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Aufstand der Allesbauer

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Mathematiker der Universität Aarhus haben einmal ausgerechnet, dass es 85 Milliarden Möglichkeiten gibt, um sieben gleichfarbige Legosteine miteinander zu kombinieren. Vor der genauen Berechnung für acht Steine mussten die Herrschaften dann auch schon kapitulieren.

Vor den Millionen virtuellen Legosteinen, aus denen das Universum des „Lego Movie“ besteht, steht man daher weniger wie vor einer Kinderspielzeugwelt als vor einem Supercomputer, der sämtliche Kombinationsmöglichkeiten aller Legosteine in rasender Geschwindigkeit hintereinanderweg rechnet und dabei einen wild rotierenden Kreativitätshurrikan permanenter Entschöpfung und Neuschöpfung entfesselt, der selbst unerschöpflich scheint. Denn im Animationsfilm von Phil Lord und Christopher Miller, der in einer aus Lego gebauten, nur von Legofiguren bevölkerten Welt spielt, gibt es keine realisierten oder auch nur zählbaren Möglichkeiten mehr. Es gibt nur noch den Bereich des Möglichen überhaupt. Nicht des menschenmöglichen, des legomöglichen. Es scheint, dem atomistischen Baukastensystem sind noch weniger Grenzen gesetzt als einer aus Atomen bestehenden Welt.



Die Lego-Figuren Wyldstyle (l-r), Emmet und Vitruvius in einer undatierten Filmszene des Kinofilms "The LEGO Movie"

Im Auge dieses Orkans steht der meist nicht besonders gut orientierte Emmet. „Kannst du mir mal bitte sagen, was diese Klamotten sollen, und warum ein Name am Himmel steht?“ wundert sich das gelbe Männchen. Eben noch in der Stadt unterwegs und in Arbeiterklamotten, steht es nun im Wilden Westen mit Cowboyhut. Und ja, der Name steht groß am Himmel. Noch. Aber gleich wird Emmet, nach einer spektakulären Eisenbahnfahrt, in ein hippes buntes Candyland purzeln, von da in die Tiefen der Meere und so weiter.

Zwischen den bekannten Lego-Welten (der Stadt, dem Wilden Westen, dem Ozean, dem Weltraum) befindet sich die Welt des „Lego Movie“ im permanenten Aufbruch. Das ist schon die ganze, ebenso simple wie gänzlich abstrakte Story des Films: Eine Gruppe von „Meisterbauern“, die im Lego-Universum schlichtweg alles bauen können, sagt dem großen Herrscher über das Legoreich den Kampf an, der die von ihm ohnehin schon extrem geordnete Welt mit einer Superwaffe komplett stillstellen will – weshalb der Widerstand im Um- und Neubau selbst liegt. So wird schon mal aus dem Nichts (na ja, aus Lego) ein Motorrad oder ein U-Boot zusammengezimmert. Oder man errichtet rasch auf einem Zug in voller Fahrt eine Rampe, um den motorisierten Angreifer, der sich in rasender Fahrt übers Dach nähert, in die Lüfte zu schicken, wo er sich in ein Flugzeug verwandelt, während die Gejagten selbst von einem Lego-Batmobil gerettet werden, das seinerseits in eine Serie von Gestaltwandlungen eintritt. Der Mythos Lego, den der Film demonstriert, wäre dabei selbst beinahe vor einiger Zeit verloren gegangen. Nach dem großen Erfolg, den der dänische Spielzeughersteller seit den Fünfzigerjahren mit seinem Baukastensystem hatte, stand der Konzern 2004 kurz vor dem Ruin. Heute erwirtschaftet das Unternehmen in einer Branche, die von starken Umsatzeinbußen geplagt wird, wieder Rekordgewinne, eröffnet neue Filialen und gönnt sich nun auch noch einen Film, der bis heute weltweit schon mehr als 400 Millionen Dollar eingespielt hat. Was war passiert? Der neue Chef Jørgen Vig Knudstorp hatte sich statt auf Uhren, Pullover und die Legoparks wieder auf das Maß aller Dinge konzentriert, den Legomythos, das heißt: den Stein. So steht ein mythischer „Stein des Widerstands“, der die Paralysierung der Legowelt verhindern soll, auch im Zentrum des Films.

Der Mythos von Lego besteht darin, dass alle, die Lego bauen, mit diesen Urelementen, den Steinen, ihre eigenen Geschichten erzählen, ihre Mythen bauen und umbauen können. Bauen nach strikter Anleitung ist unter echten Lego-Jüngern ebenso verschrien wie im Film, wo nur der böse Herrscher President Business darauf beharrt. Mit Soaps, in denen nur ein einziger Satz fällt („Schatz, wo ist meine... Hose?“) und dem Fascho-Popsong „Alles ist super“ kontrolliert er die Welt. Und wenn am Anfang noch die totale Anpassung gegen den Glauben an den einen „besonderen“ unter den Meisterbauern steht, der die Welt retten kann, dann ist am Ende natürlich jeder Legobauer was Besonderes.

In diesem Mythenbaukasten dürfen natürlich die anderen popkulturellen Mythen und Mythologien der vergangenen Jahre und Jahrzehnte nicht fehlen: Ob nun Star Wars, Harry Potter, Herr der Ringe, Indiana Jones, Pirates of the Caribbean oder die Comicfiguren von Marvel und DC – sie alle müssen sich ihrer Umgestaltung anbieten, in Bausätzen ebenso wie in digitaler Form, wo man mit dem Programm „Lego Creator“ etwa eine eigene virtuelle Lego-Harry-Potter-Welt bauen kann. Und fast alle werden auch im Film auftauchen.

Der Film scheint sich überhaupt aus dem Kino der vergangenen Jahre zu ernähren: Lord und Miller zitieren die Eisenbahnfahrt aus „Lone Ranger“ und die Szene, in der die Minions ihre nackten Hintern fotokopieren, aus „Ich – Unverbesserlich 2“. Das große „Wolkenkuckucksheim“, ein Regenbogenparadies über den Wolken, in dem eine Einhorn-Kitty über immerwährende Fröhlichkeit wacht, ruft die psychedelischen Phantasien aus Ari Folmans „The Congress“ wach, und die Meisterbauer, die ganze Welten bauen können, erinnern an die Traumarchitekten aus Christopher Nolans „Inception“.

So surft man durch „The Lego Movie“ wie mit einer großen Suchmaschine, in der alles da ist. Die Gefräßigkeit von Lego entspricht da nicht nur jener des Animationskinos, das immer wieder alte Inhalte recycelt, sondern besonders jener von Google: Die totale Verfügbarkeit aller Inhalte, die der User nach seinem Gusto benutzen kann, das ist es, was Lego mit Google verbindet, die große digitale Utopie unserer Zeit.

Aber indem die Legosteine eben Pixeln ähneln, bekommen diese etwas, was sonst gerne verschleiert wird: eine Materialität, ein Gewicht. Nein, wir leben nicht im rein virtuellen Raum, in dem einfach „alles möglich ist“, sondern in einem Raum aus Materie, in dem es Widerstände gibt: das Digitale hat immer noch materielle Grundlagen.

Wenn etwa im Film geduscht wird, kommen dicke weiße Kügelchen aus der Brause. Auch der weite Ozean ist aus Lego gemacht, wie aus einem sehr niedrig aufgelösten, nur grob gerenderten Meer aus Pixeln, das sich ruckelig bewegt – ein klarer Widerstand gegen die gewohnte Flüssigkeit der Computeranimation, die auch Lord und Miller verwenden. Und die Eisenbahn stanzt aus dem Schornstein kleine Legowölkchen in den Himmel. Sodass jedes Einzelbild, jede Bauphase, erahnbar bleibt. So stellt die Stakkato-Ästhetik der sogenannten Brickfilme, jener Legofilme, die Bastler im Stop-Motion-Verfahren drehen (Youtube ist voll davon), das wichtigste aller Zitate im „Lego Movie“ dar, das den Film weit über die Markenpropaganda hebt und seinen experimentellen Charakter unterstreicht. Denn durch sie wird deutlich, dass die beiden Kräfte der Lego-Welt, die des Umbaus und jene der Fixierung, an einem wichtigen Punkt ununterscheidbar sind: Auch, wenn man unbegrenzt alles bauen kann – man bleibt dabei immer auf Legosteine festgelegt.

Legosteine, in ihren limitierten Grundformen, sind standardisierte Materialität. Auf sie, mit denen immer schon Mythen (nach)gebaut worden sind, trifft am Ende die digitale Utopie – der Traum von der totalen Verfügbarkeit und Umgestaltbarkeit der Dinge von allem durch alle. Und wird als reiner Mythos enttarnt.

Denn auch die digitale Utopie braucht Grundbausteine – Sourcecodes, Standards, materielle Infrastrukturen – die von monopolistischen, allen ihre Regeln aufzwingenden Plattformen wie Google oder Facebook definiert werden – und dadurch kontrolliert und fixiert. Der Film von Lord und Miller ist also eine große digitale Phantasmagorie unendlicher Möglichkeiten, die aber in jedem Einzelbild schon aufs Erwachen hindrängt – überall dort, wo die groben Steinkaskaden wie übergroße Pixel für eine Millisekunde vor unseren Augen innehalten.

The Lego Movie, USA 2014 – Regie: Phil Lord, Christopher Miller, Buch: Lord, Miller, Dan Hageman, Kevin Hageman, Kamera: Barry Peterson, Pablo Plaisted. Verleih: Warner, 100 Minuten.

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