Klack, klack, klack, klack: Genüsslich zieht Halil, 39, seinen Schlüsselbund an den Gitterstäben der Türen entlang. Es ist ein nervtötendes Geräusch. Eines, das die Insassen schikanieren soll. Weil das Klackern so laut durch die schmalen, gelb getünchten Zellen hallt. Drinnen in einer Zelle tigert ein Jugendlicher mit schwarzen Haaren, Trainingshose und Sneakers umher. Er heißt Thomas und wirft unruhige Blicke zur versperrten Tür, wo ihn Aufpasser Halil durch ein Guckloch beobachtet.
Es ist ein klarer kalter Tag in Hamburg. Für die sieben Jungs, zu denen Thomas gehört, ist es ein Tag, der sich dennoch einbrennen wird in Kopf und Herz. Normalerweise besuchen sie die achte und neunte Klasse einer Schule in Altona. Heute aber haben sich die Schüler morgens vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel im Norden von Hamburg getroffen – und das nicht zum Spaß. Die Jungs sind alle auffällig geworden: Sie haben geklaut, geprügelt und andere schikaniert. Deshalb steht heute nicht Mathe und Sport auf dem Stundenplan, sondern das echte Leben, das knallharte. Wie der Einschluss in eine Zelle.
"Dort, wo keiner hindarf": Cool ist es im Gefängnis nicht.
Draußen vor der Backsteinmauer des Gefängnisses sind die Jungs und ihre Betreuer von Volkert Ruhe begrüßt worden. Ruhe, 59, ist ein schmaler Mann mit kurzen grauen Haaren und randloser Brille. Er saß selbst sieben Jahre im Knast und hat sich diesen etwas anderen Stundenplan ausgedacht. Ruhe hat „Gefangene helfen Jugendlichen“ gegründet. Der in Deutschland einzigartige Verein will Teenager von der kriminellen Laufbahn abbringen: Seit 1999 bringt Ruhe auffällige und gewaltbereite Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren in die Justizvollzugsanstalt. Dorthin, wo sonst keiner hindarf. Gut 4000 Schüler haben schon teilgenommen und das hat einiges bewirkt. „Jugendliche Straftäter haben oft den Eindruck, das Leben hinter deutschen Gefängnismauern ist cool. Das wollen wir gerade rücken“, erklärt Ruhe.
Bis Mittag müssen die Jungs heute bleiben. Draußen haben Thomas und die anderen noch blöde Sprüche geklopft. „Alles voll easy und so.“ Dann kommt die Schleuse; Rucksäcke, Handys, Portemonnaies verschwinden in Schließfächern. Einige Jungs werden von Beamten abgetastet, es wird gekichert. Draußen im Hof hebt Halil die Stimme. „Hier hat keiner die Hände in den Taschen“, ruft der bullige Typ. Jetzt geht er mit der Gruppe zu einem leer stehenden Zellentrakt. Dort werden die Schüler für zehn Minuten in den Zellen eingeschlossen. Damit sie gleich mal spüren, wie das ist: hinter Gittern und ganz allein.
Halil kennt das alles; er verbüßt selbst eine langjährige Strafe. Seit einiger Zeit ist er Freigänger und gehört zum 15-köpfigen Team um Volkert Ruhe. Regelmäßig begleitet er die Gruppen. Dann stellt er sich breitbeinig vor die Schüler und erzählt vom Knastalltag, bis auch dem letzten Jugendlichen das Grinsen vergeht. Halil erzählt von der Monotonie, vom Alleinsein, von der aggressiven Stimmung. „Wenn dich einer anpöbelt, und du schlägst zurück, werden beide bestraft – vielleicht mit Isolierstation“, sagt er und schaut in verschreckte Gesichter.
Das ist die andere Seite des Projekts: Neben den Jugendlichen profitieren auch Inhaftierte wie Halil davon, sagt Ruhe. Durch die Arbeit mit den Jungs haben sie eine sinnvolle Aufgabe, und sie müssen ihre Taten immer wieder reflektieren. „Das hilft bei der Rückkehr in den Alltag.“
Volkert Ruhe selbst lebt Halil und anderen Inhaftierten vor, was für ein Aufstieg möglich sein kann nach der Haftstrafe. Durch das Projekt ist Ruhe ein neues Leben gelungen. Er stammt aus einer zerrütteten Familie, er hat viel Mist gebaut und wurde beim Drogenschmuggel erwischt. Heute ist das lange vorbei: Ruhe ist zum Wohltäter geworden. Im Gefängnis hat er die mittlere Reife nachgeholt, gemeinsam mit zwei Inhaftierten hat er das Projekt für Jugendliche entwickelt und den Verein gegründet, den er als Geschäftsführer bis heute leitet. Ruhe hat jetzt eine Ehefrau und Sohn – und er bekommt bundesweit große Anerkennung. Kürzlich wieder. Da hat ihn die Organisation Ashoka zum Sozialunternehmer gekürt und unterstützt ihn seither mit Beratung und Geld. Ruhe bekommt ein dreijähriges Stipendium, damit er das Projekt auch in anderen Städten wie etwa Gelsenkirchen aufbauen kann.
Thomas und die anderen Schüler haben jetzt den härtesten Teil des Tages erreicht. Sie haben durch die nächste Schleuse das Haus II der JVA Fuhlsbüttel betreten, besser bekannt als „Santa Fu“ – das ist einer der härtesten Knäste der Republik. Hier leben die schweren Jungs, Kriminelle mit Haftstrafen von mehr als drei Jahren. Sternförmig sind die Gänge der mehrstöckigen Strafanstalt angelegt, in der Mitte treffen sie zusammen. Dort sind Netze zwischen den Etagen gespannt, damit niemand hinunterspringt oder gestoßen wird. In einem Glaskasten sitzen Justizbeamte, trinken Kaffee und beobachten die Monitore. Es ist niemand zu sehen, die gut 270 Männer sind auf dem Gelände. In der Bäckerei etwa, beim Tischler oder dem Gartenbau. Arbeiten ist hier Pflicht.
Im Nachbargebäude warten vier Inhaftierte auf die Schüler. Alle setzen sich in einen Kreis mit Stühlen, und Halil legt los. „Jungs, hier sitzen ein Mörder, ein Bankräuber, ein Drogendealer und ein Geldwäscher. Wer ist wer?“ Die Schüler sind ratlos. Verlegen mustern sie die Männer, die in Jeans und Kapuzenpulli zwischen ihnen Platz genommen haben und genauso gut in der S-Bahn oder im Bus sitzen könnten. Normale Männer irgendwie. Bis sie beginnen, von ihren Straftaten zu erzählen.
Ruhe hat das selbst oft getan. Er hat im Knast und bei Schulbesuchen aus seinem Leben erzählt. Dann beschreibt er seine Jugend im Harz. Wie ihn die Furcht vor dem prügelnden Vater aus dem Haus treibt. Wie er sich als 14-Jähriger schämt, wenn er im Sportunterricht das T-Shirt wechselt und die blauen Flecken von den Schlägen zu sehen sind. Wie er eine Lehre zum Landmaschinenmechaniker absolviert, kaum Geld hat und einen Kiosk knackt. Mit 18 muss Ruhe wegen solcher Einbrüche drei Monate in den Knast. Danach nimmt er hier und da einen Job an. Als er vom Harz nach Hannover zieht, landet er in einer Drückerkolonne und muss Zeitungs-Abos verticken. Das hält er sieben Jahre lang aus. „Nach einiger Zeit ist man echt ausgelaugt.“
Ruhe schafft den Absprung – irgendwie – und macht eine Autowerkstatt auf. Als er einmal aus einem Urlaub zurückkehrt, ist die Werkstatt ausgeräumt, und Ruhe gerät erneut auf die schiefe Bahn. Ein Freund überredet ihn zum Drogenschmuggel. Getarnt als Kameramann bringt Ruhe kofferweise Koks von Kolumbien nach Deutschland, dafür kriegt er 20000 Mark. „Am Anfang war das ein großes Abenteuer.“ Der Freund wird verhaftet, Ruhe flieht nach Kolumbien, wird von Hintermännern bedroht und organisiert weiter Drogenkuriere. Bis er hvon internationalen Fahndern verhaftet und nach Hamburg gebracht wird. 13 Jahre Haft – so lautet das Urteil in der Heimat.
„Wenn man einmal in diesen Kreislauf gerät, ist das wie eine Spirale“, sagt Ruhe und schaut in die Runde. „Es fängt klein an und verselbständigt sich.“ Bis jetzt haben die Jungs still gelauscht. Nun müssen sie selbst erzählen. „Wart ihr schon auf der Polizeiwache? Liegen Anzeigen gegen euch vor? Wart ihr schon mal im Jugendarrest?“ Im Stakkato-Takt prasseln Fragen auch auf Thomas nieder. Er habe „ein paarmal geklaut und geschlagen“, murmelt er kleinlaut, „nichts Schlimmes“. Doch Ruhe lässt nicht locker, er bohrt und hakt nach: „Findest du das harmlos, andere zu schlagen?“
Es sind ungewohnt direkte Worte für Thomas. Sie sollen ein Warnschuss sein – damit die Jugendlichen begreifen, dass es bei allen klein angefangen hat. Das möchte auch Halil klar machen. Bei ihm hat es mit dem Klauen einer Milchschnitte begonnen. Viele Straftaten später, Halil war zur Größe in seiner Gang aufgestiegen, hat er im Streit einen Menschen erschossen. „Ich möchte nicht, dass eure Geschichten so enden wie meine“, sagt Halil.
Es sind harte Geschichten, ehrliche Worte – und sie wirken nach. Ruhe ist sich sicher, dass die Knastbesuche bei den Schülern fruchten. Das hat der Verein über Jahre über Jahre ausgewertet. Ein Drittel der Besucher bleibe später straffrei, sagt er. Bei einem zweiten Drittel gebe es weit weniger Gewalttaten. Nur ein letztes Drittel mache weiter wie bisher. „Eine solche Quote sehen wir als guten Erfolg.“
Thomas jedenfalls ist hinterher weitaus kleinlauter. Er plappert nicht mehr so viel und stellt kaum noch naive Fragen. Beim abschließenden Knastessen mit den vier Insassen schiebt er die Kartoffeln in Senfsoße auf dem Aluteller hin und her. Hunger hat er keinen. Vor allem die Zeit in der Zelle hängt ihm nach. „Echt furchtbar“, sagt er. „Da will ich nie wieder rein.“
Es ist ein klarer kalter Tag in Hamburg. Für die sieben Jungs, zu denen Thomas gehört, ist es ein Tag, der sich dennoch einbrennen wird in Kopf und Herz. Normalerweise besuchen sie die achte und neunte Klasse einer Schule in Altona. Heute aber haben sich die Schüler morgens vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel im Norden von Hamburg getroffen – und das nicht zum Spaß. Die Jungs sind alle auffällig geworden: Sie haben geklaut, geprügelt und andere schikaniert. Deshalb steht heute nicht Mathe und Sport auf dem Stundenplan, sondern das echte Leben, das knallharte. Wie der Einschluss in eine Zelle.
"Dort, wo keiner hindarf": Cool ist es im Gefängnis nicht.
Draußen vor der Backsteinmauer des Gefängnisses sind die Jungs und ihre Betreuer von Volkert Ruhe begrüßt worden. Ruhe, 59, ist ein schmaler Mann mit kurzen grauen Haaren und randloser Brille. Er saß selbst sieben Jahre im Knast und hat sich diesen etwas anderen Stundenplan ausgedacht. Ruhe hat „Gefangene helfen Jugendlichen“ gegründet. Der in Deutschland einzigartige Verein will Teenager von der kriminellen Laufbahn abbringen: Seit 1999 bringt Ruhe auffällige und gewaltbereite Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren in die Justizvollzugsanstalt. Dorthin, wo sonst keiner hindarf. Gut 4000 Schüler haben schon teilgenommen und das hat einiges bewirkt. „Jugendliche Straftäter haben oft den Eindruck, das Leben hinter deutschen Gefängnismauern ist cool. Das wollen wir gerade rücken“, erklärt Ruhe.
Bis Mittag müssen die Jungs heute bleiben. Draußen haben Thomas und die anderen noch blöde Sprüche geklopft. „Alles voll easy und so.“ Dann kommt die Schleuse; Rucksäcke, Handys, Portemonnaies verschwinden in Schließfächern. Einige Jungs werden von Beamten abgetastet, es wird gekichert. Draußen im Hof hebt Halil die Stimme. „Hier hat keiner die Hände in den Taschen“, ruft der bullige Typ. Jetzt geht er mit der Gruppe zu einem leer stehenden Zellentrakt. Dort werden die Schüler für zehn Minuten in den Zellen eingeschlossen. Damit sie gleich mal spüren, wie das ist: hinter Gittern und ganz allein.
Halil kennt das alles; er verbüßt selbst eine langjährige Strafe. Seit einiger Zeit ist er Freigänger und gehört zum 15-köpfigen Team um Volkert Ruhe. Regelmäßig begleitet er die Gruppen. Dann stellt er sich breitbeinig vor die Schüler und erzählt vom Knastalltag, bis auch dem letzten Jugendlichen das Grinsen vergeht. Halil erzählt von der Monotonie, vom Alleinsein, von der aggressiven Stimmung. „Wenn dich einer anpöbelt, und du schlägst zurück, werden beide bestraft – vielleicht mit Isolierstation“, sagt er und schaut in verschreckte Gesichter.
Das ist die andere Seite des Projekts: Neben den Jugendlichen profitieren auch Inhaftierte wie Halil davon, sagt Ruhe. Durch die Arbeit mit den Jungs haben sie eine sinnvolle Aufgabe, und sie müssen ihre Taten immer wieder reflektieren. „Das hilft bei der Rückkehr in den Alltag.“
Volkert Ruhe selbst lebt Halil und anderen Inhaftierten vor, was für ein Aufstieg möglich sein kann nach der Haftstrafe. Durch das Projekt ist Ruhe ein neues Leben gelungen. Er stammt aus einer zerrütteten Familie, er hat viel Mist gebaut und wurde beim Drogenschmuggel erwischt. Heute ist das lange vorbei: Ruhe ist zum Wohltäter geworden. Im Gefängnis hat er die mittlere Reife nachgeholt, gemeinsam mit zwei Inhaftierten hat er das Projekt für Jugendliche entwickelt und den Verein gegründet, den er als Geschäftsführer bis heute leitet. Ruhe hat jetzt eine Ehefrau und Sohn – und er bekommt bundesweit große Anerkennung. Kürzlich wieder. Da hat ihn die Organisation Ashoka zum Sozialunternehmer gekürt und unterstützt ihn seither mit Beratung und Geld. Ruhe bekommt ein dreijähriges Stipendium, damit er das Projekt auch in anderen Städten wie etwa Gelsenkirchen aufbauen kann.
Thomas und die anderen Schüler haben jetzt den härtesten Teil des Tages erreicht. Sie haben durch die nächste Schleuse das Haus II der JVA Fuhlsbüttel betreten, besser bekannt als „Santa Fu“ – das ist einer der härtesten Knäste der Republik. Hier leben die schweren Jungs, Kriminelle mit Haftstrafen von mehr als drei Jahren. Sternförmig sind die Gänge der mehrstöckigen Strafanstalt angelegt, in der Mitte treffen sie zusammen. Dort sind Netze zwischen den Etagen gespannt, damit niemand hinunterspringt oder gestoßen wird. In einem Glaskasten sitzen Justizbeamte, trinken Kaffee und beobachten die Monitore. Es ist niemand zu sehen, die gut 270 Männer sind auf dem Gelände. In der Bäckerei etwa, beim Tischler oder dem Gartenbau. Arbeiten ist hier Pflicht.
Im Nachbargebäude warten vier Inhaftierte auf die Schüler. Alle setzen sich in einen Kreis mit Stühlen, und Halil legt los. „Jungs, hier sitzen ein Mörder, ein Bankräuber, ein Drogendealer und ein Geldwäscher. Wer ist wer?“ Die Schüler sind ratlos. Verlegen mustern sie die Männer, die in Jeans und Kapuzenpulli zwischen ihnen Platz genommen haben und genauso gut in der S-Bahn oder im Bus sitzen könnten. Normale Männer irgendwie. Bis sie beginnen, von ihren Straftaten zu erzählen.
Ruhe hat das selbst oft getan. Er hat im Knast und bei Schulbesuchen aus seinem Leben erzählt. Dann beschreibt er seine Jugend im Harz. Wie ihn die Furcht vor dem prügelnden Vater aus dem Haus treibt. Wie er sich als 14-Jähriger schämt, wenn er im Sportunterricht das T-Shirt wechselt und die blauen Flecken von den Schlägen zu sehen sind. Wie er eine Lehre zum Landmaschinenmechaniker absolviert, kaum Geld hat und einen Kiosk knackt. Mit 18 muss Ruhe wegen solcher Einbrüche drei Monate in den Knast. Danach nimmt er hier und da einen Job an. Als er vom Harz nach Hannover zieht, landet er in einer Drückerkolonne und muss Zeitungs-Abos verticken. Das hält er sieben Jahre lang aus. „Nach einiger Zeit ist man echt ausgelaugt.“
Ruhe schafft den Absprung – irgendwie – und macht eine Autowerkstatt auf. Als er einmal aus einem Urlaub zurückkehrt, ist die Werkstatt ausgeräumt, und Ruhe gerät erneut auf die schiefe Bahn. Ein Freund überredet ihn zum Drogenschmuggel. Getarnt als Kameramann bringt Ruhe kofferweise Koks von Kolumbien nach Deutschland, dafür kriegt er 20000 Mark. „Am Anfang war das ein großes Abenteuer.“ Der Freund wird verhaftet, Ruhe flieht nach Kolumbien, wird von Hintermännern bedroht und organisiert weiter Drogenkuriere. Bis er hvon internationalen Fahndern verhaftet und nach Hamburg gebracht wird. 13 Jahre Haft – so lautet das Urteil in der Heimat.
„Wenn man einmal in diesen Kreislauf gerät, ist das wie eine Spirale“, sagt Ruhe und schaut in die Runde. „Es fängt klein an und verselbständigt sich.“ Bis jetzt haben die Jungs still gelauscht. Nun müssen sie selbst erzählen. „Wart ihr schon auf der Polizeiwache? Liegen Anzeigen gegen euch vor? Wart ihr schon mal im Jugendarrest?“ Im Stakkato-Takt prasseln Fragen auch auf Thomas nieder. Er habe „ein paarmal geklaut und geschlagen“, murmelt er kleinlaut, „nichts Schlimmes“. Doch Ruhe lässt nicht locker, er bohrt und hakt nach: „Findest du das harmlos, andere zu schlagen?“
Es sind ungewohnt direkte Worte für Thomas. Sie sollen ein Warnschuss sein – damit die Jugendlichen begreifen, dass es bei allen klein angefangen hat. Das möchte auch Halil klar machen. Bei ihm hat es mit dem Klauen einer Milchschnitte begonnen. Viele Straftaten später, Halil war zur Größe in seiner Gang aufgestiegen, hat er im Streit einen Menschen erschossen. „Ich möchte nicht, dass eure Geschichten so enden wie meine“, sagt Halil.
Es sind harte Geschichten, ehrliche Worte – und sie wirken nach. Ruhe ist sich sicher, dass die Knastbesuche bei den Schülern fruchten. Das hat der Verein über Jahre über Jahre ausgewertet. Ein Drittel der Besucher bleibe später straffrei, sagt er. Bei einem zweiten Drittel gebe es weit weniger Gewalttaten. Nur ein letztes Drittel mache weiter wie bisher. „Eine solche Quote sehen wir als guten Erfolg.“
Thomas jedenfalls ist hinterher weitaus kleinlauter. Er plappert nicht mehr so viel und stellt kaum noch naive Fragen. Beim abschließenden Knastessen mit den vier Insassen schiebt er die Kartoffeln in Senfsoße auf dem Aluteller hin und her. Hunger hat er keinen. Vor allem die Zeit in der Zelle hängt ihm nach. „Echt furchtbar“, sagt er. „Da will ich nie wieder rein.“