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Stolze Mädchen

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Die Saaldecken sind zu hoch, das ganze Gebäude ist eigentlich zu mächtig für sie. In die düsteren Eleganz des Hotel De Rome, Berlin, passt die junge Frau aus Kalifornien nicht richtig hinein. Noch dazu ist Shailene Woodley erkältet, sie hat sich die überlangen Ärmel über ihre Finger gezogen, als wolle sie sich lieber irgendwohin zurückziehen, wo es warm und vielleicht etwas kuschliger ist als hier.




Sieht ein wenig anders aus als die üblichen Heldinnen: Shailene Woodley 

Trotzdem lässt sie sich tapfer befragen über den Film „Divergent – Die Bestimmung“, in dem sie die Hauptrolle der Tris Prior spielt und für den sie auf Promo-Tour ist. Seit Donnerstag läuft er in den deutschen Kinos. Im Mittelpunkt steht eben jene Tris, eine der jungen Heldinnen, wie sie seit einiger Zeit die Buch- und Filmwelten bevölkern. „Hunger Games“ heißen sie, „Delirium“, „Partials“ oder „The Testing“. Die Storys wirken oft wie geklont. Und sind ungeheuer erfolgreich.

„Es sind ja vor allem junge Heldinnen“, sagt Shailene Woodley, „dabei hatten Teenager so lange einen schlechten Ruf, sie galten als doof und unsicher, und dann gab es diese ganzen Stereotypen, die Cheerleaderin oder den Sporthelden. Aber sie können der Welt viel mehr bieten.“ Hinter ihrer Professionalität könnte man einen gewissen Stolz entdecken und ein bisschen Genugtuung über die Tatsache, dass eine ganze Altersgruppe rehabilitiert werden könnte durch ihr Zutun – so lange her ist die Teenie-Zeit bei Woodley, 22, ja nicht.

Es scheint sich endlich was zu verändern in der bisher hauptsächlich von Männern bestimmten Heldenwelt. Zeit wurde es – die fiktive Welt hinkte der realen bisher um einiges hinterher. Aber inzwischen haben Mädchen und junge Frauen auch in Büchern und Filmen eine kräftigere Stimme bekommen. Sie kämpfen, sie sind autark, kein Sidekick mehr. Man weiß, dass Shailene Woodley den Vergleich mit jener anderen jungen Schauspielerin nicht allzu gern hört, aber um den Vergleich kommt man nicht herum – mit Jennifer Lawrence, die Katniss Everdeen in „Hunger Games“: Aber beide spielen diese taffen Mädchen, die sich mit Pfeil und Bogen (Lawrence) gegen ein dekadentes, autoritäres System wehren – oder mit Fäusten, Messern und allem, was sich sonst eignet (Woodley). Tris etwa lebt in einer Gesellschaft der Zukunft, die alle 16-Jährigen nach ihrer Persönlichkeit in fünf Fraktionen aufteilt. Und begehrt dagegen auf.

Diese starken Mädchen werden als neue Rollenvorbilder bejubelt. Jedenfalls sind die vier Mädchen, die aus der „Divergent“-Pressevorführung kommen, hingerissen von der Hauptfigur. „Echt cool“ sei sie, „voll toll“ und was man sonst sagt an Begeisterungsphrasen in diesem Alter. Sie kichern eine Runde und marschieren mit stolzen Kämpfer-Schritten in die Nacht.

Wie eine wilde Kämpferin sieht die echte Shailene Woodley nicht aus. Am großen Tisch im großen Raum des Hotels erscheint sie viel zierlicher als im Film, in dem man an ihr fast so etwas wie Babyspeck vermutet hat. Zumindest am Anfang, bevor sie mit dem Kampftraining anfing. Und auch von ihrer Herkunft müsste sie eigentlich einen anderem Klischee entsprechen. Sie stammt aus Simi Valley, nordöstlich von Los Angeles, der Heimat der sogenannten Valley Girls. Diesen Stereotyp, den einst Frank Zappa besang, muss man sich als die Antithese zum Bild der neuen starken Mädchenkämpferin vorstellen.

Die Valley Girls prägten seit den Achtzigern das Bild junger Frauen aus den südkalifornischen Tälern im Hinterland von Los Angeles, aus den wohlhabenden, vor allem weißen Schlafstädten. Ihnen ging es, so wollte es der Stereotyp, vor allem um tolles Aussehen und darum, Geld zu haben und es auszugeben. Die Valley-Mädchen hatten sogar einen eigenen, like, irgendwie, Soziodialekt, der sich schnell über den gesamten, like, nordamerikanischen Kontinent ausbreitete. Und jeden Satz in einer Frage enden ließ?

Das mit dem Fragezeichen an jedem Satzende macht Shailene Woodley nicht, aber ein „like“ kommt auch bei ihr andauernd vor, so redet inzwischen fast jeder junge Amerikaner. Ansonsten war es das wohl mit den Gemeinsamkeiten. Denn ihre eigenen Interessen sind von denen eines typischen Valley Girls, wenn es sie überhaupt je gegeben hat, weiter entfernt als von denen der neuen starken Mädchengestalten. Und zwar der aus der echten Welt.


Denn da kämpfen junge Frauen heute zwar nicht bis an die Zähne bewaffnet; aber eine kräftigere, selbstbewusstere Stimme haben sich viele von ihnen längst zugelegt. Was nun nicht gleichbedeutend ist mit körperlicher Stärke, sondern eher mit innerer Sicherheit – und mit starken Überzeugungen. Shailene Woodley ist das, was man eine Umweltaktivistin nennt oder früher mal „alternativ angehaucht“. Sie macht Yoga, isst auch mal Lehm, weil das richtig gesund ist, und braut sich Cremes aus Pflanzen. Gerade steht sie auf Brennnesseln, „sie sind so gut für Frauen und ihre Körper“. Das, was sie kritisiert am derzeitigen System, ist zwar nicht unbedingt radikal, aber Mainstream für Amerika ist es auch nicht – selbst wenn es bei manchen Hollywood-Schauspielern gerade sehr schick ist, was in Natur zu machen. „Genmanipulation, fossile Energie, industrielle Landwirtschaft“, sagt Woodley, finde sie schrecklich. Und man glaubt ihr, dass sie das ernst meint.


Es gibt nun Stimmen, die meinen, diese Filmheldinnen seien eigentlich gar keine; sie würden nur wieder ein altes Frauchenklischee im martialisch aufgehübschten Gewand bedienen, wie man es aus der Romanze, dem Liebesroman kennt: In diesem vor allem von Frauen verschlungenen literarischen Genre geht es immer um große romantische Liebe. Das unschuldige Mädchen, beklagen Feministinnen, bekomme zwar ihren Liebsten, aber um den Preis ihrer Unterordnung. Die Frau bleibe in solchen romantischen Beziehungen unter dem Mann. So sei das auch in Divergent, was keine gute Voraussetzungen sei, um jungen Mädchen ein Vorbild zu sein.

Das findet Shailene Woodley so nicht. In ihrer Beziehung zum männlichen Film-Protagonisten gehe es doch vielmehr um tiefen Respekt, um gegenseitiges Vertrauen, meint sie, fast ein wenig verärgert. „Sie sind die ganze Zeit viel mehr Partner als ein Liebespaar, und das ist doch mal eine wirklich wichtige Botschaft.“ Natürlich, sagt sie, sei es wichtig und notwendig, dass sich jetzt die Aufmerksamkeit viel mehr auf die Frauen richte. Aber das heiße doch nicht umgekehrt, dass man nun gegen Männer sein müsse. „Wir brauchen nur mehr Balance“, sagt Woodley. „Balance“, das scheint einer ihrer Lieblingsausdrücke zu sein, gleich nach „Selbstfindung“ und „zusammenwachsen“.

Vielleicht liegt genau darin die Relevanz dieses Mädchentypus: Sie haben dem männlichen Heldentypus ein paar Aspekte hinzugefügt, sind weicher, zweiflerischer. Eben so wie Shailene Woodley. Sie sitzt da, keine gestylte Barbie-Puppe, sondern ein wenig erschöpft, die schwarze Wollmütze neben sich auf dem Tisch, und sagt ihrem Gegenüber den normalsten Mädchen-Satz der Welt: „Ich mag diese Schuhe!“

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