Schnee liegt in der Luft, ein steifer Wind bläst über die Halbinsel Omaezaki. Trotz der Eiseskälte ziehen einige Surfer ihre Bahnen durch die grollende Brandung. Ein Fischkutter stampft gemächlich zum Hafen, beim Leuchtturm haben Leute ihre Ferngläser auf eine Kolonie Seevögel gerichtet. „Langer Strand“ heißt dieser schroff-schöne Küstenabschnitt im Osten Japans.
Baustelle der Tsunami-Schutzmauer vor dem weltweit gefährlichsten AKW
Wenige Hundert Meter weiter, und nur etwa 200 Kilometer von Tokio entfernt, steht das Kernkraftwerk Hamaoka, das in Japan als das gefährlichste der Welt gilt. 2005 sagte ihm der Seismologe Katsuhiko Ishibashi von der Uni Kobe eine Katastrophe voraus: In einem Gutachten für das Parlament nahm er den Ablauf der Atomkatastrophe von FukushimaI Schritt für Schritt vorweg: Erst beschädige das Erdbeben den Meiler, dann der Tsunami, in der Folge breche die Kühlung zusammen, es werde zu Wasserstoffexplosionen kommen, zur Kernschmelze und zur weiträumigen radioaktiven Verseuchung, sagte Ishibashi voraus.
Er machte nur einen Fehler. Er erwartete die Katastrophe in Hamaoka, nicht in Fukushima.
Der Nankai-Graben, der im letzten Jahrtausend etwa alle hundert Jahre ein Megabeben verursachte, liegt einige Dutzend Kilometer vor der Küste. Tokios staatliche Erdbebenforscher rechnen mit einem Beben der Stärke 9,1, das einen Tsunami von bis zu 34 Meter Höhe verursachen und bis zu 320000 Menschen in Lebensgefahr bringen würde.
Zwei Monate nach Fukushima setzte der damalige Premier Naoto Kan durch, dass Chubu Electric, die Betreiberin von Hamaoka, das AKW abschaltete. Wie auch Fukushima I verfügte es über keinen nennenswerten Tsunami-Schutz.
Inzwischen regiert Premier Shinzo Abe, ein Anhänger der Atomkraft, der im Ausland für Japans Atomwirtschaft wirbt. Abe drängt die neue, strengere Aufsichtsbehörde, die Gesuche zum Neustart stillgelegter Reaktoren möglichst rasch zu bewilligen. Andere Energiefirmen ermuntert er, ihre Meiler vorzubereiten und ebenfalls Gesuche zum Wiederanfahren einzureichen. Chubu Electric hat das im Februar getan. 2013 hat Japans Atomwirtschaft zehn Milliarden Euro ausgegeben, um Kraftwerke nachzurüsten. Dieses Jahr wird dieser Betrag übertroffen.
Die Mehrheit der Japaner ist gegen Kernenergie. Nachdem am vergangenen Wochenende mehrere Anti-AKW-Demos stattfanden, bestätigte Abe – ausgerechnet am Vorabend des Jahrestages der Tsunami- und Nuklearkatastrophe – im Parlament, er werde „sichere Meiler“ möglichst bald wieder ans Netz lassen. Zuvor werde man Anwohnern deren Sicherheit und Notwendigkeit erklären. Unterdessen wehren sich die Betreiberfirmen derzeit noch vehement gegen neue Sicherheitsauflagen: In einigen Fällen bestreiten sie sogar die Existenz von nachgewiesenen Erdbebenbruchlinien. Andere schummeln einfach. „Strenge Regeln alleine nützen nichts“, sagt der Chef der neuen Atomaufsichtsbehörde, Shunichi Tanaka. „Die Betreiberfirmen brauchen eine fundamental andere Sicherheitskultur.“
Fröstelnd kehren einige Surfer auf den Parkplatz zurück. Befürchten sie, ihre raue Idylle zu verlieren? Bis vor drei Jahren konnte man auch unweit von Fukushima surfen. Einer antwortet: „Was soll ich sagen, ich arbeite im Kraftwerk.“ Bei Vollbetrieb beschäftigte das Kraftwerk 3000 Menschen. Man müsse froh sein, Arbeit zu haben. „Natürlich haben wir Arbeiter Angst vor einem Erdbeben.“
Der Besucherpavillon von Hamaoka ist einem Reaktor nachempfunden, hier wirbt der Betreiber um Vertrauen in seine Technik. Gerade hat man mit dem Bau eines gigantischen Tsunami-Schutzwalls begonnen, 1,6 Kilometer lang, 22 Meter hoch. 40000 Tonnen Stahl werden verbaut. Sollten die Fluten den Wall überwinden, schalten sich energieautonome Pumpsysteme ein. Bis vor drei Jahren war es tabu, von Notfallmaßnahmen in Atomkraftwerken überhaupt zu reden – meist gab es gar keine –, jetzt macht der Besucherpavillon Schüler-, Rentner- und Beamtengruppen mit jedem ihrer Details vertraut. Im Pavillon funktionieren sie reibungslos.
Wer 40000 Tonnen Stahl verbaut, rechnet damit, diese Kosten wieder einzufahren. Oder will Chubu Electric vollendete Tatsachen schaffen? Die Nachrüstung des Kraftwerks wird umgerechnet mindestens 2,5 Milliarden Euro kosten. Der Betreiber scheint nicht daran zu zweifeln, dass das gefährlichste Kernkraftwerk der Welt wieder eine Betriebsbewilligung erhält. Doch das Unternehmen hält sich auch andere Optionen offen.
Auf den Klippen, hinter dem Leuchtturm, stehen bereits einige Windmühlen, weitere werden gebaut. Und neben dem wuchtigen Besucherpavillon wirbt ein bescheidenerer Neubau für erneuerbare Energien. Bisher ist ein Zehntel der neuen Tsunami-Mauer gebaut. Im aufziehenden Nebel wirkt sie wie eine überdimensionierte mittelalterliche Wehrburg.
Der surfende AKW-Arbeiter hat sich abgetrocknet und angezogen. Im geheizten Auto sagt er: „Dieses Jahr werden die Reaktoren garantiert noch nicht angefahren, nächstes Jahr auch nicht. Das dauert noch lange.“
Baustelle der Tsunami-Schutzmauer vor dem weltweit gefährlichsten AKW
Wenige Hundert Meter weiter, und nur etwa 200 Kilometer von Tokio entfernt, steht das Kernkraftwerk Hamaoka, das in Japan als das gefährlichste der Welt gilt. 2005 sagte ihm der Seismologe Katsuhiko Ishibashi von der Uni Kobe eine Katastrophe voraus: In einem Gutachten für das Parlament nahm er den Ablauf der Atomkatastrophe von FukushimaI Schritt für Schritt vorweg: Erst beschädige das Erdbeben den Meiler, dann der Tsunami, in der Folge breche die Kühlung zusammen, es werde zu Wasserstoffexplosionen kommen, zur Kernschmelze und zur weiträumigen radioaktiven Verseuchung, sagte Ishibashi voraus.
Er machte nur einen Fehler. Er erwartete die Katastrophe in Hamaoka, nicht in Fukushima.
Der Nankai-Graben, der im letzten Jahrtausend etwa alle hundert Jahre ein Megabeben verursachte, liegt einige Dutzend Kilometer vor der Küste. Tokios staatliche Erdbebenforscher rechnen mit einem Beben der Stärke 9,1, das einen Tsunami von bis zu 34 Meter Höhe verursachen und bis zu 320000 Menschen in Lebensgefahr bringen würde.
Zwei Monate nach Fukushima setzte der damalige Premier Naoto Kan durch, dass Chubu Electric, die Betreiberin von Hamaoka, das AKW abschaltete. Wie auch Fukushima I verfügte es über keinen nennenswerten Tsunami-Schutz.
Inzwischen regiert Premier Shinzo Abe, ein Anhänger der Atomkraft, der im Ausland für Japans Atomwirtschaft wirbt. Abe drängt die neue, strengere Aufsichtsbehörde, die Gesuche zum Neustart stillgelegter Reaktoren möglichst rasch zu bewilligen. Andere Energiefirmen ermuntert er, ihre Meiler vorzubereiten und ebenfalls Gesuche zum Wiederanfahren einzureichen. Chubu Electric hat das im Februar getan. 2013 hat Japans Atomwirtschaft zehn Milliarden Euro ausgegeben, um Kraftwerke nachzurüsten. Dieses Jahr wird dieser Betrag übertroffen.
Die Mehrheit der Japaner ist gegen Kernenergie. Nachdem am vergangenen Wochenende mehrere Anti-AKW-Demos stattfanden, bestätigte Abe – ausgerechnet am Vorabend des Jahrestages der Tsunami- und Nuklearkatastrophe – im Parlament, er werde „sichere Meiler“ möglichst bald wieder ans Netz lassen. Zuvor werde man Anwohnern deren Sicherheit und Notwendigkeit erklären. Unterdessen wehren sich die Betreiberfirmen derzeit noch vehement gegen neue Sicherheitsauflagen: In einigen Fällen bestreiten sie sogar die Existenz von nachgewiesenen Erdbebenbruchlinien. Andere schummeln einfach. „Strenge Regeln alleine nützen nichts“, sagt der Chef der neuen Atomaufsichtsbehörde, Shunichi Tanaka. „Die Betreiberfirmen brauchen eine fundamental andere Sicherheitskultur.“
Fröstelnd kehren einige Surfer auf den Parkplatz zurück. Befürchten sie, ihre raue Idylle zu verlieren? Bis vor drei Jahren konnte man auch unweit von Fukushima surfen. Einer antwortet: „Was soll ich sagen, ich arbeite im Kraftwerk.“ Bei Vollbetrieb beschäftigte das Kraftwerk 3000 Menschen. Man müsse froh sein, Arbeit zu haben. „Natürlich haben wir Arbeiter Angst vor einem Erdbeben.“
Der Besucherpavillon von Hamaoka ist einem Reaktor nachempfunden, hier wirbt der Betreiber um Vertrauen in seine Technik. Gerade hat man mit dem Bau eines gigantischen Tsunami-Schutzwalls begonnen, 1,6 Kilometer lang, 22 Meter hoch. 40000 Tonnen Stahl werden verbaut. Sollten die Fluten den Wall überwinden, schalten sich energieautonome Pumpsysteme ein. Bis vor drei Jahren war es tabu, von Notfallmaßnahmen in Atomkraftwerken überhaupt zu reden – meist gab es gar keine –, jetzt macht der Besucherpavillon Schüler-, Rentner- und Beamtengruppen mit jedem ihrer Details vertraut. Im Pavillon funktionieren sie reibungslos.
Wer 40000 Tonnen Stahl verbaut, rechnet damit, diese Kosten wieder einzufahren. Oder will Chubu Electric vollendete Tatsachen schaffen? Die Nachrüstung des Kraftwerks wird umgerechnet mindestens 2,5 Milliarden Euro kosten. Der Betreiber scheint nicht daran zu zweifeln, dass das gefährlichste Kernkraftwerk der Welt wieder eine Betriebsbewilligung erhält. Doch das Unternehmen hält sich auch andere Optionen offen.
Auf den Klippen, hinter dem Leuchtturm, stehen bereits einige Windmühlen, weitere werden gebaut. Und neben dem wuchtigen Besucherpavillon wirbt ein bescheidenerer Neubau für erneuerbare Energien. Bisher ist ein Zehntel der neuen Tsunami-Mauer gebaut. Im aufziehenden Nebel wirkt sie wie eine überdimensionierte mittelalterliche Wehrburg.
Der surfende AKW-Arbeiter hat sich abgetrocknet und angezogen. Im geheizten Auto sagt er: „Dieses Jahr werden die Reaktoren garantiert noch nicht angefahren, nächstes Jahr auch nicht. Das dauert noch lange.“