Eine junge Frau steht vor einem Denkmal, das einem großen Schriftsteller gewidmet ist, dem Stolz der Nation. Da es sich bei der Nation um die sehr kleine und offensichtlich fiktive Republik Zubrowka handelt, irgendwo in Osteuropa, kann ihr Held schon mal ein Schriftsteller sein. „The Grand Budapest Hotel“, so heißt sein berühmter Roman. Das Denkmal, an dem lauter Schlüssel hängen, in verschiedensten Farben und Formen, erinnert daran, dass die Geschichte dieses Buches selbst wie ein Hotel ist, mit verschiedenen Zimmern, die man nach und nach aufschließen kann.
Sitzen fürchterlich: Tilda Swinton als Madame D. und Ralph Fiennes als Gustave H. in Andersons "Grand Hotel Budapest"
Diese vorzügliche Idee, mit der Wes Anderson seinen bislang besten Film beginnt, nimmt dessen Kompositionsprinzip schon vorweg. Als würden hier schon alle Schlüssel zu all den Entdeckungen, Erfindungen, Schätzen und Geheimnissen hängen, die Anderson in der großzügigen und luxuriösen Zimmer- und Szenenflucht dieses Hotelfilms versteckt hat.
Ähnlich hatte er den zuletzt gedrehten „Moonrise Kingdom“ mit einem Lehrstück von Benjamin Britten begonnen, in dem die einzelnen Teile eines Orchesters vorgestellt wurden. Andersons Filme sind symphonische Mosaike, die an geschlossenen Orten wie Inseln, Booten oder Zügen auseinander- und wieder zusammengebaut werden. Mit „Grand Budapest Hotel“ bastelt Anderson nun zum ersten Mal in seiner Filmografie ein Mosaik, das nicht mehr nur im Raum, sondern besonders in der Zeit funktioniert.
Die junge Frau am Denkmal liest also „heute“ das Buch, in dem der Autor (Jude Law) erzählt, wie er in den Sechzigerjahren im „Grand Budapest Hotel“ logiert, hoch in den Bergen, zur Entspannung. Das einst fröhliche, mondäne Haus führt im Sozialismus ein tristes Dasein: Im riesigen Speisesaal sitzt jeder einsam vor dem gigantischen, bedrückenden Wandteppich mit Gebirgspanorama. Bis der Schriftsteller eines Abends Gesellschaft vom Hotelbesitzer Mr. Moustafa (F. Murray Abraham) bekommt, der ihm die Geschichte des Hauses erzählt, in dem er einst als Lobby Boy begann, genannt Zero.
So reisen wir weiter zurück in die Vergangenheit, bis ins Jahr 1932. Es ist die Blütezeit des Hotels, die Zeit des legendären Concierges Monsieur Gustave, der den Stammgästen mit äußerster Diskretion alle nur denkbaren Wünsche erfüllt – besonders den weiblichen, besonders den älteren, und besonders im Bett; ein Genie der Liebesdienstleistung und der Dienstleistung aus Liebe, formvollendet-veredelt gespielt von Ralph Fiennes.
Zero, der Lobby Boy, wird sein Schüler werden, später sein Freund. Gemeinsam werden sie ein Abenteuer erleben, in dem es um ein wertvolles Gemälde geht, das eine wohlhabende Stammkundin, Mme D. (Tilda Swinton), nach ihrem Tod Monsieur Gustave vermacht hat, als Lohn für seine treuen Dienste. Weswegen Gustave und Zero bald von ihrem diabolischen Familienclan durch ganz Zubrowka gejagt werden.
Bald aber geraten M. Gustave und Zero – ein Flüchtling aus einem arabischen Land, seine Familie wurde massakriert – mit der sogenannten ZZ aneinander, in der klar die SS zu erkennen ist, und dann wird die „Preußische Grippe“ ausbrechen, der Zweite Weltkrieg. Es wird Leichen geben, abgehackte Köpfe, Exekutionen. Tarantinos „Inglourious Basterds“ folgend, konfrontiert Anderson hier sein im Stil eines Dandys entworfenes Phantasie-Universum mit der realen Geschichte. Um eine Gegengeschichte zu erzählen, die von Widerstand und Solidarität handelt.
Schon die Tiere in Andersons „Fantastic Mr. Fox“ und die Kinder in „Moonrise Kingdom“ mussten lernen, sich als Gemeinschaft gegen ihre Widersacher zu organisieren, den Bedrohten zu helfen und einen komplexen Plan in die Tat umzusetzen, der sich in der vielstimmigen Infrastruktur der Filme verbarg: Auch hier kommt Hilfe von Hoteliers, Gefängnisinsassen, Mönchen und einer Bäckerin. Vor allem aber scheint es nun das Kino selbst zu sein, das die Anleitung zur Revolte liefert.
Die Filmgeschichte ist sehr gegenwärtig in „Grand Budapest Hotel“. Die Zwischenkriegszeit filmt Anderson im damals typischen, heute fast verschwundenen quadratischen Filmformat, und Willem Dafoe gibt einen Killer à la Boris Karloff, der sein Opfer durch ein Museum jagt, eine Hommage an eine ähnliche Sequenz aus Alfred Hitchcocks „Blackmail“ von 1929.
Die Frage lautet also: Wie können wir uns des Kinos bedienen? Gerade Hitchcock, bei dem jedes Detail zum überraschenden Instrument in der Handlung werden kann, gibt da Orientierung. Die Schneeberge und Alpengipfel aus zart rosa Pappmaschee, das fein komponierte Dekor – sie sind den Törtchen vergleichbar, die im Film der Bäcker Mendl zaubert, und doch viel mehr als nur Retro-Schmuckstücke. Als M. Gustave im Gefängnis landet, werden in Mendls Konfekt die Feilen zu ihm geschmuggelt. Da die Wärter auf der Suche nach Ausbruchswerkzeug zwar Brote und Würste zerhacken, nicht aber Mendls Kunstwerke, erweisen diese sich als robuste, effektive Instrumente des Kampfes.
Der Ästhet Anderson hat also eine militante Agenda. Jedes kleinste Kopfdrehen, jeder Augenaufschlag ist genau organisiert, um ihn unzerstörbar zu machen. Gerade in dieser Konzentration zeigen seine visuellen Miniaturen aber auch das, was um sie herum fehlt. Da steht plötzlich eine Telefonzelle mitten in einer weiten Schneelandschaft, als würde sie nur erhellen, was um sie herum nicht mehr da ist.
Wie Anderson so die Arbeit der Zeit an dem zeigt, was dazu gemacht wurde, ihr zu widerstehen, also an seinen eigenen Erfindungen, ist genial. Die Welt von M. Gustave, sagt Zero/Mr. Moustafa am Ende, war schon untergegangen, als er sie betrat. Sie ist erfunden, hat nie existiert – was den Film weit über die Nostalgie eines Stefan Zweig hebt, dessen Texte Anderson als Inspiration im Abspann nennt.
Denn was erbt Zero am Ende mit dem Hotel? Null, zero – nichts als eine Legende, eine Erzählung. In der man nie ganz zu Hause sein kann, nur auf Durchreise, wenn man sie weitererzählt. Aber gerade durch die Erzählung wird diese Welt real. Sie adressiert sich ans Jetzt. Denn der Boden des Hotels ist rot, Wände und Fassade sind rosa – als wäre das der Farbverlauf der Geschichte, von unten nach oben verblassend, um, an der Spitze des Berges der Vergangenheit, die Gegenwart zu berühren.
Sitzen fürchterlich: Tilda Swinton als Madame D. und Ralph Fiennes als Gustave H. in Andersons "Grand Hotel Budapest"
Diese vorzügliche Idee, mit der Wes Anderson seinen bislang besten Film beginnt, nimmt dessen Kompositionsprinzip schon vorweg. Als würden hier schon alle Schlüssel zu all den Entdeckungen, Erfindungen, Schätzen und Geheimnissen hängen, die Anderson in der großzügigen und luxuriösen Zimmer- und Szenenflucht dieses Hotelfilms versteckt hat.
Ähnlich hatte er den zuletzt gedrehten „Moonrise Kingdom“ mit einem Lehrstück von Benjamin Britten begonnen, in dem die einzelnen Teile eines Orchesters vorgestellt wurden. Andersons Filme sind symphonische Mosaike, die an geschlossenen Orten wie Inseln, Booten oder Zügen auseinander- und wieder zusammengebaut werden. Mit „Grand Budapest Hotel“ bastelt Anderson nun zum ersten Mal in seiner Filmografie ein Mosaik, das nicht mehr nur im Raum, sondern besonders in der Zeit funktioniert.
Die junge Frau am Denkmal liest also „heute“ das Buch, in dem der Autor (Jude Law) erzählt, wie er in den Sechzigerjahren im „Grand Budapest Hotel“ logiert, hoch in den Bergen, zur Entspannung. Das einst fröhliche, mondäne Haus führt im Sozialismus ein tristes Dasein: Im riesigen Speisesaal sitzt jeder einsam vor dem gigantischen, bedrückenden Wandteppich mit Gebirgspanorama. Bis der Schriftsteller eines Abends Gesellschaft vom Hotelbesitzer Mr. Moustafa (F. Murray Abraham) bekommt, der ihm die Geschichte des Hauses erzählt, in dem er einst als Lobby Boy begann, genannt Zero.
So reisen wir weiter zurück in die Vergangenheit, bis ins Jahr 1932. Es ist die Blütezeit des Hotels, die Zeit des legendären Concierges Monsieur Gustave, der den Stammgästen mit äußerster Diskretion alle nur denkbaren Wünsche erfüllt – besonders den weiblichen, besonders den älteren, und besonders im Bett; ein Genie der Liebesdienstleistung und der Dienstleistung aus Liebe, formvollendet-veredelt gespielt von Ralph Fiennes.
Zero, der Lobby Boy, wird sein Schüler werden, später sein Freund. Gemeinsam werden sie ein Abenteuer erleben, in dem es um ein wertvolles Gemälde geht, das eine wohlhabende Stammkundin, Mme D. (Tilda Swinton), nach ihrem Tod Monsieur Gustave vermacht hat, als Lohn für seine treuen Dienste. Weswegen Gustave und Zero bald von ihrem diabolischen Familienclan durch ganz Zubrowka gejagt werden.
Bald aber geraten M. Gustave und Zero – ein Flüchtling aus einem arabischen Land, seine Familie wurde massakriert – mit der sogenannten ZZ aneinander, in der klar die SS zu erkennen ist, und dann wird die „Preußische Grippe“ ausbrechen, der Zweite Weltkrieg. Es wird Leichen geben, abgehackte Köpfe, Exekutionen. Tarantinos „Inglourious Basterds“ folgend, konfrontiert Anderson hier sein im Stil eines Dandys entworfenes Phantasie-Universum mit der realen Geschichte. Um eine Gegengeschichte zu erzählen, die von Widerstand und Solidarität handelt.
Schon die Tiere in Andersons „Fantastic Mr. Fox“ und die Kinder in „Moonrise Kingdom“ mussten lernen, sich als Gemeinschaft gegen ihre Widersacher zu organisieren, den Bedrohten zu helfen und einen komplexen Plan in die Tat umzusetzen, der sich in der vielstimmigen Infrastruktur der Filme verbarg: Auch hier kommt Hilfe von Hoteliers, Gefängnisinsassen, Mönchen und einer Bäckerin. Vor allem aber scheint es nun das Kino selbst zu sein, das die Anleitung zur Revolte liefert.
Die Filmgeschichte ist sehr gegenwärtig in „Grand Budapest Hotel“. Die Zwischenkriegszeit filmt Anderson im damals typischen, heute fast verschwundenen quadratischen Filmformat, und Willem Dafoe gibt einen Killer à la Boris Karloff, der sein Opfer durch ein Museum jagt, eine Hommage an eine ähnliche Sequenz aus Alfred Hitchcocks „Blackmail“ von 1929.
Die Frage lautet also: Wie können wir uns des Kinos bedienen? Gerade Hitchcock, bei dem jedes Detail zum überraschenden Instrument in der Handlung werden kann, gibt da Orientierung. Die Schneeberge und Alpengipfel aus zart rosa Pappmaschee, das fein komponierte Dekor – sie sind den Törtchen vergleichbar, die im Film der Bäcker Mendl zaubert, und doch viel mehr als nur Retro-Schmuckstücke. Als M. Gustave im Gefängnis landet, werden in Mendls Konfekt die Feilen zu ihm geschmuggelt. Da die Wärter auf der Suche nach Ausbruchswerkzeug zwar Brote und Würste zerhacken, nicht aber Mendls Kunstwerke, erweisen diese sich als robuste, effektive Instrumente des Kampfes.
Der Ästhet Anderson hat also eine militante Agenda. Jedes kleinste Kopfdrehen, jeder Augenaufschlag ist genau organisiert, um ihn unzerstörbar zu machen. Gerade in dieser Konzentration zeigen seine visuellen Miniaturen aber auch das, was um sie herum fehlt. Da steht plötzlich eine Telefonzelle mitten in einer weiten Schneelandschaft, als würde sie nur erhellen, was um sie herum nicht mehr da ist.
Wie Anderson so die Arbeit der Zeit an dem zeigt, was dazu gemacht wurde, ihr zu widerstehen, also an seinen eigenen Erfindungen, ist genial. Die Welt von M. Gustave, sagt Zero/Mr. Moustafa am Ende, war schon untergegangen, als er sie betrat. Sie ist erfunden, hat nie existiert – was den Film weit über die Nostalgie eines Stefan Zweig hebt, dessen Texte Anderson als Inspiration im Abspann nennt.
Denn was erbt Zero am Ende mit dem Hotel? Null, zero – nichts als eine Legende, eine Erzählung. In der man nie ganz zu Hause sein kann, nur auf Durchreise, wenn man sie weitererzählt. Aber gerade durch die Erzählung wird diese Welt real. Sie adressiert sich ans Jetzt. Denn der Boden des Hotels ist rot, Wände und Fassade sind rosa – als wäre das der Farbverlauf der Geschichte, von unten nach oben verblassend, um, an der Spitze des Berges der Vergangenheit, die Gegenwart zu berühren.