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Zwischen vielen Stühlen

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Da sitzt er nun in einem Genfer Nobelhotel und schaut ziemlich unglücklich drein. Ernst will Frank-Walter Steinmeier erscheinen und jede Geste vermeiden, die freundschaftlich wirken könnte. Zu groß ist die Sorge, dass jemand so etwas als Kotau gegenüber Russland noch mal gegen ihn wendet. Also sitzt der deutsche Außenminister an dem mit Nelken geschmückten Tisch und sieht aus, als hätte er in eine sehr saure Zitrone gebissen.




Außenminister Frank-Walter Steinmeier kommt an die Grenzen seines Amts

Ihm gegenüber steht Sergej Lawrow. Der russische Außenminister tritt an diesem Abend wie ein Anti-Griesgram in Erscheinung. Lawrow schaut freundlich, die Krawatte hat er beiseitegelegt. Als Nächstes wird er sich einen Drink nehmen und Zigarren reichen. Es ist nur ein kurzer Blick in den Raum, ein Minuteneindruck. Aber der spricht Bände: Die Herren kennen sich seit zehn Jahren. Aber sie sind sich an diesem Abend ferner, als sie es je waren.

Ob das dem russischen Karrierediplomaten Lawrow was ausmacht, kann niemand wirklich sagen. Für Steinmeier aber ist es der frühe und schmerzhafte Höhepunkt einer ziemlich erfolglosen Woche. Seine Mühen um eine Deeskalation in der Ukraine-Krise treten auf der Stelle. Er ist’s gewesen, der das Treffen mit Lawrow angestoßen hat, er wollte seine noch immer besonderen Beziehungen zu Russland für Gutes einsetzen. Also hatte er im Kreis der EU-Außenminister dafür geworben, noch keine Sanktionen gegen Russland zu beschließen. Und dann muss er in diesem kargen Konferenzraum erkennen, dass Lawrow nicht bereit ist, ihm auch nur ein klein wenig entgegenzukommen.

Für Steinmeier ist noch nicht die Welt zusammengebrochen. Aber sein Russland-Bild hat schweren Schaden genommen. Das ist ihm anzusehen in den Tagen danach, und so berichten es auch Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses, die ihn Ende der Woche erlebt haben. Es ist nicht lange her, da hat Steinmeier in Moskau für eine neue „Positiv-Agenda“ zwischen beiden Ländern geworben. Jetzt muss er lernen, dass solche Gesten, wenn es ernst wird, nicht viel zählen.

Eine Woche ist seit Genf vergangen. Am bitteren Gefühl, das sich damit verbindet, hat sich für Steinmeier aber nichts geändert. Kaum jemand hat auch danach noch so auf den fast bedingungslosen Start eines Gesprächs mit Russland gesetzt wie der deutsche Außenminister. Es verging kein Tag, an dem Steinmeier nicht mahnte, man müsse auch in Zeiten wie diesen „politikfähig“ bleiben. Man müsse das Gespräch mit der anderen Seite suchen, auch wenn es schwerfalle. Während eines USA-Besuchs vor zwei Wochen erklärte er, Diplomatie bedeute halt den Versuch, die Welt auch aus den Augen des Gegenübers zu betrachten. „Ich glaube, dass unsere Anstrengungen nur dann Früchte tragen, wenn wir diplomatische Kontakte offenhalten.“

Aus den Früchten ist bisher indes wenig geworden. Im Gegenteil muss Steinmeier immer wieder einräumen, dass sich die Lage nicht entspannt, sondern zugespitzt habe. Er muss das Verhalten Russlands auf der Krim als Bruch des Völkerrechts geißeln. Er muss ertragen, dass Moskau die OSZE-Beobachter behindert und die Idee zur Kontaktgruppe ignoriert. Und trotzdem kämpft er fast schon wie ein Sisyphos um einen Gesprächsfaden mit Moskau, weil er nichts gefährlicher findet als Schweigen. Als die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Sondergipfel am Donnerstag erste Sanktionen beschließen, erklärt der Außenminister, natürlich könne man „die Entwicklungen nicht unberücksichtigt lassen“. Zugleich aber sei er der Auffassung, dass „man nicht alle Türen zuschlägt, durch die wir vielleicht noch durchgehen müssen“. So wird im Lauf der Woche aus einem zuversichtlichen Außenminister, der den Nutzen gewachsener Beziehungen zu Moskau beweisen möchte, ein Diplomat, der gefährlich zwischen vielen Stühlen hängt und mühsam die Enden umklammert, um nicht abzustürzen.

Wie heikel das Unterfangen ist, zeigt sich im Verhältnis zu engsten Verbündeten wie den Vereinigten Staaten. Die Beziehungen, wegen der NSA-Abhöraffäre ohnehin angeschlagen, haben diese Woche einen weiteren Knacks bekommen. Jedenfalls, wenn stimmt, was europäische Diplomaten von der Libanon-Konferenz berichten. Die fand am Mittwoch in Paris statt und lieferte die Kulisse, hinter der intensiv um eine Basis für erste Gespräche zwischen Moskau und Kiew gerungen wurde. Dabei hat die deutsche Seite offenbar versucht, in kleinerem Kreis und ohne die USA eine erste Verständigung mit Moskau zu erreichen, bevor Amerikaner und Briten dazukommen sollten. Zu harsch empfand man Washingtons Rhetorik, um den seidenen Faden nach Moskau spinnen zu können. Doch nachdem die Gespräche auf hoher Beamtenebene über die ganze Nacht hinweg erfolglos geblieben waren, kamen die forscheren Amerikaner und Briten dazu, was die Lage, wie es heißt, auch nicht besser machte. Niemand würde das so öffentlich sagen, aber das Ergebnis ist kein gutes gewesen: Die Amerikaner waren verschnupft über die Deutschen. Die Russen waren verschnupft über die Amerikaner. Und die Deutschen waren verschnupft über beide.

Vor drei Monaten sprach Steinmeier von mehr deutscher Verantwortung, und man hatte sofort den Eindruck, er freue sich darauf. Jetzt steckt der 58-Jährige mittendrin in einer Welt, die durch unersprießliche Verstimmungen mit den USA und einen scharfen Konflikt mit Wladimir Putins Russland geprägt ist. Steinmeier bekommt schneller als gedacht zu spüren, wie sensibel alle auf die neuen Berliner Vorzeichen reagieren. Noch schneller als früher schon wächst auch bei Partnern Misstrauen, sobald dieses Deutschland von der großen Linie der meisten anderen abweicht. Dass Steinmeier so viel über unverzichtbare Gespräche und so wenig über konkrete Sanktionen sprach, wurde als russlandlastig empfunden. Kein Wunder, dass die Kanzlerin und mit ihr Steinmeier Ende der Woche schärfere Töne anschlugen. Immerhin ist nun ein Boykott des G-8-Gipfels in Sotschi Anfang Juni in der Diskussion. Was sich Steinmeier darüber hinaus vorstellen könnte, ist offen – und lässt so weiter Raum für Spekulationen.

Doch was manche Verbündete irritiert und unsicher zurücklässt, löst in Deutschland bisher allenfalls vorsichtige Kritik aus. Norbert Röttgen etwa, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, warnt vor Uneinigkeiten im transatlantischen Bündnis. Omid Nouripour (Grüne) konstatiert, dass „die alte sozialdemokratische Einbindungspolitik gegenüber Putin nach jedem Tag der Krim-Krise weiter in sich zusammenfällt“. Für Steinmeier ist das unangenehm, aber nicht gefährlich. Zumal alle Umfragen ihn zu bestätigen scheinen. Seine persönlichen Werte steigen weiter; zum zweiten Mal ist er der beliebteste Politiker von allen. Außerdem suggerieren weitere Befragungen, dass die große Mehrheit der Deutschen die meisten Sanktionen genauso ablehnt wie militärische Aktionen – und die Gesprächsbemühungen lobt.

Und Steinmeier? Er will auch in dieser Woche viel reisen, vor allem in Osteuropa. Und er will mit Merkel eine große Koalition gegen Moskaus Kurs schmieden. Putin soll sehen, wie sehr er politisch isoliert ist, wenn er nicht einlenkt. Entschlossen soll das klingen. Das ist die Hoffnung.

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