Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Die Mär von den Ugly Germans

$
0
0
Mit ihrer unterirdischen Lage und ihrer steilen Beleuchtung sind die Sainsbury-Galerien der Londoner National Gallery (NG) eine eher ungeliebte Umgebung für Sonderausstellungen. Insofern sind sie durchaus passend für die Ausstellung „Strange Beauty“. Denn während sich Ehrengast Paolo Veronese oben im ersten Stock unter Tageslicht ausbreiten darf (SZ vom 22.3.), müht sich der lange am stiefmütterlichsten behandelte Teil der NG-Sammlung, die Sainsbury-Räume zu füllen: Als „vernachlässigte Minderheit“ bezeichnet Direktor Nicholas Penny die deutschen Kunstwerke in seinem Haus. Ein mutiger Schritt also, eine Sonderausstellung fast ausschließlich mit Werken aus den eigenen Beständen zu bestücken. Das Ergebnis bestätigt den Titel der Schau auf eine Weise, die Kuratorin Caroline Bugler sicher nicht vorschwebte: Sie ist seltsam unbefriedigend und nicht besonders schön. Was den sich wandelnden Geschmack des britischen Kunstestablishments angeht, ist sie hingegen höchst aufschlussreich.



Einige Werke Dürers zeigt die Ausstellung "Strange Beauty" zwar. Nicht aber das "Selbstbildnis im Pelzrock" - generell ist die Londoner Galerie mit deutschen Werken unterbestückt.

Tatsache ist, dass, als die Weichen für den Aufbau der NG-Sammlung gestellt wurden, deutsche Kunst in England als hässlich, unraffiniert und makaber galt. So befand Sir Charles Eastlake, erster Direktor der NG, Matthias Grünewalds Isenheimer Altar verdiene „kein anderes Beiwort als ‚widerwärtig‘”. Wenig überraschend also, dass die Sammlung John Angersteins, die 1824 den Nukleus der NG bildete, kein einziges Gemälde von einem deutschen Maler enthielt. Das erste Werk nordeuropäischer Provenienz, das angeschafft wurde, war 1842 Jan von Eycks Arnolfini-Porträt. Und erst von 1846 an kamen deutsche Künstler dazu, Christian Wilhelm Ernst Dietrich und Heinrich Wilhelm Schweickhardt. Deren ländliche Szenen waren unverfänglich und fielen in der von Franzosen und Italienern dominierten Sammlung nicht weiter unangenehm auf.

Jedes Mal, wenn sich im 19. Jahrhundert eine Gelegenheit ergab, den deutschen Bestand auszubauen, ließ man sie bewusst verstreichen. Als der damalige Schatzkanzler William Gladstone 1854 die großartige Krüger-Sammlung westfälischer Renaissance-Malerei mit staatlichen Mitteln erwarb, brach in der britischen Presse ein Sturm gegen die „gräuliche“ Kunst aus. In einer eigens einberufenen Parlamentsdebatte wurde der Kauf der „schlimmste in der Geschichte der National Gallery“ genannt. Zwei Jahre später verabschiedete das House of Commons sogar ein eigenes Gesetz, dass den Wiederverkauf eines Großteils der Krüger-Bilder ermöglichte.

Da überrascht es wenig, dass die Londoner Ausstellung recht zusammengekratzt wirkt. Natürlich gibt es Meisterwerke, darunter die Porträts, die Hans Holbein als Hofmaler Heinrichs VIII. anfertigte. Doch zum einen gelten Bilder wie „The Ambassadors“ ebenso sehr als Teil des britischen Kanons wie Georg Friedrich Händels Kompositionen. Zum anderen verstimmt es, dass ein solcher, sonst frei zugänglicher, Publikumsmagnet der NG zur Aufpolsterung einer Sonderschau verwendet wird und nun nur gegen Bezahlung zu sehen ist.

Bei dieser Ausstellung sind vor allem die Leerstellen vielsagend. So besitzt die NG einige Paneele des spätgotischen Liesborner Altars, ein Überrest der Krüger-Sammlung. Jene Altar-Teile, die nicht anderweitig verkauft wurden, sind heute im Münsteraner LWL-Museum zu sehen. Doch statt die fehlenden Tafeln auszuleihen, wurden fotografische Platzhalter an ihre Stelle gesetzt. Das wirkt lieblos und gibt allenfalls einen weiteren Eindruck von der Löchrigkeit dieser Schau. Da können auch die zahlreichen Holzschnitte nichts ändern, die wie Füllmaterial wirken. Ebenso wenig wie ein paar Dürer-Kopien, eine einsame Cranach-Venus und das 1980 (angeblich für den Rekordpreis von 12 Millionen Dollar) erworbene „Christi Abschied von seiner Mutter“ von Albrecht Altdorfer.

„Strange Beauty“ ist bemerkenswert, weil hier eine Institution ihre eigene kuratorische Kurzsichtigkeit zur Schau zu stellen scheint. Wer in London deutsche Kunst sehen möchte, sollte sich allerdings an die königliche Kunstsammlung in der Galerie des Buckingham Palace halten. Dass ihr Bestand so üppig ist, verdankt sie gerade der National Gallery: Deren Direktor lehnte 1863 die Schenkung deutscher Kunst aus dem Nachlass von Prinz Albert dankend ab.

Strange Beauty. Masters of the German Renaissance, in der National Gallery, London, bis 11. Mai. Info: www.nationalgallery.org.uk, Der Katalog kostet 9,99 Pfund.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345