Zorn und Bewunderung wohnen nahe beieinander in diesen angespannten Tagen, so hat es Adam Michnik treffend zusammengefasst. Der Chefredakteur der Zeitung Gazeta Wyborcza ist nicht zum ersten Mal derjenige, der in einer Krisensituation am klarsten und am differenziertesten artikuliert, woher im neuen, demokratischen Polen der Wind weht. Bewunderung für die tapferen Ukrainer und Zorn auf „die imperiale Aggression der großrussischen Politik“ – das ist seit der russischen Militärintervention auf der Halbinsel Krim die allgemeine Stimmung.
Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg sieht historische Parallelen
Wie ihre Nachbarn in Tschechien und in den drei baltischen Staaten verfolgen die Polen das Geschehen in der Ukraine mit großer Nervosität. Kaum ein Treffen unter Familienangehörigen oder Freunden, bei dem nicht die ängstliche Frage aufkäme, ob die von Wladimir Putin ausgelöste Eskalation am Ende auch für Polen Krieg bedeuten könnte.
Die politischen Führer des Landes sehen das genau so, das zeigt der Vorstoß von Staatspräsident Bronisław Komorowski, der gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrages den Nato-Rat in Brüssel zu einer „Konsulation“ einberief – ein dringliches Signal an die Partner, dass man von einer ernsten Gefahr für die kollektive Sicherheit ausgeht. Außenminister Radosław Sikorski erläuterte, woher die polnischen Besorgnisse rührten: „Wir wissen, dass das Raubtier durch das Fressen immer noch mehr Appetit bekommt.“
„Putin droht mit Krieg“, schrieb die Zeitung Rzeczpospolita. Und Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak sah sich am Dienstag veranlasst, Gerüchte zu dementieren, wonach die Armee bereits mobilisiere: „In der gegenwärtigen Situation gibt es keine Gründe, die polnischen Armee-Einheiten in einen höheren Grad der Kampfbereitschaft zu versetzen.“
Dass überhaupt davon die Rede ist, zeigt das Ausmaß der Besorgnis, dem auch Ministerpräsident Donald Tusk Tag um Tag sehr entschieden Ausdruck verleiht. Schon am Sonntag hatte der liberal-konservative Regierungschef die Chefs der im Parlament vertretenen Parteien zur Beratung in seine Kanzlei geladen, und alle waren gekommen, sogar der nationalkatholische Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, der solche Treffen in weniger brenzligen Zeiten zu schwänzen pflegt.
Man spreche „mit einer Stimme“, verkündete der Premier anschließend. „Polen darf seine Interessen keiner Gefahr aussetzen, es muss rational und vorsichtig vorgehen“, sagte er. „Gleichzeitig müssen wir, weil es hier um unsere Sicherheit und unsere strategischen Interessen geht, diejenigen sein, die der Welt nicht erlauben, sich von der Ukraine abzuwenden. Hier geht es für Polen um Sein oder Nichtsein. Wenn wir uns gemeinschaftlich organisieren können und ein relevanter Teil unserer Gemeinschaft sind, dann werden wir sicher sein. Wir dürfen nicht alleine bleiben gegenüber den Bedrohungen, welche sich hinter unserer Ostgrenze entwickeln.“
Weit über das gemeinsame Vorgehen der EU hinaus will Polen auch zusätzliche eigene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören nach den Worten des Ministerpräsidenten die beschleunigte Modernisierung der Armee und verstärkte Anstrengungen zur Überwindung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. „Dieser Konflikt wird Auswirkungen auf die polnische Wirtschaft haben“, sagte Tusk.
Im Nachbarland Tschechien beurteilt man das ähnlich. Der neue Verteidigungsminister Martin Stropnicky sieht auf dem Feld der Ökonomie sogar einen Hebel, auf Russland Druck auszuüben. Der frühere Schauspieler und Diplomat, der für die Protestbewegung ANO des Unternehmers Andrej Babiš ins Parlament und ins Kabinett kam, brachte den geplanten Ausbau des südböhmischen Atomkraftwerkes Temelin ins Spiel.
Um die Ausführung bewerben sich die japanisch-amerikanische Firma Westinghouse und ein Konsortium unter Führung der Moskauer Staatsfirma Rosatom. Stropnicky sagte, er könne sich schwer vorstellen, dass russische Firmen den Auftrag für die Errichtung zweier zusätzlicher Reaktoren erhalten könnten, da Russland jetzt die Gruppe der berechenbaren Länder verlassen habe.
Der sozialdemokratische Minister Jiři Dienstbier, zuständig für Menschenrechte, pflichtete ihm bei: „Ein Land, das in der auswärtigen Politik von militärischer Aggression Gebrauch macht, ist ein Sicherheitsrisiko für die Tschechische Republik.“ Ministerpräsident Bohuslav Sobotka freilich bremste den Vorstoß gleich ab. „Man darf von uns nicht erwarten, dass wir über der Krim-Krise alle unsere Brücken niederbrennen und all unsere Handelsbeziehungen mit Russland aufgeben“, sagte er. „Das wäre sehr unklug.“
In Tschechien beschwört die Krise übelste Erinnerungen herauf. Staatspräsident Miloš Zeman zog einen Vergleich mit der Invasion der Sowjetunion und anderer kommunistischer Staaten 1968 in der Tschechoslowakei, mit welcher der Prager Frühlings abgewürgt worden war, eine Bürgerbewegung für freie Wahlen und eine Emanzipation von Moskau. Senatspräsident Milan Stech und der frühere Außenminister Karel Schwarzenberg fühlten sich gar an das Jahr 1938 erinnert, als Adolf Hitler durch brutalen Druck und diplomatischen Theaterdonner den Anschluss der Sudetengebiete an Deutschland erzwang und dann 1939 die Wehrmacht auch in die von den Nazis abfällig sogenannte Rest-Tschechei einmarschieren ließ.
Wenn Hitler ein fremdes Gebiet besetzen wollte, habe er „immer erklärt, dass er die dortigen Deutschen schützen müsse“, sagte Schwarzenberg. Ein ähnliches Argument hatte nun Putins Regierung mit Blick auf die Krim bemüht: Die dortigen russischsprachigen und russischstämmigen Menschen müssten gegen „radikale Nationalisten“ verteidigt werden.
Historische Traumata gleicher Art werden auch in Polen und den baltischen Staaten wieder lebendig, die in der Geschichte noch härter gelitten haben. Dort war dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 nach gut zwei Wochen der Einmarsch der Sowjetarmee aus Osten gefolgt, Hitler und Stalin hatten sich zuvor auf eine Aufteilung Polens und der Nachbarregionen verständigt. 1940 folgte die Besetzung Litauens, Lettlands und Estlands durch die Rote Armee – auch damals vom Kreml „mit brüderlicher Hilfe“ begründet, wie Adam Michnik jetzt in der Gazeta Wyborcza spottete. Genau wie in Ungarn 1956 und in Afghanistan 1979, so Michnik weiter. Oder wie 1920 im russisch-polnischen Krieg und 1939 in Ostpolen. Und vorher schon in der Epoche der Zarin Katharina der Großen und der polnischen Teilungen. „Russland hat Polen noch nie überfallen, sondern ist immer nur einer nationalen oder religiösen Minderheit „zu Hilfe gekommen‘“, erklärte Außenminister Radosław Sikorski.
Auch im Baltikum hatte die Krise eine Serie von Sitzungen zur Folge, so tagte am Dienstag in Riga beim lettischen Präsidenten Andris Bērziņš der nationale Sicherheitsrat. Gemeinsam mit der Premierministerin, der Parlamentspräsidentin und dem Außenminister hatte Bērziņš schon am Samstag das Vorgehen Russlands als „schwere Verletzung des internationalen Rechts und direkten Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates“ kritisiert.
Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite versammelte ebenfalls die politischen Führer um sich und sagte anschließend, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. „Wir alle in der EU und der Nato schätzen die Situation gleich ein, sie ist beklagenswert.“ Der estnische Ministerpräsident Andres Ansip, der übrigens am Dienstag wie geplant zurücktrat und sein Amt mit dem estnischen EU-Kommissar Siim Kallas tauschen will, mahnte seine Landsleute zur Ruhe: „Estland ist Mitglied der Nato und der EU und steht unter keiner direkten militärischen Bedrohung. Die Leute brauchen sich keine Sorgen zu machen.“
Der tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg sieht historische Parallelen
Wie ihre Nachbarn in Tschechien und in den drei baltischen Staaten verfolgen die Polen das Geschehen in der Ukraine mit großer Nervosität. Kaum ein Treffen unter Familienangehörigen oder Freunden, bei dem nicht die ängstliche Frage aufkäme, ob die von Wladimir Putin ausgelöste Eskalation am Ende auch für Polen Krieg bedeuten könnte.
Die politischen Führer des Landes sehen das genau so, das zeigt der Vorstoß von Staatspräsident Bronisław Komorowski, der gemäß Artikel 4 des Nato-Vertrages den Nato-Rat in Brüssel zu einer „Konsulation“ einberief – ein dringliches Signal an die Partner, dass man von einer ernsten Gefahr für die kollektive Sicherheit ausgeht. Außenminister Radosław Sikorski erläuterte, woher die polnischen Besorgnisse rührten: „Wir wissen, dass das Raubtier durch das Fressen immer noch mehr Appetit bekommt.“
„Putin droht mit Krieg“, schrieb die Zeitung Rzeczpospolita. Und Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak sah sich am Dienstag veranlasst, Gerüchte zu dementieren, wonach die Armee bereits mobilisiere: „In der gegenwärtigen Situation gibt es keine Gründe, die polnischen Armee-Einheiten in einen höheren Grad der Kampfbereitschaft zu versetzen.“
Dass überhaupt davon die Rede ist, zeigt das Ausmaß der Besorgnis, dem auch Ministerpräsident Donald Tusk Tag um Tag sehr entschieden Ausdruck verleiht. Schon am Sonntag hatte der liberal-konservative Regierungschef die Chefs der im Parlament vertretenen Parteien zur Beratung in seine Kanzlei geladen, und alle waren gekommen, sogar der nationalkatholische Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, der solche Treffen in weniger brenzligen Zeiten zu schwänzen pflegt.
Man spreche „mit einer Stimme“, verkündete der Premier anschließend. „Polen darf seine Interessen keiner Gefahr aussetzen, es muss rational und vorsichtig vorgehen“, sagte er. „Gleichzeitig müssen wir, weil es hier um unsere Sicherheit und unsere strategischen Interessen geht, diejenigen sein, die der Welt nicht erlauben, sich von der Ukraine abzuwenden. Hier geht es für Polen um Sein oder Nichtsein. Wenn wir uns gemeinschaftlich organisieren können und ein relevanter Teil unserer Gemeinschaft sind, dann werden wir sicher sein. Wir dürfen nicht alleine bleiben gegenüber den Bedrohungen, welche sich hinter unserer Ostgrenze entwickeln.“
Weit über das gemeinsame Vorgehen der EU hinaus will Polen auch zusätzliche eigene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören nach den Worten des Ministerpräsidenten die beschleunigte Modernisierung der Armee und verstärkte Anstrengungen zur Überwindung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. „Dieser Konflikt wird Auswirkungen auf die polnische Wirtschaft haben“, sagte Tusk.
Im Nachbarland Tschechien beurteilt man das ähnlich. Der neue Verteidigungsminister Martin Stropnicky sieht auf dem Feld der Ökonomie sogar einen Hebel, auf Russland Druck auszuüben. Der frühere Schauspieler und Diplomat, der für die Protestbewegung ANO des Unternehmers Andrej Babiš ins Parlament und ins Kabinett kam, brachte den geplanten Ausbau des südböhmischen Atomkraftwerkes Temelin ins Spiel.
Um die Ausführung bewerben sich die japanisch-amerikanische Firma Westinghouse und ein Konsortium unter Führung der Moskauer Staatsfirma Rosatom. Stropnicky sagte, er könne sich schwer vorstellen, dass russische Firmen den Auftrag für die Errichtung zweier zusätzlicher Reaktoren erhalten könnten, da Russland jetzt die Gruppe der berechenbaren Länder verlassen habe.
Der sozialdemokratische Minister Jiři Dienstbier, zuständig für Menschenrechte, pflichtete ihm bei: „Ein Land, das in der auswärtigen Politik von militärischer Aggression Gebrauch macht, ist ein Sicherheitsrisiko für die Tschechische Republik.“ Ministerpräsident Bohuslav Sobotka freilich bremste den Vorstoß gleich ab. „Man darf von uns nicht erwarten, dass wir über der Krim-Krise alle unsere Brücken niederbrennen und all unsere Handelsbeziehungen mit Russland aufgeben“, sagte er. „Das wäre sehr unklug.“
In Tschechien beschwört die Krise übelste Erinnerungen herauf. Staatspräsident Miloš Zeman zog einen Vergleich mit der Invasion der Sowjetunion und anderer kommunistischer Staaten 1968 in der Tschechoslowakei, mit welcher der Prager Frühlings abgewürgt worden war, eine Bürgerbewegung für freie Wahlen und eine Emanzipation von Moskau. Senatspräsident Milan Stech und der frühere Außenminister Karel Schwarzenberg fühlten sich gar an das Jahr 1938 erinnert, als Adolf Hitler durch brutalen Druck und diplomatischen Theaterdonner den Anschluss der Sudetengebiete an Deutschland erzwang und dann 1939 die Wehrmacht auch in die von den Nazis abfällig sogenannte Rest-Tschechei einmarschieren ließ.
Wenn Hitler ein fremdes Gebiet besetzen wollte, habe er „immer erklärt, dass er die dortigen Deutschen schützen müsse“, sagte Schwarzenberg. Ein ähnliches Argument hatte nun Putins Regierung mit Blick auf die Krim bemüht: Die dortigen russischsprachigen und russischstämmigen Menschen müssten gegen „radikale Nationalisten“ verteidigt werden.
Historische Traumata gleicher Art werden auch in Polen und den baltischen Staaten wieder lebendig, die in der Geschichte noch härter gelitten haben. Dort war dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 nach gut zwei Wochen der Einmarsch der Sowjetarmee aus Osten gefolgt, Hitler und Stalin hatten sich zuvor auf eine Aufteilung Polens und der Nachbarregionen verständigt. 1940 folgte die Besetzung Litauens, Lettlands und Estlands durch die Rote Armee – auch damals vom Kreml „mit brüderlicher Hilfe“ begründet, wie Adam Michnik jetzt in der Gazeta Wyborcza spottete. Genau wie in Ungarn 1956 und in Afghanistan 1979, so Michnik weiter. Oder wie 1920 im russisch-polnischen Krieg und 1939 in Ostpolen. Und vorher schon in der Epoche der Zarin Katharina der Großen und der polnischen Teilungen. „Russland hat Polen noch nie überfallen, sondern ist immer nur einer nationalen oder religiösen Minderheit „zu Hilfe gekommen‘“, erklärte Außenminister Radosław Sikorski.
Auch im Baltikum hatte die Krise eine Serie von Sitzungen zur Folge, so tagte am Dienstag in Riga beim lettischen Präsidenten Andris Bērziņš der nationale Sicherheitsrat. Gemeinsam mit der Premierministerin, der Parlamentspräsidentin und dem Außenminister hatte Bērziņš schon am Samstag das Vorgehen Russlands als „schwere Verletzung des internationalen Rechts und direkten Eingriff in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates“ kritisiert.
Die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite versammelte ebenfalls die politischen Führer um sich und sagte anschließend, man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. „Wir alle in der EU und der Nato schätzen die Situation gleich ein, sie ist beklagenswert.“ Der estnische Ministerpräsident Andres Ansip, der übrigens am Dienstag wie geplant zurücktrat und sein Amt mit dem estnischen EU-Kommissar Siim Kallas tauschen will, mahnte seine Landsleute zur Ruhe: „Estland ist Mitglied der Nato und der EU und steht unter keiner direkten militärischen Bedrohung. Die Leute brauchen sich keine Sorgen zu machen.“