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„Berlin is over“

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Das Zentrum Berlins liegt dieser Tage im Westen. Gelb und blau angestrahlt leuchtet der Funkturm nachts von Weitem, als wolle er sagen, wo man hinmuss. Ins Messezentrum ICC nämlich, wo an diesem Mittwoch die Internationale Tourismusbörse (ITB) eröffnet wird, die größte Reisemesse der Welt.



Bei der ITB geht es auch um die Zukunft des Berlin-Tourismus

170000 Besucher werden in den zugigen Hallen unterwegs sein, die immer etwas von geschäftigen Flughafenterminals haben, die in Berlin nie fertig gebaut werden. Für die Berliner, die jedes Jahr in Massen herbeiströmen, ist die ITB so etwas wie Verreisen in der eigenen Stadt. Man sieht Leute aus anderen Ländern, erfährt, wie es bei ihnen zugeht, was sie umtreibt – und muss trotzdem nicht raus aus Berlin.

Berlin und der Tourismus. Das ist ein kompliziertes, um nicht zu sagen: verkorkstes Verhältnis. Einerseits boomt der Tourismus in Berlin wie nie zuvor. Laut den Zahlen, die gerade herauskamen, erlebte die Stadt 2013 mit elf Millionen Besuchern und fast 27 Millionen Übernachtungen einen neuen Besucherrekord. Vor allem die jungen Touristen aus dem Ausland sind es, die es nach Berlin zieht, sie kommen aus Großbritannien, Italien, den USA. Der neue Sound Berlins, das ist das Geräusch der Rollkoffer.

Womit auch schon das Problem angesprochen wäre. Die Berliner lassen sich von denen, die Geld in ihre Stadt bringen – 10,3 Milliarden Euro Bruttoumsatz waren es 2011 – einfach so ungern stören. Wollen, wie die Grünen in Kreuzberg, keine neuen Hotels mehr zulassen, kleben Plakate, auf denen „Touristen“ steht und daneben ein durchgestrichenes Herz. Selbst der Reiseführer „Lonely Planet“ weist schon darauf hin, dass man als Tourist lieber nicht laut und in Schwärmen durch die Berliner Kneipen zieht, weil man dann sonst „seinen Teil“ der Berliner „Frustration“ abbekäme.

Manche sagen, dass das mit der Mauerzeit zu tun hat, als der Berliner Westen für sich und alles andere egal war. So wie im Roman „Herr Lehmann“ von Sven Regener, in dem die Kreuzberger Protagonisten eigentlich nur ungestört in ihren Kneipen sitzen wollen. Und nicht mal von ihrem Bier hochgucken, als eines Tages einer reinkommt und sagt: „Die Mauer ist offen.“ Man will einfach so ungern, dass es so wird wie anderswo.

Nur wie wo? Wie in Brooklyn? Das ist Berlin schon jetzt, zumindest wenn es nach der New York Times geht, dem Leitmedium für den Berlin-Hype. Der neueste Artikel heißt „Brooklyn an der Spree“, und es geht darum, dass Berlin das neue Brooklyn sei, beziehungsweise das alte Brooklyn, jenes Künstler-Biotop, das es in den Sechzigern und Siebzigern mal war. Ein Paradies für Amerikaner, von denen jedes Jahr 150000 als Touristen nach Berlin kommen und sehr viele für immer bleiben – heute sind es doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die Amerikaner finden sich interessanterweise in derselben Situation wieder wie die Berliner: Sie bleiben am liebsten unter sich. Das ist auch gut möglich in den Clubs und Bars von Kreuzberg, in denen sich, wie ein amerikanischer Besucher zitiert wird, die Partys anfühlen, „als sei hier ganz New York“. Außer es kommt mal ein deutscher Familienvater mit „T-Shirt und Bart“ hereingeschneit und fragt, ob es hier Ecstasy gibt, die Kinder seien schließlich in den Ferien auf dem Land. Das sei der Moment, in dem die Amerikaner feststellen würden: „Honey, wir sind ja gar nicht in Kansas.“

Auch das amerikanische Magazin Rolling Stone feiert in einem neuen Artikel Berlin als Idealort des Stillstands, in dem es keine Mietsorgen und kein Morgen gibt. Am Beispiel des berühmten Techno-Clubs Berghain wird die „geschlossene Welt“ gepriesen, in der man drei Tage lang hintereinander unter sich sein kann. Allerdings muss auch der Rolling Stone feststellen, dass man selbst in Berlins „Anarcho-Bohème-Blase“ nicht ungestört sei mit Techno, Drogen und Sex. Als Besucher aus dem Ausland würde man nämlich mit der „völlig überzogenen Arroganz“ der Berliner konfrontiert.

Weshalb das viel besuchte Internet-Portal Gawker, das die Welt des Lifestyle aus der Perspektive New Yorks betrachtet, vor einigen Tagen zu dem Schluss kam: Wenn Berlin das neue Brooklyn sei, dann heiße das nichts Gutes. Mit anderen Worten: „Berlin is over.“

Das Verhältnis zwischen Berlin und seinen Besuchern – es ist auch von der anderen Seite her kompliziert. Zumal die ersten jungen Leute aus Übersee die Stadt verlassen haben. Worüber sie ebenfalls in der New York Times schrieben. So rechnete der Musiker Robert Coleman 2012 mit der Stadt ab. Er habe sich dort in einem „Künstler-Paradox“ wiedergefunden: Das Kreativ-Leben, für das so viele nach Berlin kommen, lenke genau davon ab, nämlich kreativ zu sein. „Nach Berlin gekommen waren wir wegen des Lifestyles, doch genau dieser Lifestyle warf uns nun aus der Bahn. Berlin ruinierte uns.“

Und die Berliner? Wird es nicht stören. Solange sie nicht woanders hin müssen, außer einen Tag lang auf die Internationale Tourismusbörse.

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