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Mit doppelter Zunge

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Die „Alternative für Deutschland“ ist eine junge Partei, aber an diesem Abend in Freiberg sieht es so aus, als würde sie mit großer Akribie eine Ortsverbandssitzung der alten Adenauer-CDU nachspielen wollen. Die Partei hat zu einem „Themenstammtisch“ geladen, 20 Leute sind gekommen, der Stammtisch wurde im Gasthof „Letzter 3er“ aus ein paar kleinen Tischen zusammengeschoben. Plastikflora wuchert an den Wänden, schwere Vorhänge machen sich breit, wo einmal Fenster gewesen sein müssen. Um 19 Uhr soll es losgehen, um 18:58 Uhr stellt einer den AfD-Wimpel auf den Tisch. Seit November gibt es den Kreisverband, schon jetzt hängt ihm der Muff in den Kleidern.



Euro- und einwandererkritisch - AfD-Landesvorsitende Petry

Themenstammtisch. Von der Mentalität her kommt das hin, mit dem Thema aber gibt es nun Probleme. „Einwanderung braucht Regeln“, hatte es in der Einladung geheißen. Deutlicher Indikativ, Ausrufezeichen im Subtext – das hätte wohl gut funktioniert. Nun aber ist der Dozent erkrankt, der Kreisvorsitzende bittet um Entschuldigung für den Fall, dass „Sie heute gekommen sind, um über Einwanderer und Regeln zu sprechen. Ich hatte mich auch sehr auf das Thema und den Dozenten gefreut.“ An seiner statt kündigt ein Professor der Freiberger TU nun an, dem Publikum „die Augen zu öffnen“, und zwar über „die interessengetriebenen Medien“ und deren Ausführungen zum „sogenannten Klimawandel“. Einen ehemaligen Umweltminister nennt er darauf gleich drei Mal „Jürgen Tritt ihn“ und gibt sich damit als das zu erkennen, was der Abend als Ganzes auch ist: eine Karikatur, so komplex wie ein Witz von Mario Barth.

Solche ersten Eindrücke kann man gewinnen von jener Partei, die derzeit fast alle Wenn-dann-Rechenspiele im Landtagslotto bestimmt. Noch regiert in Sachsen die letzte schwarz-gelbe Koalition vor sich hin, mit dem Tempo und mit dem Charme einer Fahrt im Überlandbus. Am 30. August aber wird ein neues Parlament gewählt, und der jüngsten Umfrage zufolge könnte es der erste Landtag sein, in den die AfD einzieht. Es muss natürlich nicht so kommen, aber schon die Vorstellung ist ein kleines Beben: Ob die Grünen wieder in den Landtag kommen, ist noch nicht sicher (5%). Die FDP (2%) leidet unter ihrer siechen Bundesmutter, die NPD (1%) auf spektakuläre Weise unter sich selbst. Die AfD? Derzeit bei satten sieben Prozent.

In Kenntnis dieses Zwischenstandes sehen einige in der sächsischen AfD so etwas wie ein nützliches Übel. Das Übel fanden sie nach dem Parteitag Anfang März, als man die Datei mit dem Wahlprogramm durchsuchen und fündig werden konnte: „keine Integrationsfolklore“, mehr deutsche Musik im Radio, „Volksabstimmungen über Moscheebauten mit Minaretten“. Die Nützlichkeit der AfD könnte darin bestehen, als irgendwie-noch-salonfähige Kraft ein paar Abgeordnetenstühle am rechten Rand zu besetzen, auf Kosten vor allem der NPD. Das aber ist nur die Theorie. In der Praxis steht Sachsens Bevölkerung vor der noch unbeantworteten Frage, wen genau man sich da eigentlich ins hohe Haus wählen würde.

Frauke Petry streicht sich sanft über das Handgelenk und genauso sanft, fast nachgiebig ist ihr Blick, als die Kanzlerin und Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich an ihr vorbeifliegen wie die Spitze des Pelotons an einem Zaungast. Die CDU hat am Montagabend zu einer „Denkfabrik“ in den Dresdner Flughafen geladen, die AfD-Landesvorsitzende Petry hat mit ihrem Stellvertreter eingecheckt, „zur Konkurrenzbeobachtung“ wie sie sagt. Die Rede Merkels handelt sie hinterher eher gelangweilt ab, „bisschen Energie, bisschen Werte, bisschen Einwanderung. Naja.“

Frauke Petry, 38, ist so etwas wie die Ursula von der Leyen der AfD – vierfache Mutter, ambitioniert in der Partei, und fast immer ein offensives Lächeln im Gesicht, das seinen Grund selten preisgibt. Sie hat die sächsische AfD in der Fläche wurzeln lassen, wenn auch naturgemäß erst einmal flach. Sie hat die allergrößten Spinner auf Abstand gebracht oder gehalten. Vor allem aber hat sie bisher Talent darin bewiesen, gerade laut genug zu poltern, um potenzielle Wähler einzufangen und gleichzeitig die Partei nicht hoffnungslos schmuddelig wirken zu lassen.

So etwas gelingt nur dem, der eine feine doppelte Zunge hat, und mit einer solchen spricht die AfD in ihrem Wahlprogramm unter anderem in Punkt IV.2.3. „Integrierende Bürgerarbeit für arbeitslose Migranten“ wird da gefordert. Am Stammtisch oder auch Themenstammtisch könnte man das konservativ deuten: Richtig so, die Ausländer sollen arbeiten. Frauke Petry aber sagt, in einigen Forderungen sei ihre Partei „sogar liberaler als die Konkurrenz, zum Beispiel dann, wenn wir sagen, dass Asylbewerber arbeiten dürfen.“ In die Vollen geht es sprachlich nur, wenn die anderen den Schaden haben, wie neulich, als ein Gemeinderat in Großrückerswalde von der NPD-Liste zur CDU wechselte und dort aufgenommen wurde – nachdem die AfD ihn abgelehnt hatte. Man war: „bestürzt“.

Schon zur Bundestagswahl erreichte die AfD in Sachsen Bestwerte, fast sieben Prozent. Das Ergebnis war der Ausdruck einer diffusen Angst, die es bei vielen Menschen hier gibt, nämlich einer Angst vor Verlust und Überfremdung – obwohl Sachsen unter den Ost-Ländern wirtschaftlich hervorragend dasteht und der Ausländeranteil mit weniger als drei Prozent äußerst gering ist. Darf man es also Populismus nennen, diese Ängste auch noch zu bedienen? Natürlich nicht, sagt Petry. „Uns wird immer vorgeworfen, wir wären taktisch. Wir sind total untaktisch! Wir kümmern uns um die Themen, die an uns herangetragen werden.“ Und wenn man sie dann fragt, wo sie gerne säße, zöge ihre Partei in den Landtag ein, sagt Petry nur halb im Spaß: „Am liebsten würden wir vorne sitzen.“

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