Dass Berlin sich entschieden hat, ab sofort keine Gebäude mehr zu errichten, sondern nurmehr Baustellen, ist durchaus konsequent. Ein fertiges Bauwerk könnte man schließlich nicht einmal mehr theoretisch verhindern, womit ein weiterer Anlass wegfiele, jene warmherzigen Kollektive zu bilden, die in dieser Stadt traditionell Familien und Jobs ersetzen.
Und was wird im Turbokapitalismus eigentlich aus der Stadt?
Es ist schon so: Ein fertiges Haus ist ein deprimierender Anblick. Walter Benjamin hat das Problem einmal gut beschrieben, als er das fertige Kunstwerk die „Totenmaske der Konzeption“ genannt hat. Wenn ein Gebäude fertig ist, ist im Grunde alles vorbei.
Auch dem Architekten David Chipperfield ist aufgefallen, dass die Deutschen ihre Bauprojekte gern zum Anlass nehmen, Glaubenskämpfe loszutreten und sich kollektive Identitäten zuzulegen, die es vor der Projektausschreibung nicht gegeben hat. Bei der Berliner Konferenz „Stadt – Religion – Kapitalismus“, die Richard Sennett und Alexander Kluge am Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt veranstaltet haben, zog er den Vergleich mit den Londonern: Während in Berlin der neue Gehry-Wohnturm am Alexanderplatz tagelang die Medien beherrscht habe, bemerkten die Londoner die Türme in ihrer Stadt erst dann, wenn sie sie nicht mehr zählen können.
London steht heute für eine Stadtplanung der dritten Art, die sich seit einiger Zeit immer mehr Raum erkämpft. Bislang kannte die Moderne zwei Grundprinzipien der Stadtentwicklung: die organisch-selbstverwaltete, die Rem Koolhaas in einem viel diskutierten Film über Lagos zum Model für die Megacities der Zukunft erklärt hat. Und die modernistisch-zentralistische, deren Pionier Le Corbusier mit seiner „Ville Radieuse“ war. Chipperfield sieht nun den Frühling einer „Architektur der Zweckmäßigkeit“ gekommen, ein Bauen ohne Utopie und Stimme, eine phantasielose Stadtraumverwaltung nach Investorenlogik.
Und obwohl sich diese Architektur streng rational, unideologisch und zweckorientiert gibt, hat sie eben doch sehr viel mit der Frage zu tun, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Ganz ohne Form und Metaphorik lässt sich schlicht nicht bauen, auch ausgestellte Sachlichkeit ist lesbar. Nur welche Geschichte erzählt sie eigentlich genau?
Dem Literaturwissenschaftler Joseph Vogl zufolge handelt die Geschichte von einer Gegenwart, in der sich die Städte aus ihrem idyllischen Verhältnis innerhalb der Nationalstaaten herausentwickeln und an den Kosmos einer supranationalen Geldelite angeschlossen werden, die ihren Gestaltungsanspruch dadurch legitimiert, dass sie Zugang zu den stärksten Rechenmaschinen des Globus hat. Diese Gegenwart bringe eine Art „Überbürger“ hervor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehr schuldig sei. Verfassungen und soziale Übereinkünfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht.
Obwohl einer der Hauptvorwürfe gegen dieses „Kapitalismusderivat“ (Alexander Kluge) lautet, dass es rein digital und deshalb nicht zu fassen sei, bringt es doch eine genuine architektonische Formsprache hervor, die sich beispielsweise in den Gated Communities am Potsdamer Platz, in Designmalls wie der gerade eröffneten „Bikini Berlin“ am Zoologischen Garten und eben im Gehry-Wohnturm am Alexanderplatz äußert – Häuser, die den Verwesungsgeruch absterbender Demokratie tragen wie ein Eau de Toilette und die Stadt nicht weiterentwickeln sondern sie „finanzialisieren“, wie die amerikanische Soziologin Saskia Sassen in Berlin sagte.
Sie hatte lange ihr Deutsch nicht benutzt und einfach das englische „financialize“ wörtlich übersetzt, wobei eben „finanzialisieren“ herausgekommen ist, eine potenziell sehr nützliche Wortschöpfung: Sie bezeichnet den Anschluss eines Gegenstandes an die Finanzwelt, der diesen Gegenstand aller Zweckzuschreibungen entledigt, außer jenem, eine maximale Rendite für jemanden zu erzielen, der mit einiger Wahrscheinlichkeit kein Mitglied unseres warmherzigen Kollektivs ist.
Im 20. Jahrhundert lag in der postideologischen Geste des International Style gerade die große Utopie, den Nationalismus endlich überwinden zu können. Heute wird sie jedoch vielerorts als betongewordene Entmachtung der Parlamente wahrgenommen. „Es ist bemerkenswert, dass die gegenwärtige Form des Kapitalismus die vorangegangene immer idyllisch aussehen lässt“, sagte Joseph Vogl in Berlin. Ähnlich verhält es sich mit den sozialen Utopien: Weil sie sich im vergangenen Jahrhundert allzu bereitwillig zu Ideologien haben versteifen lassen, wurden sie von der Postmoderne zu Erfüllungsgehilfen totalitärer Staatsmodelle erklärt. Heute, da sie weitgehend diskreditiert sind, werden sie schmerzlich vermisst.
Georg Simmel hatte seine Stadttheorie während der vorletzten Jahrhundertwende entwickelt, nachdem ihm aufgefallen war, wie dreckig, überfüllt und weltanschaulich divers es damals auf dem Potsdamer Platz zuging. Trotzdem gelang es den Berlinern selbst in dem intoleranten Klima der Kaiserzeit, nicht ständig aufeinander loszugehen.
„Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht“, schrieb er 1903 in dem Essay „Die Großstädte und das Geistesleben“.
Die Toleranzleistung der Stadt besteht eben darin, dass einem die persönlichen Überzeugungen der anderen egal sein müssen, wenn man zurecht kommen möchte. Die Architektur der Zweckmäßigkeit fordert jedoch, dass einem sogar die eigenen Überzeugungen egal sind. Sie betreibt eine Homogenisierung der Innenstädte und sortiert nach einem einzigen Kriterium: verfügbares Kapital. Dadurch repräsentiert sie einen säkularen Monotheismus, wo sie Inklusion, Toleranz und Sicherheit im Munde führt.
Diese Herrschaftsform hat mit ihren totalitären Vorgängern gemein, dass sie sich auf die Ewigkeit hin entwirft. Alexander Kluge, der auf der Berliner Konferenz den von ihm koproduzierten achtstündigen Film „Die Geschichte der Menschen. Von 70000 Jahre v. Chr. bis heute“ zeigte, bleibt allerdings gelassen. Die Menschheit habe weit größere Katastrophen überstanden. „Der Mut, den die Menschen aufbringen, ihr Wille, immer etwas Neues zu bauen, das lässt sich nicht mit Geld bezahlen.“
Und was wird im Turbokapitalismus eigentlich aus der Stadt?
Es ist schon so: Ein fertiges Haus ist ein deprimierender Anblick. Walter Benjamin hat das Problem einmal gut beschrieben, als er das fertige Kunstwerk die „Totenmaske der Konzeption“ genannt hat. Wenn ein Gebäude fertig ist, ist im Grunde alles vorbei.
Auch dem Architekten David Chipperfield ist aufgefallen, dass die Deutschen ihre Bauprojekte gern zum Anlass nehmen, Glaubenskämpfe loszutreten und sich kollektive Identitäten zuzulegen, die es vor der Projektausschreibung nicht gegeben hat. Bei der Berliner Konferenz „Stadt – Religion – Kapitalismus“, die Richard Sennett und Alexander Kluge am Wochenende im Berliner Haus der Kulturen der Welt veranstaltet haben, zog er den Vergleich mit den Londonern: Während in Berlin der neue Gehry-Wohnturm am Alexanderplatz tagelang die Medien beherrscht habe, bemerkten die Londoner die Türme in ihrer Stadt erst dann, wenn sie sie nicht mehr zählen können.
London steht heute für eine Stadtplanung der dritten Art, die sich seit einiger Zeit immer mehr Raum erkämpft. Bislang kannte die Moderne zwei Grundprinzipien der Stadtentwicklung: die organisch-selbstverwaltete, die Rem Koolhaas in einem viel diskutierten Film über Lagos zum Model für die Megacities der Zukunft erklärt hat. Und die modernistisch-zentralistische, deren Pionier Le Corbusier mit seiner „Ville Radieuse“ war. Chipperfield sieht nun den Frühling einer „Architektur der Zweckmäßigkeit“ gekommen, ein Bauen ohne Utopie und Stimme, eine phantasielose Stadtraumverwaltung nach Investorenlogik.
Und obwohl sich diese Architektur streng rational, unideologisch und zweckorientiert gibt, hat sie eben doch sehr viel mit der Frage zu tun, in was für einer Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Ganz ohne Form und Metaphorik lässt sich schlicht nicht bauen, auch ausgestellte Sachlichkeit ist lesbar. Nur welche Geschichte erzählt sie eigentlich genau?
Dem Literaturwissenschaftler Joseph Vogl zufolge handelt die Geschichte von einer Gegenwart, in der sich die Städte aus ihrem idyllischen Verhältnis innerhalb der Nationalstaaten herausentwickeln und an den Kosmos einer supranationalen Geldelite angeschlossen werden, die ihren Gestaltungsanspruch dadurch legitimiert, dass sie Zugang zu den stärksten Rechenmaschinen des Globus hat. Diese Gegenwart bringe eine Art „Überbürger“ hervor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehr schuldig sei. Verfassungen und soziale Übereinkünfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht.
Obwohl einer der Hauptvorwürfe gegen dieses „Kapitalismusderivat“ (Alexander Kluge) lautet, dass es rein digital und deshalb nicht zu fassen sei, bringt es doch eine genuine architektonische Formsprache hervor, die sich beispielsweise in den Gated Communities am Potsdamer Platz, in Designmalls wie der gerade eröffneten „Bikini Berlin“ am Zoologischen Garten und eben im Gehry-Wohnturm am Alexanderplatz äußert – Häuser, die den Verwesungsgeruch absterbender Demokratie tragen wie ein Eau de Toilette und die Stadt nicht weiterentwickeln sondern sie „finanzialisieren“, wie die amerikanische Soziologin Saskia Sassen in Berlin sagte.
Sie hatte lange ihr Deutsch nicht benutzt und einfach das englische „financialize“ wörtlich übersetzt, wobei eben „finanzialisieren“ herausgekommen ist, eine potenziell sehr nützliche Wortschöpfung: Sie bezeichnet den Anschluss eines Gegenstandes an die Finanzwelt, der diesen Gegenstand aller Zweckzuschreibungen entledigt, außer jenem, eine maximale Rendite für jemanden zu erzielen, der mit einiger Wahrscheinlichkeit kein Mitglied unseres warmherzigen Kollektivs ist.
Im 20. Jahrhundert lag in der postideologischen Geste des International Style gerade die große Utopie, den Nationalismus endlich überwinden zu können. Heute wird sie jedoch vielerorts als betongewordene Entmachtung der Parlamente wahrgenommen. „Es ist bemerkenswert, dass die gegenwärtige Form des Kapitalismus die vorangegangene immer idyllisch aussehen lässt“, sagte Joseph Vogl in Berlin. Ähnlich verhält es sich mit den sozialen Utopien: Weil sie sich im vergangenen Jahrhundert allzu bereitwillig zu Ideologien haben versteifen lassen, wurden sie von der Postmoderne zu Erfüllungsgehilfen totalitärer Staatsmodelle erklärt. Heute, da sie weitgehend diskreditiert sind, werden sie schmerzlich vermisst.
Georg Simmel hatte seine Stadttheorie während der vorletzten Jahrhundertwende entwickelt, nachdem ihm aufgefallen war, wie dreckig, überfüllt und weltanschaulich divers es damals auf dem Potsdamer Platz zuging. Trotzdem gelang es den Berlinern selbst in dem intoleranten Klima der Kaiserzeit, nicht ständig aufeinander loszugehen.
„Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht“, schrieb er 1903 in dem Essay „Die Großstädte und das Geistesleben“.
Die Toleranzleistung der Stadt besteht eben darin, dass einem die persönlichen Überzeugungen der anderen egal sein müssen, wenn man zurecht kommen möchte. Die Architektur der Zweckmäßigkeit fordert jedoch, dass einem sogar die eigenen Überzeugungen egal sind. Sie betreibt eine Homogenisierung der Innenstädte und sortiert nach einem einzigen Kriterium: verfügbares Kapital. Dadurch repräsentiert sie einen säkularen Monotheismus, wo sie Inklusion, Toleranz und Sicherheit im Munde führt.
Diese Herrschaftsform hat mit ihren totalitären Vorgängern gemein, dass sie sich auf die Ewigkeit hin entwirft. Alexander Kluge, der auf der Berliner Konferenz den von ihm koproduzierten achtstündigen Film „Die Geschichte der Menschen. Von 70000 Jahre v. Chr. bis heute“ zeigte, bleibt allerdings gelassen. Die Menschheit habe weit größere Katastrophen überstanden. „Der Mut, den die Menschen aufbringen, ihr Wille, immer etwas Neues zu bauen, das lässt sich nicht mit Geld bezahlen.“