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Über die Schulter geschaut

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Wer im Internet nach einer Wettervorhersage oder nach Nachrichten sucht, nach Tests von Oldtimern oder Computerspielen, der fühlt sich dabei unbeobachtet. Doch das ist ein Trugschluss. Das geht aus einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts hervor. Die Forscher haben von November 2012 bis Januar dieses Jahres im Abstand weniger Tage immer wieder in Deutschland häufig angesteuerte Internetseiten auf sogenannte Tracker überprüft. Das sind Programmcodes, die in eine Webseite gewebt sind – und dafür sorgen, dass in dem Moment, in dem der Browser die Seite aufbaut, eine weitere Internetverbindung zu jemandem aufgebaut wird, der verfolgen kann, welche Seiten man sonst noch so ansteuert und wie lange man dort an welcher Stelle verweilt. So lassen sich Rückschlüsse auf Gewohnheiten ziehen. Wer nicht nur mit dem Computer im Netz surft, sondern auch einen smarten Fernseher oder eine smarte Armbanduhr nutzt, ist noch besser zu durchschauen.




Wenn dir im Internet nur noch teure Sachen vorgeschlagen werden, kann es daran liegen, dass du in der Vergangenheit viel Geld ausgegeben hast – und das wurde gespeichert

Den Spitzenwert in der Untersuchung des Fraunhofer-Instituts erreichte die Internetseite des Rechenzentrumsbetreibers IGN. Dort schauten einem 113 Tracker über die Schulter. Aber auf motor-klassik.de, wetter.com oder den Nachrichtenportalen von Lokalzeitungen wie Berliner Kurier, Hessische Niedersächsische Allgemeine oder Rheinische Post waren es immerhin noch mehr als 70 Tracker. Für problematisch halten die Forscher dies vor allem, weil der Einzelne diejenigen, die ihn da verfolgen, nicht kennt – und eine Beobachtung auch nicht erlaubt hat. Die Möglichkeiten, die so gesammelten Daten zu Geld zu machen, sind vielfältig: So lässt sich die Zahlungsbereitschaft abschätzen, und Onlineshops können Kunden, bei denen das Geld in der Vergangenheit locker saß, in Zukunft ausschließlich teure Produkte anzeigen. Krankenversicherungen können ihre Tarife nach der Risikobereitschaft ihrer Mitglieder ausrichten. Und bestimmte Tracker haben sich auf Kinder spezialisiert, weil diese einer Werbebotschaft eher nachgeben als ihre Eltern.

Für besonders heikel hält es Markus Schneider, Autor der Studie, wenn Unternehmen als Anbieter von Internetdiensten auftreten – und gleichzeitig als Tracker ihre Werkzeuge auch in andere Internetseiten weben. „Dann ist es nämlich gut möglich, dass die über Tracking klammheimlich gewonnenen Einblicke mit der echten Identität eines Verbrauchers in Beziehung gesetzt werden können. So verrät er Internetunternehmen Dinge über sich, die er wahrscheinlich einem Marktforscher nie verraten würde“, sagt Schneider. Der Internetkonzern Google beispielsweise analysiert nicht nur all das, was man – zumeist unter seinem Namen – einloggt, beim E-Mail-Dienst oder dem Kalender notiert. Er legt seine Tracker-Werkzeuge aber auch auf anderen Seiten aus und kann so verfolgen, was man dort macht. Zusammengefügt ergeben diese Informationen ein noch besseres Bild. Und je seltener der eigene Name, desto größer die Gefahr, wiedererkannt zu werden.

Es gibt für die in Deutschland wichtigen Webseiten eine Handvoll von Schutzlisten. Ist ein Tracker in solch einer Liste enthalten, wird die Verbindung, die beim Ansteuern der Seite aufgebaut werden soll, blockiert. Eine Liste hat das Fraunhofer-Institut im Auftrag von Microsoft erstellt. Sie ist in Microsofts Internet Explorer bereits integriert, kann aber auch von anderen kostenlos aus dem Netz heruntergeladen werden. Andere Browser wie Chrome oder Firefox verfügen über Schutzmechanismen, die man allerdings erst installieren muss.

„Es gibt Unternehmen, deren Geschäftsmodell basiert auf diesen Daten. Und diese werden auch weiterhin das Mögliche versuchen, um Daten sammeln zu können. Sei es, indem sie an den technischen Methoden feilen, sei es durch eine bessere Lobbyarbeit, um strengere Regeln zu verhindern“, sagt Schneider. „Es geht nicht darum, Tracking zu verbieten, aber der Einzelne sollte entscheiden können, ob er seine Daten preisgibt.“ Genau dies sieht eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 vor. In Frankreich und Großbritannien wurde sie bereits umgesetzt, in Deutschland noch nicht. Deshalb wird, wer etwa die Seite der französischen Tageszeitung Le Monde ansteuert, gefragt, ob er seine Daten preisgeben und den Trackern erlauben will, die Fährte aufzunehmen. Bei einem deutschen Nachrichtenportal passiert dies noch nicht.

Dabei, so betont Schneider, dürfe der Verbraucher in dieser ebenso komplizierten wie sich wandelnden Technikwelt nicht alleingelassen werden. „Es sollten auch diejenigen geschützt sein, die nicht über das entsprechende Fachwissen verfügen. Es wäre besser, wenn es eine faire Informationspraxis geben würde, bei der erst Daten gesammelt werden, wenn ein Nutzer zugestimmt hat. Heute ist das leider anders, und es wird erst einmal alles gesammelt. Und nur der, der informiert ist, kann sich schützen.“

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