verboten war.
Doch nicht nur die Erinnerung an die düstere Franco-Zeit hat zuletzt Zehntausende gegen Wert auf die Straße gebracht, keineswegs nur in Katalonien, auch auf den Balearen, wo ebenfalls Katalanisch gesprochen wird. Vielmehr richten sich die Proteste auch „gegen die blanke Unvernunft“ der Zentralregierung, wie es Muriel Casals nennt, Wirtschaftsprofessorin an der Autonomen Universität Barcelona. Madrid möchte nach ihren Worten ein überaus bewährtes System beschneiden, die „Immersion“. Das lateinische Wort, das „Einbetten“ bedeutet, steht für das Grundprinzip der Schulen in Katalonien: Kinder mit Spanisch als Muttersprache besuchen Schulen, in denen das Gros des Unterrichts auf Katalanisch stattfindet – und umgekehrt. Das System, das auf eine komplette zweisprachige Schulbildung hinausläuft, orientiert sich an der überwiegend französischsprachigen Provinz Quebec im sonst englischsprachig geprägten Kanada.
Die Immersion war in Katalonien bis zum Vorstoß Werts nahezu unumstritten, nach einer Umfrage von 2012 halten vier Fünftel der Einwohner das System für richtig. Auch die Mehrheit der spanischsprachigen Familien, darunter Hunderttausende Zuwanderer aus den ärmeren Regionen im Süden, verstanden, dass die Zweisprachigkeit die Chancen ihrer Kinder erheblich erhöht. Doch macht Muriel Casals, die sich als Wissenschaftlerin mit dem Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und Berufsperspektiven befasst, immer wieder eine kuriose Feststellung: Die Mehrheit der Spanier außerhalb Kataloniens ist fest davon überzeugt, dass die „nationalistischen Separatisten“ in Barcelona systematisch das kastilische Spanisch unterdrücken. „Das ist schlicht falsch“, sagt sie und verweist auf das Autonomiestatut der Region. Dort steht ganz eindeutig zu Spanisch und Katalanisch: „Jeder Einzelne hat das Recht, die beiden offiziellen Sprachen zu benutzen, und die Bürger haben das Recht und die Pflicht, sie zu beherrschen.“
Als Argument gegen die vom Bildungsminister geforderte „Hispanisierung“ führen die Katalanen die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Tests an: Die Zweisprachigkeit führt demnach in allen Fächern – von Mathematik über Geografie bis zu Fremdsprachen – zu besseren Leistungen als die rein spanischsprachige Ausbildung; durchweg liegt Katalonien gar über dem europäischen Durchschnitt, Spanien insgesamt meist darunter. Der Hit dabei, über den die Medien in Barcelona mit einer Mischung aus Triumph und Ironie berichtet haben: Auch bei den Tests zum Lese- und Hörverständnis im Fach Spanisch lagen die Schüler mit überwiegend katalanischsprachigem Unterricht vor dem Rest des Landes, dessen Schüler nur auf Spanisch unterrichtet wird. Was auf den ersten Blick paradox aussieht, ist für Experten kaum überraschend – weil vom Kindesalter an kognitive Fähigkeiten doppelt gefördert würden.
Allerdings trüben auch bei manchen katalanischen Protestlern die Emotionen den Blick für die Fakten. So wird Wert vorgeworfen, er wolle zur Einsprachigkeit der Franco-Zeit zurückkehren. Der Minister hält dem entgegen: „Das Gegenteil ist richtig.“ Ihm schwebe für Katalonien und die Balearen ein dreisprachiges Schulsystem vor, der Unterricht solle zu je einem Drittel auf Spanisch, auf Katalanisch und auf Englisch stattfinden. Woher aber die Fachlehrer kommen sollen, die auch Naturwissenschaften auf Englisch unterrichten könnten, hat er nicht erklärt. Derzeit jedenfalls hat der Staat kein Geld für neue Ausbildungsgänge an Universitäten und für Lehrerstellen, im Gegenteil: Es wird angesichts der Verschuldung kräftig gespart. So bleibt aus der Sicht der Demonstranten an der Costa Brava, auf Mallorca und Ibiza nur Werts Versuch übrig, das Katalanische zu beschneiden. Und das sieht für sie vor allem aus wie ein Angriff auf ihre Kultur.
Pro-katalanische Demonstration in Sant Feliu bei Barcelona
Für die Industrie- und Touristikregion in der nordöstlichen Ecke der Iberischen Halbinsel hat sich Wert etwas Besonderes einfallen lassen: Er will das Schulsystem „hispanisieren“, der spanisch-kastilischen Sprache wieder mehr Geltung verschaffen, weil sie nach seiner Meinung gegenüber dem Katalanischen ins Hintertreffen geraten sei. So hat er angeordnet, dass ein Viertel der Schulen in der Region rein spanischsprachig sein soll. Die Zahlen scheinen ihn zu stützen: Nicht mal die Hälfte der 7,5 Millionen Einwohner der Region gibt als Muttersprache Katalanisch an, eine eigenständige romanische Sprache, die auf das im Frühmittelalter gesprochene Vulgärlatein zurückgeht. Die Unterschiede sind etwa vergleichbar mit denen zwischen Hochdeutsch und Niederländisch. In Madrid versteht man kein Katalanisch, das unter dem 1975 gestorbenen Diktator Franco im öffentlichen Raum sogar verboten war.
Doch nicht nur die Erinnerung an die düstere Franco-Zeit hat zuletzt Zehntausende gegen Wert auf die Straße gebracht, keineswegs nur in Katalonien, auch auf den Balearen, wo ebenfalls Katalanisch gesprochen wird. Vielmehr richten sich die Proteste auch „gegen die blanke Unvernunft“ der Zentralregierung, wie es Muriel Casals nennt, Wirtschaftsprofessorin an der Autonomen Universität Barcelona. Madrid möchte nach ihren Worten ein überaus bewährtes System beschneiden, die „Immersion“. Das lateinische Wort, das „Einbetten“ bedeutet, steht für das Grundprinzip der Schulen in Katalonien: Kinder mit Spanisch als Muttersprache besuchen Schulen, in denen das Gros des Unterrichts auf Katalanisch stattfindet – und umgekehrt. Das System, das auf eine komplette zweisprachige Schulbildung hinausläuft, orientiert sich an der überwiegend französischsprachigen Provinz Quebec im sonst englischsprachig geprägten Kanada.
Die Immersion war in Katalonien bis zum Vorstoß Werts nahezu unumstritten, nach einer Umfrage von 2012 halten vier Fünftel der Einwohner das System für richtig. Auch die Mehrheit der spanischsprachigen Familien, darunter Hunderttausende Zuwanderer aus den ärmeren Regionen im Süden, verstanden, dass die Zweisprachigkeit die Chancen ihrer Kinder erheblich erhöht. Doch macht Muriel Casals, die sich als Wissenschaftlerin mit dem Zusammenhang zwischen Sprachkompetenz und Berufsperspektiven befasst, immer wieder eine kuriose Feststellung: Die Mehrheit der Spanier außerhalb Kataloniens ist fest davon überzeugt, dass die „nationalistischen Separatisten“ in Barcelona systematisch das kastilische Spanisch unterdrücken. „Das ist schlicht falsch“, sagt sie und verweist auf das Autonomiestatut der Region. Dort steht ganz eindeutig zu Spanisch und Katalanisch: „Jeder Einzelne hat das Recht, die beiden offiziellen Sprachen zu benutzen, und die Bürger haben das Recht und die Pflicht, sie zu beherrschen.“
Als Argument gegen die vom Bildungsminister geforderte „Hispanisierung“ führen die Katalanen die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Tests an: Die Zweisprachigkeit führt demnach in allen Fächern – von Mathematik über Geografie bis zu Fremdsprachen – zu besseren Leistungen als die rein spanischsprachige Ausbildung; durchweg liegt Katalonien gar über dem europäischen Durchschnitt, Spanien insgesamt meist darunter. Der Hit dabei, über den die Medien in Barcelona mit einer Mischung aus Triumph und Ironie berichtet haben: Auch bei den Tests zum Lese- und Hörverständnis im Fach Spanisch lagen die Schüler mit überwiegend katalanischsprachigem Unterricht vor dem Rest des Landes, dessen Schüler nur auf Spanisch unterrichtet wird. Was auf den ersten Blick paradox aussieht, ist für Experten kaum überraschend – weil vom Kindesalter an kognitive Fähigkeiten doppelt gefördert würden.
Allerdings trüben auch bei manchen katalanischen Protestlern die Emotionen den Blick für die Fakten. So wird Wert vorgeworfen, er wolle zur Einsprachigkeit der Franco-Zeit zurückkehren. Der Minister hält dem entgegen: „Das Gegenteil ist richtig.“ Ihm schwebe für Katalonien und die Balearen ein dreisprachiges Schulsystem vor, der Unterricht solle zu je einem Drittel auf Spanisch, auf Katalanisch und auf Englisch stattfinden. Woher aber die Fachlehrer kommen sollen, die auch Naturwissenschaften auf Englisch unterrichten könnten, hat er nicht erklärt. Derzeit jedenfalls hat der Staat kein Geld für neue Ausbildungsgänge an Universitäten und für Lehrerstellen, im Gegenteil: Es wird angesichts der Verschuldung kräftig gespart. So bleibt aus der Sicht der Demonstranten an der Costa Brava, auf Mallorca und Ibiza nur Werts Versuch übrig, das Katalanische zu beschneiden. Und das sieht für sie vor allem aus wie ein Angriff auf ihre Kultur.