Peter Thiel trägt Jeans, Turnschuhe und ein kariertes Hemd. Das ist sozusagen die Ausgehuniform in Silicon Valley. Um so gediegener wirkt seine Büroetage im Presidio Park von San Francisco, die sich so vornehm anfühlt wie eine jener New Yorker Anwaltskanzleien, die 1000 Dollar pro Stunde nehmen. Auf weichen Teppichen, vorbei an Kinoplakaten und Tischen mit Schachbrettern, die auf die Leidenschaft des Hausherrn anspielen, wird man in ein getäfeltes Konferenzzimmer geleitet.
Lernen ohne Uni - Peter Thiel will begabten Kids helfen, eigene Wege zu gehen
Thiel, der 1967 in Frankfurt geboren wurde, war ein Jahr alt, als seine Eltern nach Amerika zogen. Heute managt er eine Firma für Risikokapital. Das machen viele im Valley, aber Thiel, ein mit Garry Kasparov befreundeter Spitzenschachspieler, der in Stanford Philosophie und Jura studierte, der sich für Mathematik und Technik begeistert, gilt als Wunderkind des Investmentbusiness. In der IT-Branche hat er ein Vermögen gemacht.
Vor mehr als zehn Jahren hatte er mit seinem Freund Elon Musk, dem Tesla-Automann, beschlossen, ihre Firma PayPal an die Börse zu bringen. Für anderthalb Milliarden Dollar. Thiel war gerade 35 – und plötzlich 55 Millionen reicher. Später gab Thiel einem jungen Studienabbrecher für sein Projekt eine halbe Million Kredit. Der Dropout hieß Mark Zuckerberg.
Der hatte 30 Meilen weiter südlich, in Palo Alto, sein erstes Facebook-Hauptquartier aufgeschlagen. Nachmieter wurde: Palantir Technologies, von Thiel benannt nach den hellseherischen Steinen in Tolkiens „Der Herr der Ringe“. Thiel hatte es 2004 mit einem Einsatz von 30 Millionen Dollar mitgegründet. Palantir ist heute an die drei Milliarden wert.
Palantir sollte jeder kennen, der bei NSA mitreden will. Es ist eine Software, welche die geradezu magische Fähigkeit hat, Muster aus Datengebirgen zu fischen. Thiel ist politisch ein Libertärer, einer, der den Staat klein halten will. Dessen Regulierungswut ist ihm ein Gräuel. Wie rechtfertigt er es also, dem Überwachungsstaat zuzuarbeiten? „9/11 war eine Katastrophe für die persönlichen Freiheiten in den USA“, grollt er. „Noch so ein großer Terroranschlag würde unsere Freiheiten weit mehr kompromittieren. Als Libertärer möchte ich das verhindern. Eine ausgefeilte Technologie scheint mir der beste Weg zu sein.“
Thiel investierte in Facebook und Palantir im selben Jahr. Der Vermutung, dass hier mal wieder seine Einsicht in die Macht von Big Data offenbar werde, begegnet er so: „Ich möchte die Verbindung hier nicht übertreiben. Soziale Netzwerke sind bedeutsam, weil sie die menschlichen Beziehungen verändern. Andererseits baute Palantir auf der Überzeugung auf, dass konventionelle Sicherheitspolitik zum Scheitern verurteilt ist – und dass ein verbessertes Überwachungssystem der Schlüssel für ein 21. Jahrhundert ist, in dem der Terrorismus nicht gewinnt.“
Thiel liest in seiner Freizeit Leo Strauss, den deutsch-amerikanischen Philosophen, dessen Kritik am (links-)liberalen Denken noch immer großen Einfluss hat. Thiel ist kein Techfreak, der mit dem gerade angesagten Spielzeug angibt. Er ist kein Gates oder Zuckerberg, sondern eine rare Kombination aus Geschäftssinn und Tiefgang. Aber er löckt gern wider den Stachel – seit drei Jahren mit der scheinbar absurden Idee, junge Leute vom Studium abzuhalten und sie dafür zu bezahlen.
Thiel, der seine Ausbildung in Stanford erhalten hat, an einer Uni, die so manche inzwischen an Harvard vorbeiziehen sehen, hält nicht viel von der heutigen höheren Bildung. Er benutzt sogar das Wörtchen „Blase“. Aufgepumpt werde sie durch die Gebühren, welche Amerikas Top-Universitäten Jahr für Jahr anheben. Er ist überzeugt, dass die angehäuften Schulden die fertigen Studenten nur in Branchen treiben, wo das große Geld winkt – in den Finanzsektor etwa. Oder in die superteuren Kanzleien. Mithin würden Technologie-Durchbrüche immer seltener werden.
Der Mäzen rief im Jahr 2011 sein berühmtes „20 under 20“-Projekt aus. Zwanzig junge Menschen (unter zwanzig Jahre alt) sollten jeweils 100000 Dollar für zwei Jahre erhalten, um ihre Startup- Ideen verwirklichen zu können. Unter einer einzigen Bedingung: In dieser Zeit darf keine Universität besucht werden. Aus aller Welt gibt es Bewerber für dieses ungewöhnliche Programm.
Wie sich der Stifter das konkret vorstellt? Sein bestes Beispiel für die Überlegenheit des selbstgesteuerten Lernens außerhalb schulischer und akademischer Räume ist Isaac Newton. „Als Cambridge 1665 wegen der Pest geschlossen wurde, nutzte Newton die unterrichtsfreie Zeit, um ohne jegliche Anleitung die Differenzial- und Integralrechnung zu erfinden. Das einzige was zählt,“ so Thiel, „ist der Drang, etwas Bedeutendes zu leisten.“
Dabei betrachtet Thiel den „so genannten technischen Fortschritt“ mit Skepsis. „Wir haben von fliegenden Autos geträumt“, höhnt er, „und gekriegt haben wir 140 Zeichen.“ Offensichtlich hält er von Twitter, „gut für nicht mehr als 500 sichere Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren“, so wenig wie von einer formalisierten Hochschulausbildung. Die sei reine Geld- und Zeitverschwendung. „Lernen muss nicht im universitären Kontext stattfinden, Lernen ereignet sich auch in ausführlichen Gesprächen“, stellt Thiel klar.
Wie hält er es dann mit den Geisteswissenschaften – mit Nabokov und Platon? Gönnt er den jungen Menschen nicht Bildung im klassischen Sinne? „Das können sie doch trotzdem lesen“, schießt Thiel zurück. Eltern und Universitäten schrien damals auf, zumal jene, deren Superkids plötzlich ihr Studium hinschmissen, um Fellows bei „20 under 20“ zu werden. „Das zeigt doch nur, wie uniform wir denken, wenn es um Ausbildung geht“, meint Thiel. Herden-Denken eben. „Meine Ansage ist nicht, dass niemand aufs College gehen sollte, meine Ansage ist, dass nicht alle talentierten jungen Leute aufs College gehen müssen. Die Nuancen werden übersehen. Wir reden von zwanzig Leuten, die besseres tun können, als zu studieren...zwanzig unter Millionen von Studenten.“
Taylor Wilson ist einer von den zwanzig. Er war 18, als er Fellow wurde. Mit 14 hat er seinen ersten Reaktor in der Garage seiner Eltern gebaut. Sein großer Traum ist ein Fusionsreaktor, der unbegrenzte Energie liefern würde – sozusagen als zivilisierte H-Bombe. Einstweilen beschäftigt sich der junge Mann mit bescheideneren Zielen: Wie kann man versteckte Kernwaffen aufspüren? Wie kann man Krebs mit Hilfe der Nuklear-Technologie diagnostizieren? Wilson, der schon Fortgeschrittene in Physik unterrichtet hat, weiß nicht, was er an der Uni soll. Stattdessen will er seine Ideen verwirklichen und kommerziell verwerten.
Laura Deming hat mit zwölf Jahren schon molekulare Biologie studiert und 14-jährig am MIT angedockt. Altersbedingte Krankheiten ihrer Großmutter hatten bei ihr den Wunsch geweckt, das Altern verlangsamen zu können. Sie sucht nach Therapien, die die Altersbeschädigungen aufhalten oder gar umdrehen. Als Thiel Fellow lernt sie aber nicht nur, die Forschung voranzutreiben, sondern auch Investoren für sich und ihre Ideen zu gewinnen.
Daniel Zulla ist 19 und kommt aus Regensburg. Er ist dabei, eine nicht-hackbare Computerarchitektur vorzustellen, die für Server und Desktop Computer gleichermaßen geeignet ist. Andere Stipendiaten wollen die Effizienz von Krankenversicherungen verbessern oder mit Nanotechnologie experimentieren.
Die Projekte der bis heute 63 Fellows haben nicht nur die Auswahlgremien beeindruckt, sondern auch die „Kundschaft“. 2013 haben sich 600 junge Leute auf die 20 Plätze beworben. Es ist keine sorgfältig nach Geschlecht und Herkunft ausbalancierte Truppe, wie man sie aus den amerikanischen Unis kennt. Sie sind weiß oder asiatisch, in der Mehrheit Amerikaner oder Kanadier. Nur fünf Frauen sind dabei „Mit Diskriminierung hat das ehrlich nichts zu tun“, beteuert Thiel, der kein Freund von Quoten ist. „Der Mangel an Frauen unter den Fellows spiegelt nur den Mangel im gesamten Technik-Sektor wider.“ Silicon Valley ist in der Tat kein Mädchen-Paradies.
Als Bonus kriegen die Fellows Zugang zu Thiels weltumspannendem Netzwerk. Dort kommen ihre Mentoren her, auch die Gelder. Die beiden ersten Jahrgänge haben mehr als 30 Firmen gegründet und über 34 Millionen Dollar eingeworben. „Sie haben unsere Erwartungen übertroffen und alle daran erinnert, dass intellektuelle Neugier, Durchhaltevermögen und Entschlossenheit mehr zählen für den Erfolg im Leben – als akademische Titel“, notiert Thiel mit kaum unterdrücktem Stolz.
Ist dieser Milliardär zum Hobby-Wohltäter mutiert? Vorweg stellt er eine Plattform für Hochbegabte zur Verfügung. Ihr Talent müssen sie beweisen, indem sie sich mit ihren Ideen über mehrere Runden einer scharfen Auswahl stellen. Thiel sitzt auch dabei und fragt kritisch nach. Dann müssen sie für sich selber fechten. Sie haben keine Tutoren und keine Lehrer. Allmonatlich müssen sie ihren Fortschritt dokumentieren. Vier Mal im Jahr werden sie geprüft.
Und was passiert mit den Fellows, die mit ihren Ideen am Ende nicht überzeugen? „Im schlimmsten Fall“, meint Thiel, „gehen sie zurück an die Uni – reicher an Erfahrung.“ So würden aus Nicht-Studenten bessere Studenten. Und die anderen? „Die meisten“, so Thiel, „werden sich in andere Start-ups einklinken. Unsere Absolventen sind nach zwei Jahren so gut aufgestellt, dass sie die für sie passenden Projekte entdecken werden.“
Thiel ist mit seiner Skepsis gegenüber der Bildungsgläubigkeit ein Außenseiter im Silicon Valley, das ohne Stanford nicht denkbar gewesen wäre. Schaut man aber genauer hin, passt er doch in diese Welt, die sich täglich neu erfindet. Thiel ist ein Teil des Spektrums. Den anderen markieren all die neuen Bildungsprojekte, die im Valley gerade ausprobiert werden. Sebastian Thruns Udacity und Daphne Kollers Coursera stehen stellvertretend für die Speerspitze der MOOCS, der Massive Open Online Courses, welche die alte Universität demokratisieren wollen und revolutionieren könnten. Im digitalen Klassenzimmer unterrichtet einer Hunderttausende – und das für den Bruchteil der Gebühren, die eine Campus-Universität erhebt.
Es tut sich etwas in der höheren Bildung, wie wir sie seit tausend Jahren kennen. Thiels „20 under 20“ ist das kleinste Zukunftsprojekt und das einzige, das sich nur Hochbegabten widmet und dem Entrepreneurtum gewidmet ist. Thiel betont immer wieder, dass Lernen nicht unbedingt die steingewordene Universität erfordert. Er geißelt den College-Abschluss als „säkulare Erlösungsideologie“. Sein Lieblingsbeispiel ist Yale, wo die Neuankömmlinge vor ein paar Jahren vom Dekan mit der falschen Verheißung begrüßt wurden: „You are set for life“ – dass sie es nun geschafft hätten, „wer ist mit 18 Jahren für den Rest seines Lebens auf der rechten Schiene?“
Sein „20 under 20“ bietet einer winzigen Zahl von Überfliegern einen neuen Weg an. Aber die Garantien, wie sie der Dekan von Yale vorgaukelte, die würde Thiel nicht im Traum seinen Überfliegern geben wollen.
Lernen ohne Uni - Peter Thiel will begabten Kids helfen, eigene Wege zu gehen
Thiel, der 1967 in Frankfurt geboren wurde, war ein Jahr alt, als seine Eltern nach Amerika zogen. Heute managt er eine Firma für Risikokapital. Das machen viele im Valley, aber Thiel, ein mit Garry Kasparov befreundeter Spitzenschachspieler, der in Stanford Philosophie und Jura studierte, der sich für Mathematik und Technik begeistert, gilt als Wunderkind des Investmentbusiness. In der IT-Branche hat er ein Vermögen gemacht.
Vor mehr als zehn Jahren hatte er mit seinem Freund Elon Musk, dem Tesla-Automann, beschlossen, ihre Firma PayPal an die Börse zu bringen. Für anderthalb Milliarden Dollar. Thiel war gerade 35 – und plötzlich 55 Millionen reicher. Später gab Thiel einem jungen Studienabbrecher für sein Projekt eine halbe Million Kredit. Der Dropout hieß Mark Zuckerberg.
Der hatte 30 Meilen weiter südlich, in Palo Alto, sein erstes Facebook-Hauptquartier aufgeschlagen. Nachmieter wurde: Palantir Technologies, von Thiel benannt nach den hellseherischen Steinen in Tolkiens „Der Herr der Ringe“. Thiel hatte es 2004 mit einem Einsatz von 30 Millionen Dollar mitgegründet. Palantir ist heute an die drei Milliarden wert.
Palantir sollte jeder kennen, der bei NSA mitreden will. Es ist eine Software, welche die geradezu magische Fähigkeit hat, Muster aus Datengebirgen zu fischen. Thiel ist politisch ein Libertärer, einer, der den Staat klein halten will. Dessen Regulierungswut ist ihm ein Gräuel. Wie rechtfertigt er es also, dem Überwachungsstaat zuzuarbeiten? „9/11 war eine Katastrophe für die persönlichen Freiheiten in den USA“, grollt er. „Noch so ein großer Terroranschlag würde unsere Freiheiten weit mehr kompromittieren. Als Libertärer möchte ich das verhindern. Eine ausgefeilte Technologie scheint mir der beste Weg zu sein.“
Thiel investierte in Facebook und Palantir im selben Jahr. Der Vermutung, dass hier mal wieder seine Einsicht in die Macht von Big Data offenbar werde, begegnet er so: „Ich möchte die Verbindung hier nicht übertreiben. Soziale Netzwerke sind bedeutsam, weil sie die menschlichen Beziehungen verändern. Andererseits baute Palantir auf der Überzeugung auf, dass konventionelle Sicherheitspolitik zum Scheitern verurteilt ist – und dass ein verbessertes Überwachungssystem der Schlüssel für ein 21. Jahrhundert ist, in dem der Terrorismus nicht gewinnt.“
Thiel liest in seiner Freizeit Leo Strauss, den deutsch-amerikanischen Philosophen, dessen Kritik am (links-)liberalen Denken noch immer großen Einfluss hat. Thiel ist kein Techfreak, der mit dem gerade angesagten Spielzeug angibt. Er ist kein Gates oder Zuckerberg, sondern eine rare Kombination aus Geschäftssinn und Tiefgang. Aber er löckt gern wider den Stachel – seit drei Jahren mit der scheinbar absurden Idee, junge Leute vom Studium abzuhalten und sie dafür zu bezahlen.
Thiel, der seine Ausbildung in Stanford erhalten hat, an einer Uni, die so manche inzwischen an Harvard vorbeiziehen sehen, hält nicht viel von der heutigen höheren Bildung. Er benutzt sogar das Wörtchen „Blase“. Aufgepumpt werde sie durch die Gebühren, welche Amerikas Top-Universitäten Jahr für Jahr anheben. Er ist überzeugt, dass die angehäuften Schulden die fertigen Studenten nur in Branchen treiben, wo das große Geld winkt – in den Finanzsektor etwa. Oder in die superteuren Kanzleien. Mithin würden Technologie-Durchbrüche immer seltener werden.
Der Mäzen rief im Jahr 2011 sein berühmtes „20 under 20“-Projekt aus. Zwanzig junge Menschen (unter zwanzig Jahre alt) sollten jeweils 100000 Dollar für zwei Jahre erhalten, um ihre Startup- Ideen verwirklichen zu können. Unter einer einzigen Bedingung: In dieser Zeit darf keine Universität besucht werden. Aus aller Welt gibt es Bewerber für dieses ungewöhnliche Programm.
Wie sich der Stifter das konkret vorstellt? Sein bestes Beispiel für die Überlegenheit des selbstgesteuerten Lernens außerhalb schulischer und akademischer Räume ist Isaac Newton. „Als Cambridge 1665 wegen der Pest geschlossen wurde, nutzte Newton die unterrichtsfreie Zeit, um ohne jegliche Anleitung die Differenzial- und Integralrechnung zu erfinden. Das einzige was zählt,“ so Thiel, „ist der Drang, etwas Bedeutendes zu leisten.“
Dabei betrachtet Thiel den „so genannten technischen Fortschritt“ mit Skepsis. „Wir haben von fliegenden Autos geträumt“, höhnt er, „und gekriegt haben wir 140 Zeichen.“ Offensichtlich hält er von Twitter, „gut für nicht mehr als 500 sichere Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren“, so wenig wie von einer formalisierten Hochschulausbildung. Die sei reine Geld- und Zeitverschwendung. „Lernen muss nicht im universitären Kontext stattfinden, Lernen ereignet sich auch in ausführlichen Gesprächen“, stellt Thiel klar.
Wie hält er es dann mit den Geisteswissenschaften – mit Nabokov und Platon? Gönnt er den jungen Menschen nicht Bildung im klassischen Sinne? „Das können sie doch trotzdem lesen“, schießt Thiel zurück. Eltern und Universitäten schrien damals auf, zumal jene, deren Superkids plötzlich ihr Studium hinschmissen, um Fellows bei „20 under 20“ zu werden. „Das zeigt doch nur, wie uniform wir denken, wenn es um Ausbildung geht“, meint Thiel. Herden-Denken eben. „Meine Ansage ist nicht, dass niemand aufs College gehen sollte, meine Ansage ist, dass nicht alle talentierten jungen Leute aufs College gehen müssen. Die Nuancen werden übersehen. Wir reden von zwanzig Leuten, die besseres tun können, als zu studieren...zwanzig unter Millionen von Studenten.“
Taylor Wilson ist einer von den zwanzig. Er war 18, als er Fellow wurde. Mit 14 hat er seinen ersten Reaktor in der Garage seiner Eltern gebaut. Sein großer Traum ist ein Fusionsreaktor, der unbegrenzte Energie liefern würde – sozusagen als zivilisierte H-Bombe. Einstweilen beschäftigt sich der junge Mann mit bescheideneren Zielen: Wie kann man versteckte Kernwaffen aufspüren? Wie kann man Krebs mit Hilfe der Nuklear-Technologie diagnostizieren? Wilson, der schon Fortgeschrittene in Physik unterrichtet hat, weiß nicht, was er an der Uni soll. Stattdessen will er seine Ideen verwirklichen und kommerziell verwerten.
Laura Deming hat mit zwölf Jahren schon molekulare Biologie studiert und 14-jährig am MIT angedockt. Altersbedingte Krankheiten ihrer Großmutter hatten bei ihr den Wunsch geweckt, das Altern verlangsamen zu können. Sie sucht nach Therapien, die die Altersbeschädigungen aufhalten oder gar umdrehen. Als Thiel Fellow lernt sie aber nicht nur, die Forschung voranzutreiben, sondern auch Investoren für sich und ihre Ideen zu gewinnen.
Daniel Zulla ist 19 und kommt aus Regensburg. Er ist dabei, eine nicht-hackbare Computerarchitektur vorzustellen, die für Server und Desktop Computer gleichermaßen geeignet ist. Andere Stipendiaten wollen die Effizienz von Krankenversicherungen verbessern oder mit Nanotechnologie experimentieren.
Die Projekte der bis heute 63 Fellows haben nicht nur die Auswahlgremien beeindruckt, sondern auch die „Kundschaft“. 2013 haben sich 600 junge Leute auf die 20 Plätze beworben. Es ist keine sorgfältig nach Geschlecht und Herkunft ausbalancierte Truppe, wie man sie aus den amerikanischen Unis kennt. Sie sind weiß oder asiatisch, in der Mehrheit Amerikaner oder Kanadier. Nur fünf Frauen sind dabei „Mit Diskriminierung hat das ehrlich nichts zu tun“, beteuert Thiel, der kein Freund von Quoten ist. „Der Mangel an Frauen unter den Fellows spiegelt nur den Mangel im gesamten Technik-Sektor wider.“ Silicon Valley ist in der Tat kein Mädchen-Paradies.
Als Bonus kriegen die Fellows Zugang zu Thiels weltumspannendem Netzwerk. Dort kommen ihre Mentoren her, auch die Gelder. Die beiden ersten Jahrgänge haben mehr als 30 Firmen gegründet und über 34 Millionen Dollar eingeworben. „Sie haben unsere Erwartungen übertroffen und alle daran erinnert, dass intellektuelle Neugier, Durchhaltevermögen und Entschlossenheit mehr zählen für den Erfolg im Leben – als akademische Titel“, notiert Thiel mit kaum unterdrücktem Stolz.
Ist dieser Milliardär zum Hobby-Wohltäter mutiert? Vorweg stellt er eine Plattform für Hochbegabte zur Verfügung. Ihr Talent müssen sie beweisen, indem sie sich mit ihren Ideen über mehrere Runden einer scharfen Auswahl stellen. Thiel sitzt auch dabei und fragt kritisch nach. Dann müssen sie für sich selber fechten. Sie haben keine Tutoren und keine Lehrer. Allmonatlich müssen sie ihren Fortschritt dokumentieren. Vier Mal im Jahr werden sie geprüft.
Und was passiert mit den Fellows, die mit ihren Ideen am Ende nicht überzeugen? „Im schlimmsten Fall“, meint Thiel, „gehen sie zurück an die Uni – reicher an Erfahrung.“ So würden aus Nicht-Studenten bessere Studenten. Und die anderen? „Die meisten“, so Thiel, „werden sich in andere Start-ups einklinken. Unsere Absolventen sind nach zwei Jahren so gut aufgestellt, dass sie die für sie passenden Projekte entdecken werden.“
Thiel ist mit seiner Skepsis gegenüber der Bildungsgläubigkeit ein Außenseiter im Silicon Valley, das ohne Stanford nicht denkbar gewesen wäre. Schaut man aber genauer hin, passt er doch in diese Welt, die sich täglich neu erfindet. Thiel ist ein Teil des Spektrums. Den anderen markieren all die neuen Bildungsprojekte, die im Valley gerade ausprobiert werden. Sebastian Thruns Udacity und Daphne Kollers Coursera stehen stellvertretend für die Speerspitze der MOOCS, der Massive Open Online Courses, welche die alte Universität demokratisieren wollen und revolutionieren könnten. Im digitalen Klassenzimmer unterrichtet einer Hunderttausende – und das für den Bruchteil der Gebühren, die eine Campus-Universität erhebt.
Es tut sich etwas in der höheren Bildung, wie wir sie seit tausend Jahren kennen. Thiels „20 under 20“ ist das kleinste Zukunftsprojekt und das einzige, das sich nur Hochbegabten widmet und dem Entrepreneurtum gewidmet ist. Thiel betont immer wieder, dass Lernen nicht unbedingt die steingewordene Universität erfordert. Er geißelt den College-Abschluss als „säkulare Erlösungsideologie“. Sein Lieblingsbeispiel ist Yale, wo die Neuankömmlinge vor ein paar Jahren vom Dekan mit der falschen Verheißung begrüßt wurden: „You are set for life“ – dass sie es nun geschafft hätten, „wer ist mit 18 Jahren für den Rest seines Lebens auf der rechten Schiene?“
Sein „20 under 20“ bietet einer winzigen Zahl von Überfliegern einen neuen Weg an. Aber die Garantien, wie sie der Dekan von Yale vorgaukelte, die würde Thiel nicht im Traum seinen Überfliegern geben wollen.