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Geheimsache Ekelfleisch

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Wäre die Sache mit den Ratten nicht gewesen – der Mexikaner, gelegen an einer Straßenecke in Brooklyn, hätte ein Stammlokal werden können. Doch ein Klick auf den interaktiven Hygiene-Stadtplan offenbarte, was städtische Kontrolleure in der Küche des Restaurants gefunden hatten: Dreck und Nagetiere, tote wie lebendige. Note C, eine Drei. Der Mexikaner hatte einen Kunden weniger. In New York kann Transparenz den Appetit verderben. In Deutschland wird den Menschen die Wahrheit aus Restaurant- und Imbiss-Küchen dagegen lieber nicht zugemutet. Die regelmäßige Veröffentlichung der Namen beanstandeter Betriebe ist der Albtraum deutscher Gastronomie-Lobbyisten. Sie warnen vor dem „Pranger“. Bisher meist mit Erfolg: Wirte und Lebensmittelverkäufer, die es mit der Hygiene nicht genau nehmen, bleiben unbekannt. Ob Ungeziefer, verschwiegene Zusätze oder Ekelfleisch – die Betroffenen klären das diskret mit den Behörden: Bußgeld zahlen, Besserung geloben. Kunden bekommen nur etwas mit, wenn das Amt den Betrieb dicht macht.




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Eigentlich sollte das nicht mehr so sein. Seit 2012 dürfen die Behörden Betriebe nennen, wenn diese Lebensmittel verkaufen, bei denen die Grenzwerte bedenklicher Stoffe überschritten werden, oder wenn sie gegen Hygienevorschriften verstoßen und dabei ein Bußgeld in Höhe von mindestens 350 Euro verhängt wurde. Doch die Gesetze gelten erstmal nur auf dem Papier. Die obersten Verwaltungsrichter mehrerer Bundesländer erklärten sie im vergangenen Jahr für verfassungswidrig: Es sei nicht garantiert, dass Verstöße auch schnell aus dem Netz verschwänden, wenn die Missstände schnell beseitigt wurden. Auch die Grenze von 350 Euro wurde als willkürlich angesehen.

Die Urteile zwangen die Behörden in vielen Kommunen zum Rückzug. So musste das Kreisverwaltungsreferat München seine Liste mit den Bewertungen wieder aus dem Netz nehmen. Baden-Württembergs Verbraucherportal liefert seit Anfang 2013 ebenfalls keine näheren Informationen. Heute muss man die Kommunen schon suchen, die ihre Bürger über Verstöße informieren. Zum Beispiel Duisburg.

Dort ist der Grünen-Politiker Ralf Krumpholz als Beigeordneter der Stadt für das zuständig, was er lieber „Gastro-Ampel“ statt „Pranger“ nennt. Das Pilotprojekt läuft seit Dezember in seiner Stadt und in Bielefeld. Je nach der Zahl der Minuspunkte, die Betriebe bei den Kontrollen bekommen, werden sie als grün, gelb oder rot eingestuft. In einer App können Verbraucher die Noten der Restaurants nachschlagen.

„Bizarr“ nennt ein Regierungsmitarbeiter in Berlin die derzeitige Gesetzeslage. Sie schlägt sich in der umständlichen Konstruktion der Duisburger Ampel nieder: Wegen der Gerichtsurteile sieht das Verbraucherschutzministerium in Nordrhein-Westfalen keine rechtliche Möglichkeit, selbst aktiv Ergebnisse zu veröffentlichen. Das geht nur, wenn jemand anfragt. Also spielt man mit Bande: Die Verbraucherzentrale NRW fragt regelmäßig Kontrolldaten der Kommunen im Ministerium ab und veröffentlicht diese in der App.

Das Projekt in Duisburg und Bielefeld provoziert dennoch Widerstand. In den Städten klagen 50 Betriebe, angespornt vom Gastronomie- und Hotelverband Dehoga. Systeme wie die Ampel oder die Smileys, die den Verbrauchern mit glücklichen oder traurigen Gesichtern die Kontrollergebnisse anzeigen, sind dem Dehoga zu „emotionalisierend“. Die Veröffentlichung stelle „alle Gastronomen unter Generalverdacht“.Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie sieht die Bewertungssysteme als Angriff auf die „Souveränität des Verbrauchers“. Ampellösungen bezeichnet die Vereinigung als „den Verbraucher nicht informierende, sondern bevormundende Scheinlösungen“.

Ganz anders sehen das Gruppen wie Foodwatch. Sie fordern, in allen Supermärkten, Kantinen und Restaurants müssten Kontrollergebnisse aushängen. Vorreiter in Deutschland war hier der Bezirk Berlin-Pankow. Seit 2009 verleiht das Bezirksamt Smileys an alle Betriebe, die Essen verkaufen. Minuspunkte gibt es in Kategorien wie Kühlung, Personalhygiene oder Schädlingsbekämpfung. Wenn Unternehmer Einspruch erheben, werden die Ergebnisse erst einmal zurückgehalten. Derzeit werden die Daten nur in einem langen, unübersichtlichen PDF-Dokument online gestellt.

Der zuständige Stadtrat Torsten Kühne sieht sich als Einzelkämpfer: „Wir wünschen uns das Berlin-weit, mit ordentlichem Internet-Auftritt, Datenbank und einer anständigen App, damit die Leute das auch unterwegs nachsehen können.“ Obwohl Berliner Gerichte den Pranger oder die Ampel bislang nicht verboten haben, haben nur die Bezirke Marzahn und Lichtenberg mitgezogen – den anderen Bezirken ist die Situation zu unsicher. „Es fehlt ein bundesweites Grundsatzurteil, um endgültig Rechtssicherheit zu schaffen“, sagt Kühne.

Andere europäische Länder sind da nicht so zurückhaltend. Die tschechische Aufsichtsbehörde SZPI nennt ihre Datenbank über Verstöße von Lebensmittelhändlern ganz offiziell „Essens-Pranger“. Die gleichnamige App wurde 20 000 Mal heruntergeladen, sagt Pavel Kopriva von der SZPI. Auch Dänemark ist glücklich mit seinem Pranger. Kontrolleure vergeben Smileys, vom traurig dreinblickenden bis zum grinsenden. Restaurants und Lebensmittelhändler müssen sie sichtbar anbringen. Bürger können die jüngsten vier Berichte über jeden Betrieb online lesen. Das sei ein großer Anreiz für die Betriebe, sauberer zu arbeiten, sagt Kenny Larsen von der dänischen Aufsicht: „Seit2002 ist der Anteil der Betriebe mit glücklichen Smileys von 70 auf 85 Prozent gestiegen.“ Jeder Däne kenne die Smileys. Manche Betriebe nutzen das System sogar, um die eigenen Mitarbeiter zumotivieren, nach dem Motto: „Wenn wir einen Smiley bekommen, bekommst du einen Bonus.“

Manfred Redelfs von Greenpeace sieht das dänische Modell auch als Vorbild für Deutschland: „Die Lebensmittelindustrie versteckt sich hinter dem vermeintlichen Betriebs- und Geschäftsgeheimnis. Die Erfahrung in Dänemark zeigt aber, dass das Mehr an Transparenz niemandem geschadet, sondern allen genützt hat – einschließlich der Lebensmittelbranche.“

Noch weiter in Sachen Transparenz ist Nordamerika. Die New York Times bastelte aus der Liste, die der ehemalige Bürgermeister Michael Bloomberg ins Netz stellen ließ, eine Karte, die alle Restaurants der Metropole samt Bewertung zeigt. In San Francisco und New York können die Verbraucher n auch auf dem kommerziellen Bewertungsportal Yelp erfahren, wie sauber die Hinterzimmer ihres liebsten Burger-Braters sind. Die kanadische Stadt Toronto führte 2001 das Dine-Safe-Programm ein, über das die Stadt alle Ergebnisse öffentlich macht. In den folgenden Jahren stieg der Anteil der Betriebe, die die erste Überprüfung ohne Probleme bestehen, von 78 auf 92 Prozent.

In Deutschland tut sich außerhalb von Pankow, Bielefeld und Duisburg erst einmal nichts. Niedersachsen will vom Bundesverfassungsgericht feststellen lassen, wie Veröffentlichungen rechtlich ohne Widerhaken organisiert werden kann. Der Bund will die Bedenken der Verwaltungsgerichte in eine Gesetzesnovelle einbauen. Beides kann Jahre dauern.

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