Das ukrainische Gesundheitsministerium hat am Donnerstag neue grausige Zahlen veröffentlicht: Seit dem 30. November seien hundert Menschen bei Auseinandersetzungen im Zentrum Kiews ums Leben gekommen, mehr als 1000 seien verletzt worden. Das vorläufig letzte Opfer der Kämpfe erlag am Mittwoch seinen Verletzungen. In Kiew sind die Toten noch immer Stadtgespräch, am Maidan türmt sich eine Wand von Blumen, Kerzen und Ikonen zum Gedenken an die Opfer der Gewalt.
Maidan-Kämpfer tragen den Sarg eines Mitstreiters
Die Frage hingegen, wer für das Blutbad zwischen dem 19. und 21. Februar verantwortlich war, bei dem allein mehrere Dutzend Demonstranten und etwa 15 Polizisten starben, stellt hier kaum jemand, zumindest nicht laut. Dafür verursacht das Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und der EU-Außenbeauftragen Catherine Ashton, das in die Öffentlichkeit gelangte, im Westen und in Russland umso mehr Wirbel. Russische Medien sehen die These ihres Präsidenten Wladimir Putin bestätigt, dass Extremisten in Kiew das Sagen haben, und auch im Westen tobt ein Shitstorm gegen die Übergangsregierung: Sie, nicht die Truppen von Janukowitsch, hätten die Gewalt in Kiew geschürt und sich diskreditiert.
Dabei ist die These, die der estnische Außenminister Urmas Paet kolportiert, im Prinzip nichts Neues: Dass einige der Scharfschützen, die auf den Dächern rund um den Maidan und an der Institutkastraße positioniert waren, auf die Demonstranten und auf Polizisten geschossen haben könnten, dass also Provokateure die Eskalation verursacht haben könnten, die beide Seiten mit kalkulierten Schüssen gegeneinander hetzten. Das wird in Kiew schon länger heiß diskutiert.
Nur: Ob es Provokateure des geschassten Präsidenten Janukowitsch waren, die Menschen auf beiden Seiten der Barrikaden ins Visier nahmen – oder ob es womöglich radikale Kräfte unter den Maidan-Selbstverteidigern waren, die nicht mehr länger auf eine echte Konfrontation mit dem Gegner warten wollen, daran scheiden sich die Geister. Urmas Paet jedenfalls zitiert in einem offenbar abgehörten Telefonat mit Ashton, dessen Echtheit seine Regierung bestätigt hat und das aparterweise zuerst in russischen Medien veröffentlicht wurde, die Aussagen einer ukrainischen Ärztin. Olga Bogomolets hatte in den blutigen Februar-Tagen vielen Menschen das Leben gerettet und war, auch in westlichen Medien, als Heldin vom Maidan gefeiert worden. Die Medizinerin habe – so Paet – ihm am 25. Februar in Kiew Fotos gezeigt und gesagt, dass es für sie nach „derselben Handschrift, derselben Munition“ aussehe, mit der Opfer auf beiden Seiten, also Aktivisten und Polizisten, getötet worden sein könnten. Sie wundere sich schon sehr, zitiert Paet die Ärztin, dass die neue Regierung das nicht untersuchen lasse.
Die Folgerung, die laut Mitschnitt aber Urmas Paet selbst formuliert, lautet so: „Es gibt also mehr und mehr Hinweise, dass es nicht die Scharfschützen von Janukowitsch waren. Es war jemand von der neuen Koalition.“ Seit das Gespräch öffentlich wurde, versucht die estnische Regierung, Schadensbegrenzung zu betreiben. Der estnische Botschafter in der Ukraine, Sulev Kannike, sagte der Kiew Post, Paet habe keine Belege für seine These und hätte vorher die Fakten checken sollen. Eine Sprecherin des Ministers sagte am Donnerstag: „Wir weisen die Annahme zurück, dass Paet die Einschätzung äußerte, dass die Opposition in die Gewalt verwickelt war.“
Bogomolets, die von dem Esten quasi als Kronzeugin genutzt wird, war zeitweilig abgetaucht. Sie war während der Phase der Regierungsbildung, nachdem sich Janukowitsch abgesetzt hatte, wahlweise als Gesundheitsministerin oder als Vize-Premierministerin für Menschenrechtsfragen im Gespräch gewesen und als Letzteres auch auf dem Maidan angekündigt worden. Die Ärztin lehnte jedoch mit der Begründung ab, die neue Regierung sei ihr zu intransparent. Sie habe auf ein Kabinett aus Experten gehofft.
Damien McElroy, der Kiewer Korrespondent des britischen Telegraph, trieb sie aber offenbar auf und zitiert sie mit einem Dementi: Sie könne die Einschätzung, dass die neue Kiewer Regierung hinter den Anschlägen stecke, nicht teilen. Und sie habe nicht gesagt, Polizisten und Demonstranten seien mit den gleichen Kugeln getötet worden. „Ich selbst habe nur Demonstranten untersucht, die Wunden der Militärs kenne ich nicht“. Sie wünsche sich aber eine Untersuchung durch unabhängige Wissenschaftler.
Tatsächlich hatte die renommierte Medizinerin, die eine eigene dermatologische Klinik leitet und sich so vehement wie vergeblich für einen grundlegenden Umbau des ukrainischen Gesundheitswesens eingesetzt hatte, nur die Opfer auf Seiten der Protestbewegung gesehen, die sie im besetzten Haus der Offiziere am Rande des Maidan behandelt hatte. Für Militär und Polizei gibt es in der Ukraine eigene Krankenhäuser, die uniformierten Verletzten wurden dort versorgt. Viele Maidan-Aktivisten mieden nach der ersten Hilfe durch Ärzte, die in kurzfristig aufgestellten Not-Lazaretten arbeiteten, die Behandlung in staatlichen Krankenhäusern, weil die Polizei die Opfer teilweise von der Trage weg verhaftete. Bogomolets gehörte zu jenen Medizinern, die für Schwerverletzte Hilfe im Ausland organisierte.
Die neue Regierung hatte die Berkut-Polizei, die auch nach offiziellen Einschätzungen der Janukowitsch-Partei für das Blutbad verantwortlich war, nach der Machtübernahme aufgelöst, gegen einzelne Befehlshaber wird ermittelt – ebenso wie gegen Ex-Präsident Janukowitsch. Sie verweist darauf, dass es der Inlandsgeheimdienst SBU gewesen sei, der am 19. Februar eine „antiterroristische Operation“ angeordnet hatte, da „Extremisten das Leben von Millionen Ukrainern bedrohen“. Und dass der damalige Innenminister Vitali Sachartschenko angeordnet habe, Polizisten sollten ihre „Schusswaffen gegen Extremisten gebrauchen, die den Waffenstillstand nicht einhalten“. Die Opposition warnte damals, dass Tituschki, staatlich bezahlte Provokateure, den Ausbruch von Gewalt schüren wollten.
Die Regierung muss jetzt tatsächlich alles daran setzen, dass geklärt wird, wer geschossen hat, wann und auf wen. Das ist sie dem Land und den Toten schuldig.
Maidan-Kämpfer tragen den Sarg eines Mitstreiters
Die Frage hingegen, wer für das Blutbad zwischen dem 19. und 21. Februar verantwortlich war, bei dem allein mehrere Dutzend Demonstranten und etwa 15 Polizisten starben, stellt hier kaum jemand, zumindest nicht laut. Dafür verursacht das Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und der EU-Außenbeauftragen Catherine Ashton, das in die Öffentlichkeit gelangte, im Westen und in Russland umso mehr Wirbel. Russische Medien sehen die These ihres Präsidenten Wladimir Putin bestätigt, dass Extremisten in Kiew das Sagen haben, und auch im Westen tobt ein Shitstorm gegen die Übergangsregierung: Sie, nicht die Truppen von Janukowitsch, hätten die Gewalt in Kiew geschürt und sich diskreditiert.
Dabei ist die These, die der estnische Außenminister Urmas Paet kolportiert, im Prinzip nichts Neues: Dass einige der Scharfschützen, die auf den Dächern rund um den Maidan und an der Institutkastraße positioniert waren, auf die Demonstranten und auf Polizisten geschossen haben könnten, dass also Provokateure die Eskalation verursacht haben könnten, die beide Seiten mit kalkulierten Schüssen gegeneinander hetzten. Das wird in Kiew schon länger heiß diskutiert.
Nur: Ob es Provokateure des geschassten Präsidenten Janukowitsch waren, die Menschen auf beiden Seiten der Barrikaden ins Visier nahmen – oder ob es womöglich radikale Kräfte unter den Maidan-Selbstverteidigern waren, die nicht mehr länger auf eine echte Konfrontation mit dem Gegner warten wollen, daran scheiden sich die Geister. Urmas Paet jedenfalls zitiert in einem offenbar abgehörten Telefonat mit Ashton, dessen Echtheit seine Regierung bestätigt hat und das aparterweise zuerst in russischen Medien veröffentlicht wurde, die Aussagen einer ukrainischen Ärztin. Olga Bogomolets hatte in den blutigen Februar-Tagen vielen Menschen das Leben gerettet und war, auch in westlichen Medien, als Heldin vom Maidan gefeiert worden. Die Medizinerin habe – so Paet – ihm am 25. Februar in Kiew Fotos gezeigt und gesagt, dass es für sie nach „derselben Handschrift, derselben Munition“ aussehe, mit der Opfer auf beiden Seiten, also Aktivisten und Polizisten, getötet worden sein könnten. Sie wundere sich schon sehr, zitiert Paet die Ärztin, dass die neue Regierung das nicht untersuchen lasse.
Die Folgerung, die laut Mitschnitt aber Urmas Paet selbst formuliert, lautet so: „Es gibt also mehr und mehr Hinweise, dass es nicht die Scharfschützen von Janukowitsch waren. Es war jemand von der neuen Koalition.“ Seit das Gespräch öffentlich wurde, versucht die estnische Regierung, Schadensbegrenzung zu betreiben. Der estnische Botschafter in der Ukraine, Sulev Kannike, sagte der Kiew Post, Paet habe keine Belege für seine These und hätte vorher die Fakten checken sollen. Eine Sprecherin des Ministers sagte am Donnerstag: „Wir weisen die Annahme zurück, dass Paet die Einschätzung äußerte, dass die Opposition in die Gewalt verwickelt war.“
Bogomolets, die von dem Esten quasi als Kronzeugin genutzt wird, war zeitweilig abgetaucht. Sie war während der Phase der Regierungsbildung, nachdem sich Janukowitsch abgesetzt hatte, wahlweise als Gesundheitsministerin oder als Vize-Premierministerin für Menschenrechtsfragen im Gespräch gewesen und als Letzteres auch auf dem Maidan angekündigt worden. Die Ärztin lehnte jedoch mit der Begründung ab, die neue Regierung sei ihr zu intransparent. Sie habe auf ein Kabinett aus Experten gehofft.
Damien McElroy, der Kiewer Korrespondent des britischen Telegraph, trieb sie aber offenbar auf und zitiert sie mit einem Dementi: Sie könne die Einschätzung, dass die neue Kiewer Regierung hinter den Anschlägen stecke, nicht teilen. Und sie habe nicht gesagt, Polizisten und Demonstranten seien mit den gleichen Kugeln getötet worden. „Ich selbst habe nur Demonstranten untersucht, die Wunden der Militärs kenne ich nicht“. Sie wünsche sich aber eine Untersuchung durch unabhängige Wissenschaftler.
Tatsächlich hatte die renommierte Medizinerin, die eine eigene dermatologische Klinik leitet und sich so vehement wie vergeblich für einen grundlegenden Umbau des ukrainischen Gesundheitswesens eingesetzt hatte, nur die Opfer auf Seiten der Protestbewegung gesehen, die sie im besetzten Haus der Offiziere am Rande des Maidan behandelt hatte. Für Militär und Polizei gibt es in der Ukraine eigene Krankenhäuser, die uniformierten Verletzten wurden dort versorgt. Viele Maidan-Aktivisten mieden nach der ersten Hilfe durch Ärzte, die in kurzfristig aufgestellten Not-Lazaretten arbeiteten, die Behandlung in staatlichen Krankenhäusern, weil die Polizei die Opfer teilweise von der Trage weg verhaftete. Bogomolets gehörte zu jenen Medizinern, die für Schwerverletzte Hilfe im Ausland organisierte.
Die neue Regierung hatte die Berkut-Polizei, die auch nach offiziellen Einschätzungen der Janukowitsch-Partei für das Blutbad verantwortlich war, nach der Machtübernahme aufgelöst, gegen einzelne Befehlshaber wird ermittelt – ebenso wie gegen Ex-Präsident Janukowitsch. Sie verweist darauf, dass es der Inlandsgeheimdienst SBU gewesen sei, der am 19. Februar eine „antiterroristische Operation“ angeordnet hatte, da „Extremisten das Leben von Millionen Ukrainern bedrohen“. Und dass der damalige Innenminister Vitali Sachartschenko angeordnet habe, Polizisten sollten ihre „Schusswaffen gegen Extremisten gebrauchen, die den Waffenstillstand nicht einhalten“. Die Opposition warnte damals, dass Tituschki, staatlich bezahlte Provokateure, den Ausbruch von Gewalt schüren wollten.
Die Regierung muss jetzt tatsächlich alles daran setzen, dass geklärt wird, wer geschossen hat, wann und auf wen. Das ist sie dem Land und den Toten schuldig.