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Hillary vs. Clinton

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Oft spricht Hillary Clinton so gelassen wie jemand, der alles schon hinter sich hat. Vor Kurzem sah man sie auf der Bühne ihrer Stiftung, der Clinton Foundation, im Kostüm, mit Brille und ihrer neuen, schwer definierbaren Frisur. Sie gab Mädchen und Frauen guten Rat. „Man braucht eine dicke Haut“, sagte sie. „Kritiker können deine besten Freunde sein, solange du von ihnen lernst, aber sie dürfen dich niemals nach unten ziehen.“




Wie viel Clinton verträgt das Land?

Gäbe es in den USA so etwas wie die klassische deutsche Bundespräsidentenfamilie, dann wären dies die Clintons. Bill, Hillary und Tochter Chelsea erklären mal altersmilde, mal idealistisch die Welt oder das Leben, mal in Rio de Janeiro, mal in Philadelphia. Eine Familie, die scheinbar längst über Krisen und Gemeinheiten des politischen Alltags steht. Aber genügt das auf Dauer, oder zieht es Hillary Clinton doch wieder zurück an die echte Macht?

Gut zweieinhalb Jahre vor der nächsten Präsidentenwahl beschäftigt keine politische Frage die Amerikaner so sehr wie diese: Wird Hillary die Nachfolgerin Barack Obamas und damit die erste US-Präsidentin? Darin liegen in Wahrheit zwei Fragen: Möchte sich Clinton das wirklich antun? Und möchten sich die Amerikaner noch einmal die Clintons antun?

Einerseits hätte Hillary Clinton im Jahr 2016 alles, was sich Kandidaten für das höchste Amt nur wünschen können. Sie ist landesweit bekannt und beliebt. Sie besitzt ein konkurrenzloses Netz aus Beratern, Unterstützern, Spendern. Sie kennt alle Bühnen Washingtons und deren Kulissen, das Weiße Haus, das Parlament, die Diplomatie. Sie genießt breite Sympathie und Bewunderung in der größten Gruppe des Landes – unter Amerikas Frauen.

Andererseits aber schleppt kaum jemand so viel Ballast mit sich herum wie sie: uralte Vorurteile über ihren Charakter, die Affären ihres Mannes Bill, ihre eigene Bilanz, und schlicht auch die Tatsache, dass sie schon so lang berühmt ist, wie sie es eben ist.

Jüngst hat die Washingtoner Gazette Free Beacon im Nachlass von Diane Blair gewühlt, einst eine der besten Freundinnen Hillarys. Aus dem Fundus alter Gesprächsnotizen Blairs haben rechte Medien eine Fülle neuer Geschichten gefertigt; sie pflegen darin das Vorurteil, das sie über Hillary Clinton immer hatten: Die ehemalige First Lady, Senatorin und Außenministerin sei falsch, ohne Skrupel, vom Ehrgeiz zerfressen. Als Beleg gilt etwa eine alte Umfrage von 1992, in der es heißt: „Was die Wähler bei Bill Clinton clever finden, finden sie bei Hillary rücksichtslos.“

Tausende Seiten neue Unterlagen hat dieser Tage auch die Präsidenten-Bibliothek Bill Clintons veröffentlicht. In dem Vermerk einer ihrer Beraterinnen heißt es, Hillary Clinton müsse sich auch mal von der lustigen Seite zeigen, nicht nur ernst und verbissen.

Zugleich geißeln rechte Moralisten jetzt abermals Bills einstige Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky. Der republikanische Senator Rand Paul sagte kürzlich, Bill Clinton sei ein sexueller „Jäger“; die Demokraten als Freunde der Frauenrechte müssten deshalb endgültig mit ihm brechen.

Hillary Clinton, 66, hat offenbar noch nicht beschlossen, ob sie es noch einmal versuchen soll. Es wäre dann, nach zwei erfolgreichen Wahlkämpfen für ihren Mann und einem erfolglosen für sich selbst, der vierte Wahlkampf. Aus dem Kreis ihrer Vertrauten heißt es, sie werde sich erst 2015 entscheiden.

Schweigen hat für sie im Moment nur Vorteile. Allein die Möglichkeit, dass sie für die Demokraten antreten könnte, schreckt innerparteiliche Rivalen ab. Sie ist auf den Bühnen der Clinton-Stiftung immer wieder sichtbar, aber sie hat es auch nicht nötig, sich ständig überall zu zeigen, sie ist ja bekannt genug. Sie führt Vor-Vor-Wahlkampf, ohne es so nennen zu müssen.

Ihre Partei wiederum sehnt sich anscheinend danach, ein weiteres Mal Geschichte zu schreiben und nach dem ersten Schwarzen nun auch die erste Frau ins Weiße Haus zu befördern. Ihre Anhänger führen längst Schatten-Wahlkampf, gründen Pro-Hillary-Gruppen, sammeln Geld, rekrutieren Experten, einige aus der Wahlkampfmaschine Barack Obamas. Clinton lässt es laufen; weder scheint sie es zu fördern noch zu missbilligen. Alles nimmt wie von selbst Gestalt an.

Eine Kandidatur Clintons ist also, wie es aussieht, unausweichlich. Nach neuesten Umfragen würde sie jeden möglichen Rivalen in und außerhalb der Partei schlagen. „Kann jemand Hillary stoppen?“, fragt das Time-Magazin.

Aber genau darin könnte ihre Schwäche liegen. Es erinnert an ihren gescheiterten Versuch im Jahr 2008, als die Demokraten am Ende Barack Obama nominierten. Auch damals galt Clinton lange Zeit als unbezwingbar. Sie vermittelte weniger den Eindruck, sich zu bewerben, als vielmehr Anspruch auf etwas zu erheben, das sie sich verdient hatte. Im Jahr 2016 könnte diese Botschaft („Jetzt bin aber ich dran“) noch mehr mitschwingen. Heutige und frühere Berater Obamas warnen schon, dass Clinton dieselben Fehler wiederhole, die sie schon 2008 den Sieg gekostet hätten. Statt einer Botschaft baue sie eine Maschine auf, und weil sie jetzt schon als sichere Kandidatin der Demokraten gelte, könne die Partei in zwei Jahren, wenn es ernst werde, abermals an Clinton-Müdigkeit leiden.

Es ist ein Gefühl, das Barbara Bush schön beschrieben hat – die Frau des

41.Präsidenten George Herbert Walker Bush und Mutter des 43.Präsidenten George Walker Bush. Man hat sie gefragt, ob ihr Sohn Jeb im Jahr 2016 antreten solle. Nein, es gebe in Amerika nicht bloß ein paar Familien, die das Staatsoberhaupt stellen könnten. „Wir hatten genug Bushs.“

Womöglich hatte das Land auch genug Clintons. Sie stehen seit mehr als zwanzig Jahren beinahe ununterbrochen auf der Bühne Washingtons.

Kommen Hillary Clinton deswegen Zweifel? Sie hat immer mal wieder gezögert, wenn sie vor der nächsten großen Herausforderung stand. Im Jahr 2004 hätte sie gegen George W. Bush antreten können, aber sie wollte ihr Mandat als Senatorin nicht vorzeitig aufgeben. Besonders müde und verwundbar zeigte sie sich Ende 2008, als Obama sie für das Außenamt verpflichten wollte. Sie sei erschöpft, klagte sie.

Am Ende siegte doch ihr Pflichtgefühl. Es hat ihr höchste Anerkennung eingebracht, dass sie sich nach der bitteren Niederlage gegen Obama in den dessen Dienst stellte und loyal ihren Job erledigte. Es hat das alte Vorurteil widerlegt, dass sie immer nur am eigenen Erfolg interessiert war.

Selbst der politische Gegner hat sie gelobt. „Erst graut es einem, mit ihr zu tun zu haben, dann beginnt man, sie widerwillig zu respektieren, dann respektiert man sie so richtig wegen ihrer unglaublichen Arbeitsmoral, und am Ende mag man sie sogar, denn sie ist charmant, lustig und interessant“, sagt ein Vertrauter des früheren republikanischen Verteidigungsministers Robert Gates über sie. Das Zitat stammt aus der neuen Biografie „HRC“ und beschreibt die Überraschung vieler, besonders rechter Politiker darüber, dass Hillary Clinton nicht das kalte, feministische Monster ist, für das man sie auf der Rechten immer hielt. Im Sommer wird sie ihre eigenen Memoiren über die Zeit als Chefdiplomatin veröffentlichen.

Aber es sind in ihrer Zeit als Ministerin auch neue Angriffsflächen entstanden. Ihre Falkenrolle in der Libyenkrise, als sie Obama zu einer Intervention drängte, oder das Fehlen bleibender diplomatischer Erfolge, etwa in Afghanistan oder Nahost. Außerdem war sie das Gesicht des diplomatischen Neustarts mit Russland: Damals drückte sie ihrem Moskauer Kollegen Sergej Lawrow einen „Neustart-Knopf“ in die Hand. Aber dieser Neuanfang wirkt spätestens seit der jüngsten Auseinandersetzung um Ukraine und Krim hinfällig bis naiv.

Die größte Altlast aber ist der Angriff von Extremisten auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi 2012, bei dem Botschafter Christopher Stevens und drei weitere Amerikaner starben. Hillary Clinton war deren Dienstherrin, und die Republikaner dürften im Wahlkampf – wie schon bisher – versuchen, sie deswegen als nachlässig, desinteressiert und kaltherzig darzustellen.

Allgemein ist sie von zwei Seiten angreifbar. Der linke Parteiflügel findet sie zu mittig-rechts und träumt von einer echten Linken wie etwa der Senatorin Elizabeth Warren. In einer landesweiten Abstimmung wiederum stünde Clinton weit links; ein gemäßigter rechter Widersacher wie Chris Christie würde sie mit Obamas vermeintlichem Sozialismus verbinden, etwa mit der umstrittenen Gesundheitsreform, die sie in ihrer jetzigen Form zwar nicht verantwortet, aber im Grundsatz doch immer befürwortet hat.

Verwundbar aber ist sie vor allem deswegen, weil sie so etabliert ist. Sie kann nicht als Außenseiterin gegen „die in Washington“ antreten, denn sie gehört selbst zu diesem System. Sie ist in ein solch großes Netzwerk verstrickt, dass sie sogar Mühe haben dürfte, mit frischem Personal und frischen Ideen aufzuwarten. Die Republikaner wiederum werden ihre Rückschläge aus drei Jahrzehnten aufwärmen – von Lewinsky bis Bengasi, von Bill bis Barack. „Wir haben einen Lastwagen voller Vorwürfe“, prahlt der Republikaner Reince Priebus.

Clinton wird 2016 beinahe 70 Jahre alt sein und sie wird sich fragen, ob sie sich das wirklich noch einmal antun möchte. Ihre Disziplin ist legendär, aber sie hat oft auch mit dem Gedanken gespielt, sich endlich mehr Zeit zu nehmen für die Familie, für ihre einzige Tochter Chelsea, die inzwischen ihre engsten Vertraute und Beraterin ist, und, vielleicht, für ein Enkelkind.

Andererseits: Warum hätte sie sich diese dicke Haut zugelegt, all diese Demütigungen ertragen und Krisen gemeistert, all diese Männer gestützt – wenn sie sich am Ende nicht selbst belohnen würde?

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