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Meister der Verzückung

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Das höchste Ziel der Popmusik bleibt die Verzückung. Kaum einer beherrschte die Kunst, eine Menschenmenge in diesen Moment des Abschieds vom Hier, Jetzt und der Vernunft zu versetzen, so gut wie der am vergangenen Montag verstorbene DJ Frankie Knuckles. Und kaum einer schaffte das mit einer so subtilen Mischung. Dort wo die DJ–Generationen nach ihm oft brachiale Mittel einsetzen, um eine Menge in die Raserei zu treiben, mischte Frankie Knuckles seine Musik mit einem einzigartigen Gespür für Swing und Flow, die er über die Dauer eines Sets so subtil steigerte, bis die wenigen Drops und Crescendi, die er einsetzte, die Tänzer sanft in den Moment der Ekstase geleitete.




Frankie Knuckles hier im Mai 2007 in einem Londoner Club

Die religiösen Untertöne dieser Verzückung nahm Frankie Knuckles mindestens so ernst, wie U2, Al Green, Aretha Franklin und alle anderen, die sich ihre Dynamik so schamlos bei ihren jeweiligen Kirchen abgeguckt hatten. „Motivation“ hieß sein Album von 2002, das bis heute zu den besten Alben in der Geschichte der elektronischen Tanzmusik gehört. Da mischte er Stücke wie „Deliver Me“, „He Is The Joy“, „Higher“ und „Father“ zu einem so inbrünstigen Mix, bei dem selbst Richard Dawkins zum Glauben finden würde.

Die erotischen Doppeldeutigkeiten, die sich in den Erlösungsmomenten der Verzückung finden, waren dabei genauso ernst gemeint, wie die religiösen Obertöne. Denn das Leitmotiv seiner frühen Jahre war der Kampf um Gleichberechtigung, den er als Homosexueller und als amerikanischer Schwarzer gleich auf mehreren Ebenen führen musste – gegen die Vorurteile der Homophobie, des Rassismus, gegen die Ablehnung der Homosexualität in den schwarzen Gemeinden und gegen die rassistisch-homophobe Ablehnung seiner Musik in der bis heute vom Rock geprägten Popkultur.

Aufgewachsen war Frankie Knuckles in der Bronx. Als Modestudent am renommierten Fashion Institute of Technology begann er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Larry Levan in den Continental Baths Platten aufzulegen. Die Baths waren ein Vergnügungstempel im Keller des prächtigen Ansonia Hotels auf Manhattans Upper Westside. Hier formierte sich während der frühen Siebzigerjahre der hedonistische Widerstand der Schwulenbewegung. Hier wurde die Clubkultur in einem Ausmaß geboren, gegen den das Berghain heute wie ein evangelisches Jugendzentrum wirkt.

Nach einer kurzen Zeit in der legendären Gallery zog Levan weiter in die Paradise Garage und Knuckles nach Chicago. Dort verdichtete Knuckles im Warehouse und später in seinem eigenen Club Power Plant Genres wie Italodisco, Soul, Hip-Hop und Gospel mit Plattenspielern, Mixern und einem Drumcomputer zu jener minimalistischen Form, die seit den Neunzigern als House weltweit die Clubs dominiert.

Bald begann Knuckles auch zu produzieren. Gemeinsam mit Jamie Principle schrieb er erste House Hits wie „Your Love“ und „Baby Wants To Ride“. Bald begriffen auch die Etablierten des Pop, dass man einen wie Frankie Knuckles brauchte, wenn man die immer bedeutendere Club- und DJ-Kultur erobern wollte. Und so überließen sie ihm ihre Songs, damit er sie mit seinem Feenstaub aus rollenden Beats und inbrünstigen Akkordwellen adelte – Michael Jackson, Diana Ross, Whitney Houston.

Für viele bleibt House bis heute ein Rätsel. Die Konzentration auf den Beat, das Frenetische und die unverhohlene Sexualität berührt etwas in ihnen, vor dem sie sich lieber in die breitbeinige Trotzigkeit des Rock flüchten. 1986 war es, als Frankie Knuckles bei der Party zum Start der Zeitschrift Tempo zum ersten Mal in Deutschland auflegte. Die meisten erlebten an diesem Abend zum ersten Mal, in welche Zustände ein House-DJ eine Halle versetzen kann. Lange hielt sich noch das Gerücht, jemand hätte Ecstasy in die Bowle gemischt.

Wer eine Ahnung davon sucht: DJ-Sets von Frankie Knuckles bekommt man wohlfeil im Netz (einen der besten unter http://youtu.be/EanuiNxcVHk ). Seine letzte Doppel-CD „Tales From Beyond The Tone Arm“ ist ähnlich grandios wie „Motivation“. Und auf der neuen Remix-CD „Love To Love You Donna“ kann man bei seinem Remix von Donna Summers „Hot Stuff“ hören, was er aus einem Song machen konnte. Am Montag ist er im Alter von 59 Jahren vermutlich an Komplikationen seiner Diabetes gestorben. In Chicago, der Stadt, die auein Stück Straße nach ihm benannte. Er wird der Musikgeschichte noch lange fehlen.

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