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Generation Krieg

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Mohammad Sameer Atayee hat von einem Aufbruch geträumt. Doch sein Wunsch wird sich nicht erfüllen, das ist ihm schon klar geworden, noch bevor er am Samstag seine Stimme abgibt. „Ich wollte eigentlich, dass dieses Mal ein neues Gesicht antritt“, sagt der 22-Jährige, der an einer privaten Universität Pharmazie studiert hat, nun aber eine Schneiderei betreibt. Den Kabuler ärgert es, dass sich die Präsidentschaftskandidaten auf ihre mächtigen Netzwerke stützen könnten, dass vor allem ihr Geld entscheidend sei: „Das gibt ihnen die Möglichkeit, bei den Wahlen anzutreten“, ist Atayee überzeugt.



Ein junger Afghane trägt eine Wahlurne in Kabul.

Gerade in den urbanen Zentren Afghanistans ist in Zeiten des Kriegs eine Generation herangewachsen, die sich für Politik interessiert, die sich nach einer wirtschaftlichen Perspektive sehnt, die ein friedliches Land aufbauen will, das nicht von Männern mit alten Seilschaften regiert wird. „Wir hatten gehofft, dass der politische Wandel vielleicht schon 2014 beginnt, aber die bekannten Machtstrategen haben sich ihren Einfluss bewahrt“, sagt der Kabuler Politikanalyst Haroun Mir über das Feld der Präsidentschaftskandidaten. Der Blick der jungen Generation richtet sich seiner Meinung nach daher schon auf die nächste Abstimmung im Jahr 2019.

Die Gruppe der Erstwähler könnte einen wichtigen Machtfaktor bilden, schon allein wegen ihrer schieren Masse. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind 68 Prozent der Afghanen noch nicht einmal 25 Jahre alt. Doch die Perspektive dieser Generation ist nicht gerade vielversprechend. Die Wirtschaft hängt fast ausschließlich am Tropf des Westens, der sein Engagement nach 13 Jahren am Hindukusch reduziert und Ende 2014 die meisten Soldaten abziehen wird. Eine auf eigenen Füßen stehende, vom Krieg unabhängige Wirtschaft ist in Afghanistan nicht entstanden. Die Regierung in Kabul ist auf ausländisches Geld angewiesen, ebenso wie Armee und Polizei es sind.

Stolz verweist der Westen darauf, dass am Hindukusch so viele Kinder wie noch nie zur Schule gehen, dass eine neue, wissbegierige Generation heranwächst. Doch nicht nur fehlende Jobs sind ein Problem, auch die prekäre Sicherheitslage bereitet jungen Menschen wie Atayee nach wie vor Sorgen. Sein ganzes Leben war bislang von Gewalt und Konflikten geprägt: Als Kind erlebte er den afghanischen Bürgerkrieg, danach die Schreckensherrschaft der Taliban. Schließlich marschierte der Westen nach dem 11. September 2001 ein, Hamid Karsai wurde Präsident. Damit verbanden die Afghanen vor allem die Hoffnung auf Sicherheit und einen bescheidenen Wohlstand. „Die Menschen in Afghanistan sind arm, jedem Politiker, der etwas verspricht, wird das zunächst einmal geglaubt“, sagt Atayee. Doch die schönen Perspektiven seien bislang nicht eingelöst worden .

Für den Pharmazeuten sind nicht nur die Taliban ein Hindernis für stabilere Verhältnisse in seinem Land. Wenn afghanische Politiker sich ernsthaft für einen Frieden einsetzten, könnte der auch auf den Weg gebracht werden, glaubt Atayee. Doch aus der Unsicherheit lasse sich eben auch Profit schlagen. Wie der junge Mann haben viele Afghanen kein Vertrauen in ihr politisches System entwickelt. Aber zur Wahl gehen, das steht für ihn fest, will er am Samstag trotzdem.

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