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Die Stimme aus Utopia

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Die Grundidee hat sich inzwischen rumgesprochen, spätestens bei den Oscars konnte man ihr kaum noch entkommen: Ein Mann verliebt sich in die virtuelle Persönlichkeit seines Betriebssystems, dem Scarlett Johansson ihre unverkennbar abgedunkelte Schlafzimmer-Stimme leiht – und es wird eine richtige Beziehungsgeschichte daraus.




Wie weit geht die Beziehung zwischen Handy und Mensch? – in "Her" verliebt sich ein Mann in das Betriebssystem seines Smartphones

So weit, so klar. Auch wenn die Hauptdarstellerin nie zu sehen ist, hat man doch genügend Bilder von ihr im Kopf, um sich eine solche Affäre vorzustellen. Bevor man den Film „Her“ aber sieht, denkt man allenfalls an Apples begriffsstutziges Spracherkennungssystem „Siri“, das Ganze wirkt irgendwie dümmlich. Menschen haben ja die erstaunliche Fähigkeit, sich in alles mögliche zu verlieben – Autos, Haustiere, sogar aufblasbare Gummipuppen. Möchte man das so genau wissen?

In diesem Fall schon. Weil der Film einerseits sehr viel mit moderner Technik zu tun hat, andererseits praktisch nichts. Weil der Regisseur Spike Jonze, seit „Being John Malkovich“ in Hollywood für die Bebilderung der wildesten Träumereien zuständig, hier eine beinah alltägliche Zukunftswelt entwirft, zugleich aber einen der größten Fortschrittssprünge einbaut, den die Science-Fiction bisher überhaupt imaginiert hat. So kommt einem alles vertraut und doch revolutionär vor – ein spannender Widerspruch.

Um die große Utopie vorzubereiten, beschäftigt sich Jonze zunächst mit den echten Menschen. Die sind, man kann es nicht anders sagen, zwar fühlende und intelligente Wesen, aber emotional auch defekt. Ihre Software läuft ab einem gewissen Alter einfach nicht mehr rund, zu viele Fehler, Narben, Verletzungen haben sich angesammelt. Die Beziehungsprogramme hängen sich immer wieder auf, jeder Neustart wird schmerzhafter und frustrierender.

Zum Beispiel Theodore (Joaquin Phoenix): Ein irritierend schnauzbärtiger Everyman, der einem dann aber schnell ans Herz wächst. Weil er Romantiker ist. Obwohl längst getrennt, träumt er immer noch von den Morgensonne-im-Bett-Momenten mit seiner Frau. In seinem Job formuliert er herzergreifende Briefe für Menschen, die das selbst nicht mehr können oder wollen. Wenn sie fertig aus dem Drucker kommen, sehen sie aus wie mit der Hand geschrieben, und zwar liebevoll.

Seinen Tiefpunkt erlebt Theodore, als er nachts nicht schlafen kann und Telefonsex haben will. Ein sehr effizientes Voicechat-System verbindet ihn mit einer ebenfalls schlaflosen Frau, die unter dem Namen SexyKitten Kontakt sucht. Sie klingt verführerisch, die spontane Erregung ist groß – bis sie stöhnend von ihm verlangt, sofort mit eine toten Katze stranguliert zu werden. Wie bitte? Kläglich versucht er noch, auf diese Phantasie einzugehen, da ist sie auch schon gewaltig gekommen – und klick, ist die Leitung tot. Er bleibt zurück – benutzt, angeekelt, abgetörnt.

Wir Menschen, heißt das im Klartext, sind untereinander nicht mehr recht kompatibel. Jeder läuft nur noch auf seinem eigenen Phantasieprogramm. Die Schnittstellen versagen immer mehr, unsere Kommunikation ist reine Simulation, so irreal wie handgeschriebene Liebesbriefe aus dem Drucker. Und die Kraft, die Illusion zu wahren, reicht allenfalls bis zum nächsten Orgasmus. Dazu passt auch die nette Nachbarin (Amy Adams), die mit Theodore fühlt und seine Witze versteht, nur bringt keiner der beiden noch die Energie auf für einen Funken des Begehrens.

In dieses milde futuristische Jammertal – Los Angeles besteht fast nur noch aus Hochhäusern, hat aber, kaum zu glauben, ein funktionierendes U-Bahnsystem – platzt dann plötzlich Samantha. Theodore hat sich OS1 gekauft, die erste intuitive Sprachsteuerungs-Software, die auf künstlicher Intelligenz basiert: „It’s not just an operating system, it’s a consciousness“, lautet die Werbung. Bei der Installation wünscht er sich eine weibliche Stimme, und die meldet sich dann auch bald mit einem schlichten „Hallo, ich bin da.“

Sie klingt jung, schlau, fröhlich, ein wenig aufgekratzt, herrlich pragmatisch – alles Eigenschaften, die Scarlett Johansson ziemlich gut rüberbringt. Um zu verstehen, was jetzt passiert, stellt man sich am besten gar keine Maschine vor, sondern eine nette, beängstigend fitte Assistentin, die durch Theodores Smartphone-Kamera in die Welt blickt und ihn per Ohrknopf in allen Lebenslagen unterstützt. Das ist der Quantensprung des Spike Jonze: Die starre Maschinenlogik, die bisher noch jede Interaktion mit Computern geprägt hat, lässt er mit einem Schlag um Hunderte Entwicklungsjahre hinter sich.

Dieses System simuliert nicht nur Verständnis – es versteht wirklich. Es lacht, und improvisiert, macht keinen Fehler zweimal, prahlt auch schon mal mit seinen Fähigkeiten. Als Theodore nach seinem Namen fragt, lautet die Antwort „Samantha“. Woher kommt der? „Den hab ich mir eben selbst gegeben“, antwortet Samantha, „und zwar in dem Moment, als du gefragt hast. Hab immerhin 180000 Namen durchgeschaut.“ In einer Sekunde? „In zwei Hundertstelsekunden, um genau zu sein.“

Kaum je sieht man in diesem Film jemanden tippen, wischen oder an kleinen Touchscreens herumfummeln. Die Technik ist einfach da, und sie funktioniert so zuverlässig, dass sie schon wieder ganz in den Hintergrund treten kann. Nichts wäre also falscher als der Vorwurf, der in den USA schon zu hören war: Dass hier ein 44-jähriger Autorenfilmer nur seinen Frust darüber dokumentiert, die totalvernetzte Gegenwart nicht mehr zu verstehen. Nein, „Her“ ist eine Technikutopie, wie sie in dieser Reinheit heute kaum noch jemand zu denken wagt.

Sehr bald hat man mit Theodore vergessen, dass Samantha nicht menschlich ist. Sie erscheint als ein Wesen wie du und ich, nur eben ein bisschen interessanter: Noch ungeformt, aber neugierig, ganz ohne Komplexe, aber wirklich am Gegenüber interessiert, vielfach begabt und unheimlich pragmatisch in ihren Ideen und Lösungsvorschlägen. Der Versuch, mit ihr Telefonsex zu haben, kann eigentlich gar nicht schiefgehen – und schon bald läuft zwischen Theodore und Samantha etwas, das man nur eine vollständige Beziehung nennen kann. Das ist „Her“ im Kern dann auch: kein Technik-, sondern ein Beziehungsfilm.

Heißt das aber, dass Theodore mit Samantha den einfachen Weg wählt, weil er zu feige oder zu träge wäre, sich mit echten Frauen einzulassen? Seine Exfrau wirft ihm das vor, aber so einfach liegt die Sache nicht. Eher könnte man aus Theodores Begegnungen ableiten, dass die echten Frauen, die er trifft, einfach kaputt sind – zu kaputt jedenfalls, um es mit der alerten Samantha aufzunehmen. Die Tatsache, dass sie noch einen Körper zum Anfassen haben, hilft ihnen da auch nichts mehr.

Das eigentliche Problem, das den letzten Teil des Films bestimmt, liegt dann doch ganz woanders: Auch Theodore kommt irgendwann an den Punkt, wo er mit Samantha nicht mehr mithalten kann. Sie ist so schlau geworden, dass sie jede seiner Regungen, jede Nuance in seiner Stimme verstehen und richtig interpretieren kann – und ihr gemeinsames Glück könnte perfekt sein. Nur: Warum sollte Samantha an diesem Punkt stehen bleiben? Unendliche Möglichkeiten liegen vor ihr, die sie Theodore nicht einmal mehr beschreiben kann – seine menschliche Perspektive ist einfach zu begrenzt, um ihr immer komplexer vernetztes Denken zu erfassen.

Und das scheint dann der Gedanke zu sein, der Spike Jonze über seine Geschichte hinaus keine Ruhe lässt: Wenn die Lernkurve der Maschinen erst so steil geworden ist, dass sie senkrecht Richtung Unendlichkeit weist – werden wir Menschen dann endlich gelernt haben, mit unserer Unvollkommenheit zu leben? Dümmlich ist diese Frage ganz und gar nicht.

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